Neapel und Sicilien

[224] Neapel und Sicilien. Diese beiden Königreiche sind seit drei hundert Jahren fast ununterbrochen (auch schon mehrere Mahle im Mittelalter) unter einer Regierung vereinigt; sie werden daher oft beide Sicilien genannt. Sicilien, die größte Insel des Mittelländischen Meeres, ist von Neapel, welches Unteritalien ausmacht, bloß durch eine schmale Meerenge (Faro di Messina) getrennt, wodurch die Vermuthung bestätigt wird, daß beide Länder ehedem zusammenhingen und durch ein Erdbeben von einander gerissen wurden. Beide Länder gehören zu den schönsten und fruchtbarsten in der Welt. Neapel begreift 1260 Quadratmeilen, und zählt 4,815,182 Menschen; von Sicilien wird die Größe 576 Quadratmeilen, und die Menschenzahl 1,300,000 angegeben. Beide Reiche sind fruchtbar an Getreide, Oehl, Wein, Seide und andern edeln Früchten, während sich Neapel besonders durch seine Pferde, und Sicilien durch seinen Ueberfluß an Getreide auszeichnet. So beneidenswerth die Schönheit, das warme Clima und die Fruchtbarkeit des Bodens beider Länder den Aufenthalt in denselben machen, so gefährlich ist derselbe wegen der Erdbeben, welche durch die feierspeienden Berge, den Vesuv in Neapel und den Aetna in Sicilien, verursacht werden (s. die Art. Calabrien und Messina). Neapel besteht aus den vier Hauptprovinzen: Abruzzo, Terradi Lavoro (hier ist die Hauptstadt Neapel, der Flecken Portici mit dem königlichen Pallast, auch der Vesuv), Puglia und Calabrien, und wird in zwölf Landschaften eingetheilt. Sicilien wird in die drei Landschaften Val di Mazzara (wo die Hauptstadt Palermo), Val di Demona (wo Messina und der Aetna liegen) und Val di Noto getheilt; auch gehören auf der nördlichen Seite die Liparischen, und auf der Westseite die Aegatischen Inseln dazu. Die Einkünfte des Königs von Neapel aus beiden Reichen betragen 6½ Millionen Thaler nach dem 20 Gulden-Fuß, würden aber ohne[224] die beträchtlichen Revenüen der Geistlichkeit noch größer sein. Ueberhaupt besitzt die Geistlichkeit in beiden Reichen große Vorrechte zum großen Nachtheil des Volks, welche jedoch unter der jetzigen Regierung sehr eingeschränt worden sind. Der König konnte dieses um so eher thun, da er in Sicilien das besondre Prärogativ hat, beständiger Legat des Römischen Stuhls zu sein, und daher hier große geistliche Gewalt besitzt, die durch die Vereinigung Siciliens mit Neapel der Wirkung nach auch auf dieses Reich übergeht, wiewohl dasselbe ein päpstliches Lehen ist. Carl von Anjon (s. den Art Conradin) bekannte (1264), daß er Neapel bloß aus Gnade und Großmuth des Papstes erhalten habe, und verpflichtete sich auch zu jährlicher Entrichtung eines Zinses von 8000 Unzen Goldes, und je alle drei Jahre wollte er dem Papst, als wahrem Herrn seines Reichs, einen weißen Zelter nach Romischicken. Von dieser Zeit an schreibt sich die Ceremonie des vom König von Neapel dem Papste zugeschickten weißen Zelters nebst dem Geschenk an Gelde. Im Jahr 1788 weigerte sich jedoch der König, den Zelter ferner zu schicken, und wollte bloß die Geldsumme als ein frommes Opfer entrichten; hierüber kam es zu Streitigkeiten mit dem Papste, welche noch nicht beigelegt sind. Der regierende König von Neapel ist der Bruder des Königs von Spanien. – Das Königreich Neapel und Sicilien war von 1458 an eine Spanische Provinz (s. Ferdinand V.) und stand zwei Jahrhunderte lang unter Spanischen Vicekönigen, bis es nach dem Spanischen Successionskriege im Utrechter Frieden 1713 zwischen Oestreich und Sardinien getheilt wurde, so daß ersteres Neapel, letzteres Sicilien erhielt. Diese Theilung dauerte jedoch eben so kurze Zeit, als die bald darauf erfolgte Vereinigung derselben durch Kaiser Carl VI. Im Wiener Frieden 1735 erhielt der Spanische Infant Don Carlos Neapel und Sicilien, welcher, als er 1759 den Spanischen Thron bestieg, beide Reiche seinem dritten noch minderjährigen Sohne, dem jetzigen König Ferdinand IV. überließ; jedoch sollen kraft eines neuen Familiengesetzes dieses Bourbonischen Hauses diese Reiche nie mit Spanien vereinigt werden. Der König [225] ist sehr wirksam für das Beste seiner Staaten, nicht minder ist es seine Gemahlin; nur ist zu bedauern, daß Sicilien weniger dabei gewinnt als Neapel, indem nicht nur die Einkünfte des Staats und der angesehensten Familien größten Theils nach Neapel gehen, sondern auch Siciliens Hauptstadt, Palermo, zu parteiisch begünstigt wird. – In dem neuesten Französischen Kriege bewies sich der König von Neapel gleich anfangs als einen Feind der Republik, und sein Gesandter hatte bei der Pforte die Aufnahme des Fränkischen Gesandten Semonville aus allen Kräften zu hintertreiben gesucht. Plötzlich erschien ein Fränkisches Geschwader unter dem Gegenadmiral la Touche in dem Hafen vor Neapel; ein Französischer Gesandter steigt aus Land und erklärt dem König, »er habe zu wählen, ob er, zur Genugthuung des der Französischen Nation angethanen Schimpfs, einen Gesandten an die Republik schicken und seinen bisherigen Gesandten in Constantinopel zurückrufen – oder von demselben Augenblicke an Krieg mit Frankreich haben wolle.« Der König willigte zwar vorerst in alles, und erkannte feierlich die Französische Republik (zu Ende des J. 1792); allein zu Ende des Sommers 1793 trat er öffentlich der Coalition wider Frankreich bei, und beharrte, selbst nachdem die Franzosen die ganze Lombardie überwältigt hatten, mit Aufbietung aller Kräfte (er selbst übernahm das Commando) dabei, bis er endlich, während der thätigsten Zurüstungen, zu Paris den Frieden unterhandeln ließ, welcher unter sehr vortheilhaften Bedingungen für Neapel am 10. Oct. 1796 deselbst geschlossen und am 2. Nov. vom Könige bestätigt wurde.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 3. Amsterdam 1809, S. 224-226.
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