Die Parlamente in Frankreich

[367] Die Parlamente in Frankreich waren ehedem die höchsten Gerichtshöfe. Ihr Ursprung verliert sich in die ältesten Zeiten. Man nannte Versammlungen,[367] worin Streitigkeiten entschieden und Rechtsfragen aufgelöst wurden, Parlamente (von parler), wegen den abwechselnden Debatten der Beisitzer. Freilich war die Verfassung der Parlamente in ältern Zeiten ganz von der neuern verschieden. Gewöhnlich hatte der König allemahl an dem Orte, wo er Hoflager hielt, ein Gefolge von Richtern, die aus seinen Vasallen und andern Edeln des Reichs gewählt waren, bei sich; und diese mußten die Streitigkeiten der übrigen Vasallen und Unterthanen entscheiden. Erst um das Jahr 1307 nahm dieser wandernde Gerichtshof Paris zu seinem Sitz und behauptete, da in der Folge in mehrern Städten des Reichs Parlamente angelegt wurden, vor allen übrigen die vornehmste Stelle. Etwas früher hatte man schon angefangen, nicht adeliche Beisitzer in das Parlament aufzunehmen, weil die Adelichen größten Theils zu unwissend waren, um das richterliche Amt auszuüben. In der Folge wurde jeder als adelich angesehen, der eine Stelle im Parlament erhielt, wenn er auch bürgerlicher Abkunft war. Im ganzen Reiche waren 14 Parlamente. Das zu Paris bestand aus 196 wirklichen Beisitzern und sehr vielen außerordentlichen; über 500 Advocaten practicirten dabei. Man kann daraus auf die Menge der Prozesse schließen, die da verhandelt wurden. Da die großen National-Versammlungen ehemals in Frankreich selten, und gewöhnlich ohne erwünschte Wirkung für das gemeine Beste waren, so gewöhnte sich das Volk frühzeitig daran, die Parlamente als seinen Schutz und als ein heilsames Gegenmittel gegen die königliche Macht zu betrachten. Diese benutzten die gute Meinung, welche die Nation von ihnen gefaßt hatte; und daher finden sich schon in der ältern Französischen Geschichte häufige Beispiele von Widerstand, welche sie den Königen leisteten. Es war Gewohnheit, daß sie jedes neu vorgeschlagene Edict oder Gesetz feierlich in ihre Protocolle eintrugen, und daß es nicht eher Kraft hatte, als bis diese Handlung geschehen war: schien ihnen daher ein Gesetz despotisch oder einzelnen Classen von Bürgern nachtheilig; so durften sie nur das Einregistriren verweigern, und es mußte zurückgenommen werden. Bisweilen halfen sich wohl die Könige durch Strenge, und hoben die ungehorsamen Parlamente auf; allein [368] sie gewannen nicht viel dabei, weil sie die Parlamente gewöhnlich bald zurückrufen mußten, um das aufgebrachte Volk zu beruhigen. Selbst ein erklärter Despot, wie Ludwig XI. konnte nicht alles durchsetzen, was er wohl gewünscht hätte. Einst verweigerte ihm das Parlament seine Zustimmung zu einigen neuen Edicten; der König ließ die Sanction bei Todesstrafe anbefehlen: allein das ganze Paralament ging zu ihm; und alle Mitglieder erklärten, daß sie lieber sterben als hierin seinen Willen befolgen wollten. Der König ließ darauf die Edicte in Gegenwart des Parlaments zerreißen. In spätern Zeiten, da es Sitte ward, die Stellen bei dem Parlamente zu kaufen, hatte der Hof schon nicht mehr so heftige Widersprüche zu befürchten. Ludwig XIV. bestand während seiner langen Regierung keinen bedeutenden Kampf mit den Parlamenten: allein er hatte ihnen auch gleich anfänglich erklärt, daß er keinen Widerstand vertragen könne; und das despotische Regierungssystem, das seine Minister einführten, unterstützte diesen Grundsatz. Erst unter dem Herzog Regenten gewannen die Parlamente wieder einigen Einfluß, der unter Ludwig XV. noch größer ward. Der Staatskanzler Meanpou sah mit Verdruß die zunehmende Macht dieser Gerichtshöfe, fürchtete, daß dadurch das königliche Ansehen verlieren möchte, und wagte daher 1771, alle Parlamente im Reiche aufzuheben und durch neue zu ersetzen, welche ganz vom König abhängig waren. Das Volk murrte, allein es half nichts: der Schritt war geschehen; und der Hof hatte damals noch Macht genug, die einmahl genommene Maßregel geltend zu machen. Ludwig XVI. rief nach dem Antritt seiner Regierung in den Jahren 1774 und 1775 die alten Parlamente zurück, ohne zu ahnen, wie gefährlich sie seinem Ansehen in der Folge werden wurden. Die Parlamente waren von jetzt an nur darauf bedacht, sich in ihrem Ansehen immer mehr zu befestigen; sie wurden daher imimer kühner, und nahmen besonders unter dem Ministerium des Calonne und Brienne eine harte Sprache gegen den Hof an. Zwar wagte es der letzt genannte Minister, sie am 8. Mai 1788 abermahls zu vernichten; aber die Gährungen unter dem Volke wurden im ganzen Reiche so bedenklich, daß sich der Hof gezwungen [369] sah, sie schon im September wieder zurück zu berufen. Das Volk frohlockte über ihren Sieg, und Paris feierte den Tag der ersten Sitzung des dasigen Parlaments als ein allgemeines Fest. Die Freude stieg noch höher, als sich das Parlament für die Zusammenberufung der Stände erklärte. Aber das Parlament sah nicht voraus, daß dieser Schritt seinen eignen gänzlichen Untergang herbeiführen würde; es hoffte vielmehr, durch die Versammlung der Stände Vortheile zu ziehen und seine Macht zu erweitern. Es wünschte deßwegen, dabei eine eigne Abtheilung auszumachen, wie es auf dem letzten Reichstage im Jahre 1614 der Fall gewesen war, und sich nicht unter die übrigen Classen der Stände zu mischen. Allein dieser Plan ging nicht durch: zwar wurden einige Mitglieder des Parlaments ihres ausgezeichneten Patriotismus wegen zu Deputirten gewählt, wie z. B. Despremenil (man vergl. diesen Art.); aber das ganze Corps erhielt weiter keine besondern Vorzüge. Man fing an, es wieder für das zu halten, was es ursprünglich gewesen war, für den obersten Gerichtshof des Reichs. Aber auch in dieser Form ward es bald ganz überflüssig; denn die neue Eintheilung des Landes, die Einführung der Departementaladministrationen, die Aufhebung des Feudalsystems und des Adels machten eine neue Justizpflege nothwendig. Die National-Versammlung hob daher im Jahre 1790 die Parlamente im ganzen Reiche auf, und vernichtete durch diesen Beschluß auf einmahl die Macht dieser Gerichtshöfe, welche Jahrhunderte lang bestanden und, ungeachtet ihres beständigen Kampfes mit den Königen, doch wenig Nutzen gestiftet hatten. Es war nur Blendwerk, wenn sie sich vormahls der Nation anzunehmen schienen; sie arbeiteten nur für ihren eignen Vortheil, und bereuten zu spät, die Volksfreiheit wider ihren Willen befordert zu haben. Uebrigens hatten sie bei der Verwaltung der Justizpflege sehr oft parteiisch gerichtet, und die Prozesse muthwillig verzögert, um sich dabei zu bereichern. Die herrschende Partei ließ am 14. Juni 1794 an 20 ehemahlige Parlamentsräthe hinrichten, um sich durch ihr nachgelassenes Vermögen zu bereichern.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 3. Amsterdam 1809, S. 367-370.
Lizenz:
Faksimiles:
367 | 368 | 369 | 370
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika

Brockhaus-1809: Die Departements von Frankreich (Interims-Nachtrag) · Die Departements von Frankreich · Frankreich · Revolution von Frankreich · Departements von Frankreich · Frankreich · Revolution von Frankreich

Brockhaus-1837: Frankreich

Brockhaus-1911: Frankreich · Bank von Frankreich

DamenConvLex-1834: Frankreich (Moden) · Frankreich (Musik) · Franz I., König von Frankreich · Frankreich (Kochkunst) · Frankreich (Kunst) · Frankreich (Literatur und Poesie) · Fredegunde, Königin von Frankreich · Johanna, Königin von Frankreich · Magdalena von Frankreich · Maria Lesczinska, Königin von Frankreich · Galsuinte, Königin von Frankreich · Heinrich IV., König von Frankreich · Isabelle, Königin von Frankreich · Frankreich (Geschichte) · Antoinette von Frankreich · Blanca von Frankreich · Christine, von Frankreich · Amalia Maria, Königin von Frankreich · Anna von Frankreich · Anna, Königin von Frankreich · Claude de France, Königin von Frankreich · Elisabeth von Frankreich, Schwester König Ludwig's XVI. · Frankreich (Frauen) · Frankreich (Geographie) · Constantia, Königin von Frankreich · Diana, Prinzessin von Frankreich · Elisabeth von Frankreich

Goetzinger-1885: Amadis von Frankreich

Heiligenlexikon-1858: Maria Theresia, Königin von Frankreich (343)

Herder-1854: Margaretha von Frankreich · Frankreich

Meyers-1905: Neu-Frankreich · Frankreich

Pierer-1857: Frankreich [4] · Neu-Frankreich · Frankreich [3] · Frankreich [1] · Frankreich [2]

Buchempfehlung

Aristophanes

Lysistrate. (Lysistrata)

Lysistrate. (Lysistrata)

Nach zwanzig Jahren Krieg mit Sparta treten die Athenerinnen unter Frührung Lysistrates in den sexuellen Generalstreik, um ihre kriegswütigen Männer endlich zur Räson bringen. Als Lampito die Damen von Sparta zu ebensolcher Verweigerung bringen kann, geht der Plan schließlich auf.

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon