Marseille

[85] Marseille, nach der neuen Französischen Geographie die Hauptstadt des Departements Rhone-Mündungen, eine große und schöne Französische Handelsstadt an der Küste von Provence, mit einem Freihafen, wird in die alte und neue Stadt getheilt, in welcher letztern vorzüglich schöne Häuser sind. Vorzüglich schön daselbst ist die berühmte Vista (Aussicht) auf einer Höhe, eine halbe Stunde vor Marseille, von welcher man das Mittelländische Meer vor sich, und zur linken die unzähligen weißen Bastiden (so heißen die Lusthäuser vor Marseille) übersieht. Nicht minder anziehend ist der so genannte Cours; ein Spaziergang, wo besonders Sonntags und Freitags Abends ein überraschendes Menschengewühl ist. Marseille zählte vor der Revolution gegen 90,000 Einwohner, hatte beträchtliche Fabriken von Alaun, Seide, Galanteriewaaren, Seife, Korallen u. a. und trieb einen ansehnlichen Handel nach der Levante und nach der Nordafrikanischen Küste. Durch die Revolution hat jedoch diese Stadt – welche fünf hundert Jahr vor Christi Geburt von emigrirten Klein-Asiaten gestiftet wurde, zuerst den Weinstock und die Olive nach Frankreich[85] brachte, und unter den Römern wegen der Feinheit ihrer Sitten berühmt war – überaus gelitten. Anfangs waren die Marseiller die ersten Beförderer der Revolution im Süden von Frankreich, und ihre Freiwilligen hatten am 10. August am kühnsten vorangefochten. Dieß zeigt auch schon der berühmte Marseiller Marsch: wiewohl man irrt, wenn man glaubt, daß sie ohne denselben zu singen nie gegen den Feind gerückt seien; sie sangen ihn, wie natürlich, in Stunden der Ruhe. »Als aber Robespierre und der Berg sich die Herrschaft im National-Convent zu verschaffen suchten, und das Schreckenssystem seinen Anfang nahm, suchten die großen Städte Marseille, Toulon, Lyon nebst Bourdeaux, von Natur Rivale der Hauptstadt, und durch die daselbst herrschenden Gräuel um so mehr empört, da sie wirklich viele königlich-Gesinnte in sich faßten, im mittägigen Frankreich eine Gegenrevolution zu bewirken. So wie ihnen aber überhaupt der anhaltende Ernst fehlte, so hatten sie auch keinen Vereinigungspunkt, wie ihn die Jacobiner schon an dem National-Convent hatten. Indessen wagten vorzüglich Marseille und Lyon kühnen Versuche.« (Vergl. den Art. Lyon.) Den 3. Juni 1793 wurde der Jacobiner-Club zu Marseille gänzlich geschlossen und die Stadt wegen dieses Ereignisses beleuchtet. Marseille bewaffnete sich, nachdem es seine Deputirten abgerufen hatte, und nannte diese Bewaffnung eine force departementale. Schon waren die Marseiller bis über Avignon vorgerückt, um sich mit den Lyonesern zu vereinigen (die mehrsten andern Departements, welche der Gegenrevolution beigetreten waren, hatten nach der Bekanntmachnung der neuen (zweiten) Constitution und einer Amnestie, den 27. Juni, ihre Gesinnungen geändert), als General Cartaux, welcher gegen sie geschickt worden war, sie nach dem entscheidenden Treffen vom 27. Aug. völlig überwand und am 28. als Sieger in Marseille einzog, da dann diese Stadt ein sehr trauriges Schicksal erfuhr. – Uebrigens sind noch immer viele Royalisten in Marseille, und nur unlängst haben dieselben wieder einen Aufstand daselbst veranlaßt.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 3. Amsterdam 1809, S. 85-86.
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