Großbritannien und Irland

[134] Großbritannien und Irland. Großbritannien begreift die beiden größten Inseln in Europa, England und Schottland, in sich, welches letztere auch Nordbritannien genannt wird. Da alle drei Inseln, England, Schottland und Irland, von der Nordsee und in Süden von dem Atlantischen Meere und dem Canal umgeben sind, so ist hierdurch ihre natürliche Gränze von den Niederlanden, von Deutschland, Dännemark und Norwegen bestimmt. Randel nimmt für die Größe von Großbritannien und Irland [134] 6036 Quadratmeilen an; Templemann, welcher dieselbe am genauesten berechnet, 104,701 Engl. Quadratmeilen, von denen 27,794 auf Schottland, und 27,457 auf Irland kommen. Die Bevölkerung aller drei Reiche, welche sehr im Steigen ist und Randel nicht höher als 9 Millionen angiebt, beträgt gewiß 12 Millionen. In Irland lebten um 1786 wohl 2,500,000 Menschen; und wiewohl von England und Schottland keine allgemeinen Zählungen der Volksmenge vorhanden sind, so kann man doch auf das erstere wenigstens 8 Millionen und für das letztere 1,700,000 annehmen. Das Clima ist, im allgemeinen, im Sommer und Winter gemäßigter als in andern Ländern, die unter derselben Polhöhe liegen, allein wegen der Seeluft feucht und veränderlich, doch, trotz des hinzukommenden Steinkohlendampfes, nicht ungesund; das gebirgige Schottland ist trockner und kälter, Irland dagegen feuchter als England, welches, die nördliche und westliche Seite ausgenommen, eben und romantisch schön ist. Die ansehnlichsten Flüsse sind in England die Themse, Saverne, der Trent und der Humber; in Schottland der Tay und Nesse; in Irland der Shannon: und die Verbindung dieser Flüsse durch Canäle (unter denen der Bridgewatersche, durch den der Herzog von Bridgewater, welchem England die inländische Schifffahrt verdankt, die erst 1759 entstand, auf die künstlichste Weise die beiden großen Städte Manchester und Liverpool verband, der berühmteste ist) ist für die innere Communication überaus vortheilhaft. England wird, nach der ältern gewöhnlichen Eintheilung, in folgende sieben Angelsächsische Königreiche oder Landschaften getheilt: Essex, Kent, Sussex, Westsex, Ostangeln, Mercia, Northumberland: allein gegenwärtig theilt man es in vierzig, und nebst dem seit 1536 vereinigten Lande Wales in zwei und funfzig Grafschaften oder Schires (sprich Scheiers); von diesen liegen 21 mitten im Lande, unter diesen Middlesex, wo London liegt, eine der kleinsten Landschaften aber die angebauteste. Schottland, dessen gebirgiger, rauher, nördlicher Theil Hochland, und der meistens flache und niedrige südöstliche Niederland genannt wird, besteht aus drei und dreißig Grafschaften (genauer [135] zu reden, aus 31 Schires und 2 Stewartries). Irland wird in die vier Provinzen, Lincester (hierzu gehört die Grafschaft Dublin, in welcher die Hauptstadt des Königreichs gleiches Namens), Ulster, Connaught und Münster, getheilt, welche zusammen zwei und dreißig Grafschaften (Counties) enthalten. Ueberdieß haben die Engländer in allen fünf Erdtheilen die wichtigsten Besitzungen: in Europa besitzen sie die Inseln Jersey, Guernsey, nebst einigen andern, und die Festung Gibraltar (die Churbraunschweigischen Lande besitzt der König von England für sich selbst); in Asien hat die Englisch- Ostindische Compagnie seit 1763 ihre Besitzungen so sehr erweitert (s. Bengalen, Clive, Ostindische Compagnie), daß der gegenwärtige Umfang derselben alle Europäischen Länder des Mutterstaats bei weiten übertrifft; in Afrika hat Großbritannien die freie Schifffahrt auf dem Senegal, nebst verschiedenen Inseln und Forts (von der Colonie zu Sierra Leone siehe den Artikel S i. L.); in Nordamerika, wo sich seit 1783 das Britische Gebiet sehr gemindert hat (s. Revolution von Nordamerika), besitzt England noch einige Ländereien am Hudsonsbusen, Canada, Neufoundland, Neuschottland, nebst der Insel Cap Breton, und in Westindien die Inseln Jamaika, Barbados, St. Vincent, Dominique und andre Antillen, auch die Bahama und Bermudischen Inseln; in Australien endlich besitzen die Engländer alle von ihnen zuerst entdeckten Inseln. Großbritanniens und Irlands vorzüglichste Producte sind: in England und Irland Getreide (es ist anmerklich, daß die Engländer fast lauter Weizenbrot essen); in allen drei Inseln Vieh- vorzüglich Schaaf- und Pferdezucht (Eduard IV. ließ in der letzten Hälfte des 15. Jahrhunderts 3000 Stück Schaafe aus Spanien kommen, und in alle Kirchspiele mit dem Befehl vertheilen, die gemeinen Schaafe von den Spanischen Schaafen befruchten zu lassen, und in sieben Jahren kein Lamm zu schlachten. Gegenwärtig besitzt England mehr Schaafe und erzeugt mehr Wolle, als irgend ein Reich in Europa); in England und Schottland Fische, Steinkohlen (Großbritanniens Hauptproduct), Blei und mehrere Mineralien; in England vorzüglich Zinn (nach den Steinkohlen das wichtigste Englische Product); und in [136] Schottland Heringe. Mangel leidet Großbritannien vorzüglich an Bauholz, Hanf und Flachs. Wenn man zu allem diesem, was so eben über Großbritanniens äußere Lage, die Erleichterung der innern Communication, seine auswärtigen ungeheuern Besitzungen, und die vortrefflichen inländischen Producte gesagt worden ist, noch die Betriebsamkeit, den Speculations- und Unternehmungsgeist der Nation hinzusetzt; so kann man sich leicht erklären, wie dieses Reich nicht nur seine Manufacturen, unter denen die Wollmanufacturen die vorzüglichsten sind, und den innern Handel zu ihrer bewundernswürdigen Höhe haben emportreiben, sondern wie es auch im auswärtigen Handel den ersten Platz unter den handelnden Nationen behaupten können. Zu dem letzten Vorzug trägt nicht wenig bei, daß Vervollkommnung ihrer Seemacht, welche die erste in der Welt ist, und Eroberungssucht bei den Engländern zum System geworden sind. Der größte Theil des Englischen Handels wird durch Handelsgesellschaften getrieben, unter welchen die Ostindische die berühmteste ist. Die wichtigsten Handelsstädte sind London, Liverpool, Bristol, Hull, Newcastle etc. Der Handel, den die Engländer außer Europa treiben, ist ohne Zweifel der wichtigste; und er hat in Amerika durch den Verlust der Amerikanischen Colonien nicht so sehr gelitten, als man besorgt hat. Der Europäische Handel ist für England nicht immer gleich vortheilhaft; gegen Deutschland verliert England, gewinnt aber seinen Verlust wieder, da es einen großen Theil der Deutschen Waren nach seinen auswärtigen Besitzungen verschickt. Die wichtigen Eroberungen der vorzüglichsten Gewürzinseln, wie auch die des Vorgebirges der guten Hoffnung, die England in dem gegenwärtigen Kriege gemacht, würden, falls es dieselben behalten könnte, dessen Handel ungemein erhöhen, und denselben für höchstwichtige Producte des Luxus in ein Monopol verwandeln. Einen nicht minder hohen Grad von Vollkommenheit haben die Engländer in den Wissenschaften und schönen Künsten erreicht; eben so sehr die Folge ihres natürlichen Genies als der allgemeinen Achtung und Unterstützung, welche Wissenschaften und Künste bei dieser Nation genießen. Indessen stehen die Englischen Universitäten den Deutschen sehr nach; vielleicht gerade eine Ursache der Originalität der [137] Englischen Gelehrten, da sie sich größten Theils selbst bilden müssen. Ueberhaupt ist Originalität, auch in sittlicher Hinsicht, ein Hauptzug des Englischen Charakters; und sie scheint eben so sehr eine Folge der Englischen Freiheitsliebe als der Liebe zum Sonderbaren zu sein. Hierbei ist der Engländer offen, leidenschaftlich, standhaft, vorzüglich aber eingenommen für seine Nation und wider alle Fremden. Die Schotten werden von den Engländern eben so sehr gehaßt als verachtet. Englands ältesten Einwohner waren Celten oder Gallier. Nach Christi Geburt kam es unter die Herrschaft der Römer; nachher wurde es nach und nach von den Sachsen, Dänen und Franzosen besessen. Eine Folge hiervon war, daß die Englische Sprache (welche in England geredet wird; in Wales wird Wälsch, in Nord- oder Hochschottland und in Irland Gallisch oder Irisch gesprochen) eine Zusammensetzung aus der alten Brittischen, Lateinischen, Sächsischen, Dänischen und Französischen ward. Und es ist sonderbar, daß, selbst nachdem England mehr innere National Consistenz erlangt hatte, es dennoch, wie noch gegenwärtig der Fall ist, von neuen sich von Königen aus fremden Nationen regieren ließ. Ueber Großbritanniens und Irlands Staatsverfassung s. die Art. Englische Constitution und Parlament in England. Ob sich diese Verfassung, wie sie jetzt besteht, noch lange erhalten werde, ist eine Frage, welche jetzt häufig aufgeworfen wird. Es sind vorzüglich zwei Punkte, wegen welcher man, vielleicht nicht ohne Grund, wichtige Veränderungen fürchtet: die immer weiter sich erstreckende Einschränkung der Englischen Freiheit, des Idols der Britten; und dann die alljährlich in steigenden Verhältnissen anwachsende Nationalschuld, deren jährlich zu entrichtende Interessen eine unglaubliche Häufung der Volksabgaben veranlassen. Zu Anfange dieses Jahrhunderts betrugen die Nationalschulden etwa zwanzig Millionen Pfund Sterling, und schon damahls weißagten Politiker einen Staatsbankerott; allein zu welcher fürchterlichen Höhe sind dieselben nicht gegenwärtig gestiegen! Der letzte Krieg mit Nordamerika allein hat über 110 Millionen gekostet. Zu Ende des Jahres 1785 war die Nationalschuld 240,188,848 Pfund oder 1441,138,088 Thaler, und gegenwärtig wird sie von Thomas Payne zu 400 Millionen Pf. St. [138] angegeben. Die Nationalschulden sind fundirte oder unfundirte; fundirt heißen sie, wenn das Parlament Auflagen zur Bezahlung der Zinsen angewiesen hat. Die Actien der Staatsgläubiger heißen Stocks, deren Werth sehr veränderlich ist, je nachdem der Credit der Regierung in Ansehung der sichern Auszahlung der Zinsen steigt oder fällt. Eine andere Art von Nationalschuld sind die Bauknoten der Londner Bank – dieser geheimnißvollen Staatsmaschine (um mit Archenholz zu reden), des größten Meisterstücks der Finanzwissenschaft, das vielleicht je auf Erden gesehen worden, welche das einzige Institut in England ist, dessen Inneres vor den Augen des Volks verborgen ist, und es der Natur der Sache gemäß auch sein muß; ich setze hinzu, aber es vielleicht nicht mehr ist. Der Werth der im Umlaufe seienden Banknoten (welche gleich barem Gelde gelten) wurde vor zehn Jahren zu 17,780,000 Pf. St. berechnet. Thomas Payne bestimmt denselben gegenwärtig zu 60 Millionen. Wenn nun, wie Georg Chalmers behauptet, der Betrag alles Gold- und Silbergeldes in ganz Großbritannien sich nicht höher als ungefähr zwanzig Millionen Pf. St. beläuft (von welcher Summe die Londner Bank natürlich nur einen sehr kleinen Theil besitzen kann), so ist es wohl unmöglich, daß dieselbe je im Stande sei, auch nur einen mäßigen Theil ihrer Noten einzulösen. Die Hauptsache ist, daß der Staat mit der Bank in einer geheim gehaltenen Verbindung steht: die Banknoten werden daher ungeheuer vermehrt; auch werden die Zinsen der Nationalschulden in Banknoten abgetragen, dagegen auch die Taxen in solchen bezahlt werden – denn diese in Münze zu bezahlen, hat die Nation nicht Gold und Silber genug. – Man sieht aus diesem allem, wie groß in England auf der einen Seite die Abgaben sein müssen, und wie auf der andern durch die ungeheuere Circulation des Papiergeldes nichts anders als Theurung der Bedürfnisse einreißen könne, wodurch die ohnedieß große Zahl der Armen und Bettler überaus steigen muß, zu deren Versorgung der jährliche Staatsbeitrag von achtzehn Millionen Thaler nicht hinreichend ist. – Die Religion betreffend, so ist in England und Irland die episcopal- oder hohe Kirche, in Schottland aber die presbyterianische die [139] herrschende: alle andere Religionssecten, die Römischkatholischen, Lutheraner, Quäker etc. werden Dissenters genannt (man sehe diesen Artikel nach) und geduldet; jedoch müssen die Katholiken, gegen welche die ehemahligen Strafgesetze nur zum Theil aufgehoben sind, von ihren Ländereien doppelt so viel als die andern Güterbesitzer steuern.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 2. Amsterdam 1809, S. 134-140.
Lizenz:
Faksimiles:
134 | 135 | 136 | 137 | 138 | 139 | 140
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Frau Beate und ihr Sohn

Frau Beate und ihr Sohn

Beate Heinold lebt seit dem Tode ihres Mannes allein mit ihrem Sohn Hugo in einer Villa am See und versucht, ihn vor möglichen erotischen Abenteuern abzuschirmen. Indes gibt sie selbst dem Werben des jungen Fritz, einem Schulfreund von Hugo, nach und verliert sich zwischen erotischen Wunschvorstellungen, Schuld- und Schamgefühlen.

64 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon