Die Universitäten

[273] Die Universitäten. Es ist lehrreich und wichtig, die Entstehung und Ausbildung dieser Anstalten zur Beförderung der Wissenschaften, über welche gegenwärtig so viel und mancherlei zur Sprache kömmt, kennen zu lernen, und die Veränderungen, die sie im Laufe von Jahrhunderten erlitten haben, kürzlich zu verfolgen. Nach dem Untergange des Römischen Reichs, und nach den großen politischen Veränderungen, welche die Völkerwanderungen veranlaßt hatten, verfielen alle wissenschaftliche Institute, und Unwissenheit und Barbarei nahmen immer mehr überhand, bis endlich Carl d. Gr. unter der Leitung Alcuins und einiger anderer gelehrter Männer die Dom- und Klosterschulen seines Reichs zu verbessern, und auch viele neue zu gründen begann. Unter diesen letztern zeichnete sich die Pariser vorzüglich aus. Sie behauptete Jahrhunderte hindurch ihren Flor, und wurde die nächste Veranlassung zu der Stiftung der nachher so berühmten Pariser Universität. Nach Carls Todte erhielten sich die Schulen in einer leidlichen Verfassung; aber im Ausgange des 12ten, und Anf. des 13ten Jahrh. geriethen sie in abermahligen Verfall.[273] Der Unterricht in denselben befriedigte nicht; über dieß erstreckte er sich bloß auf so genannte niedere Wissenschaften, auf Grammatik, Rhetorik u. dgl. und schloß die höhern aus. Es traten daher im 12ten Jahrhund. einzelne Lehrer in einzelnen Wissenschaften auf, die in den Domschulen nicht vorgetragen wurden. Zuerst geschah dieses (im Anf. d. 12ten Jahrh.) zu Salerno in Rücksicht der medicinischen Wissenschaften; bald darauf folgte Bologna in juristischen, und Paris in theologischen. Diese Lehrer standen mit dem Staate in gar keiner Verbindung; sie wurden von ihren Schülern bezahlt, und wählten aus diesen die fähigsten Köpfe zu ihren Nachfolgern. Bei dem außerordentlichen Beifall, den einige erhielten, und bei den Zwistigkeiten, die zuweilen unter Lehrenden und Lernenden vorfielen, schien es nöthig, diese Lehrstühle unter öffentliche Autorität zu bringen. Zunächst thaten dieses die Obrigkeiten in den Städten, wo sich so ein Meister der Wissenschaften befand, oder auch die Fürsten, unter deren Hoheit das Land gehörte; aber ganz vorzüglich waren die Päpste dabei geschäftig, weil sie hierin ein neues Mittel zur Ausbreitung ihrer Macht fanden. Hatten sie in der Theologie und im geistlichen Recht die berühmtesten Lehrer auf ihrer Seite, so konnten sie durch diese ihren Willen und ihre Meinungen desto besser in Umlauf bringen. Sie überhäuften daher die ersten hohen Schulen mit sehr freigebigen Privilegien, und halfen ihre Einrichtungen gründen. Gleich in ihrem ersten Entstehen erhielten die Universitäten – dieser Name, welcher eine universitas doctorum et scholarum bezeichnen soll, wurde nun allmählich gewöhnlicher – so ganz das Ansehen gelehrter Gilden oder Zünfte. Vier Hauptwissenschaften (Facultäten) wurde darauf ein Platz angewiesen, und unter diesen erhielt die Philosophie die letzte Stelle. Zur Aufnahme ärmerer Studenten bestimmte man freie Wohnungen (Collegien), und gab ihnen Geldbeiträge (Stipendien) und andere Unterstützung; die Aufsicht des Ganzen führte frühzeitig ein Rector. Man findet kein Beispiel, daß ein Lehrer auf einer hohen Schule vor dem Jahre 1224 eine bestimmte Besoldung gehabt hätte: zwar wurde ihnen zuweilen im Namen der Stadt ein Geschenk gemacht, oder sie wurden für [274] ein gewisses Honorar auf eine Zeit an einen Ort vocirt; aber diese Einkünfte waren eben so zufällig, als die Honorare, die ihnen die Studenten gaben. Dessen ungeachtet waren diese letztern so ansehnlich, daß ein Lehrer bei mäßigem Beifall sich ein sehr gutes Auskommen verschaffen konnte. Manche gelangten zu übermäßigen Reichthümern, um ihren Schülern Wohnungen zu großen Preisen vermiethen zu können. Nie hatte aber auch eine Universität eine so große Anzahl Schüler aufzuweisen, als Paris und Bologna im 13ten und 14ten Jahrh. Unter ihnen befanden sich nicht bloß wißbegierige Jünglinge, sondern Männer, die schon Pfründen und Würden besaßen und durch einen rühmlichen Eifer beseelt wurden, die berühmtesten Lehrer der Wissenschaften zu hören. Dieser Zufluß der verschiedensten Menschen aus allen Landen Europens veranlaßte auf den hohen Schulen die Eintheilung der Studenten in so genannte Nationen, und der Lehrer in ordentliche und außerordentliche. Die ersten überließen den letztern, den Magisters oder Baccalauren, die Erklärung der Elementarbücher, und behielten sich bloß das Lesen der schwerern Collegien vor. Zugleich sah man die Erklärung der Handbücher für eine Vorbereitung an, um das Doctorat zu erlangen, und begnügte sich deßwegen mit dem geringen Honarar, das für dergleichen Collegten entrichtet wurde. Ursprünglich las man über den Text der Bibel, der Römischen Gesetzbücher und der alten Aerzte; aber nachher kam die Methode auf, Lehrbücher (oder so genannte Summen), die berühmte Meister geschrieben hatten, den Vorlesungen zum Grunde zu legen, und weitläufige Erörterungen darüber den Zuhörern in die Feder zu dictiren. Dadurch wurde den Wissenschaften nicht weniger geschadet, als durch den Zunftgeist und die Rivalität, die in den Facultäten herrschten. Nichts desto weniger ermunterte der blühende Zustand der Städte, in welchen Universitäten waren, bisweilen auch Ehrgeitz und Nachahmungssucht oder ein wirklicher Eifer für die Wissenschaften, mehrere Fürsten, in ihren Landen ähnliche Anstalten zu gründen. Unter den Vortheilen, welche dadurch gewonnen wurden, war der keiner der geringsten, daß eine Menge Menschen sich nun vom Abschreiben der Bücher nähren konnte. Selbst [275] Frauenzimmer übten diese Kunst, und gewannen dadurch beträchtliche Summen. Die Pariser Universität wurde das Muster der meisten später gegründeten Universitäten. Sie selbst erhielt ihre nachherige Form im Jahre 1206. Unter den Deutschen Universitäten hält man gewöhnlich die zu Heidelberg für die älteste, als im J. 1346 gestiftet; allein ihr eigentliches Stiftungs-Jahr ist 1385 – mithin hat Prag 1348 diese Ehre, dann Wien 1366, Cöln 1388, Erfurt 1392, Würzburg 1403, und Leipzig 1409 (2. Dec.). Die Wittenberger Universität wurde 1502, und die zu Jena 1558 angelegt. Diese letztere war die erste Universität, welche ohne ein päpstliches Privilegium gegründet wurde. Unter die neuesten Universitäten in Deutschland gehört Göttingen (1734), Erlangen (1742), Stuttgard (1782). Man zählte im Jahre 1790 überhaupt noch 151 Universitäten in Europa. Darunter waren 105 katholische, 21 Lutherische, 23 reformirte und 2 Russische (welche 1803 auf 6 vermehrt wurden). Durch die Französische Revolution ist ihre Anzahl beträchtlich vermindert worden, weil nicht nur in Frankreich, sondern auch in den von den Franzosen eingenommenen Ländern viele Universitäten ganz aufgehoben wurden, und die noch bestehenden eine neue Form erhielten1. Die Universitäten Deutschlands sind in jeder Rücksicht die aufgeklärtesten und vorzüglichsten, ungeachtet sich auch an ihnen zahlreiche Spuren der Barbarei des Mittelalters und der scholastischen Einrichtungen finden. So viel ist freilich gewiß, daß jetzt die akademischen Lehrer, als solche, nicht zur Hälfte mehr so geachtet werden, als ehemahls im Mittelalter, wo der Titel eines Meisters (Doctorʼs) der Gottesgelahrheit oder des Rechts, der Ritterschaft gleich gerechnet und mit viel versprechenden, wiewohl größten Theils lächerlichen, Beinamen aufgeputzt wurde. Wie man aber anfing, in Ertheilung der akademischen Würden freigebiger zu werden, und dabei nicht sowohl auf die Geschicklichkeit der Candidaten, als auf die Bereicherung der Cassen durch Sporteln und Disputations- und Examengebühren zu sehen: so fiel ganz natürlich die hohe Meinung, die [276] man bisher mit akademischen Würden verbunden hatte. Die Art ihrer Ertheilung, die sonst mit einer feierlichen Andächtigkeit begangen worden war, sank zu einem Gaukelspiel herab, das nicht mehr dem Geist des Jahrhunderts angemessen war. – Die auffallendsten Gebräuche dabei, die nur zu deutlich an die Zünfte der Handwerker erinnern, wurden auf den aufgeklärtesten Universitäten Deutschlands schon gegen das Ende des vorletzten Jahrhunderts aufgehoben. Man kann überhaupt annehmen, daß die Universitäten im 15. 16. und der größern Hälfte des 17. Jahrhunderts bei weiten nicht den Nutzen, wie zu Ausgange des 12. und im 13. und 14. Jahrhunderte, stifteten. Der Facultätsgeist und eine verkehrte Methode in der Behandlung der Wissenschaften schadeten damahls der Gelehrsamkeit ungemein, und brachten die Trockenheit und Steifheit hervor, welche man an allen wissenschaftlichen Büchern der damahligen Zeit bemerkt. Selbst durch die Reformation wurde das Uebel nicht gehoben. Den neuern Zeiten war es vorbehalten, heilsame Veränderungen hierin zu machen; und dieses geschah theils durch die Verbesserung der Lehrart, theils durch die Anlegung neuer Lehrstühle für Wissenschaften, welche ehedem von Akademieen ganz ausgeschlossen gewesen waren, wie z. B. das Naturrecht, Staatsrecht u. s. w. und in den neusten Zeiten darf man wohl auf die erfreulichsten Veränderungen und Verbesserungen dieser Sitze der Gelehrten von Profession, der Universitäten Deutschlands, aufsehen, über deren Reform jetzt – denn so will es nun einmahl der Geist der Zeit – so viel für und wider zur Publicität kommt.


Fußnoten

1 Die neuesten merkwürdigen Statuten über Einrichtung der Universität zu Paris können hier einstweilen nur angedeutet werden.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 6. Amsterdam 1809, S. 273-277.
Lizenz:
Faksimiles:
273 | 274 | 275 | 276 | 277
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Waldsteig

Der Waldsteig

Der neurotische Tiberius Kneigt, ein Freund des Erzählers, begegnet auf einem Waldspaziergang einem Mädchen mit einem Korb voller Erdbeeren, die sie ihm nicht verkaufen will, ihm aber »einen ganz kleinen Teil derselben« schenkt. Die idyllische Liebesgeschichte schildert die Gesundung eines an Zwangsvorstellungen leidenden »Narren«, als dessen sexuelle Hemmungen sich lösen.

52 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon