Ninon von Lenclos

[383] Ninon von Lenclos. Dieses berühmte und in der That originelle Frauenzimmer, über welches die Stimmen der größten Männer ihrer Nation getheilt sind, indem Voltaire sie vertheidigt, während Rousseau sie lästert, wurde im J. 1615 zu Paris geboren, und starb 1705. Sie verlor ihre Aeltern, von denen die Mutter sie zum Beten, der Vater zum Vergnügen erzog, in einem Alter von funfzehn Jahren. Von Natur mit glänzenden Talenten und einer eignen Liebe zur Unabhängigkeit versehen, bildete sie jene aus, und verschaffte sich diese, indem sie ihr nicht unbeträchtliches Vermögen auf Leibrenten gab, und den festen Entschluß faßte, nie eine feste Verbindung einzugehen. Sie war sehr unbeständig und flatterhaft in der Liebe, die sie für ein bloßes Sinnenspiel hielt; desto fester und treuer war sie gegen ihre Freunde, in welche sie nach dem Taumel der Leidenschaft, mit der seltensten Kunst, einen ihrer Liebhaber nach dem andern zu verwandeln wußte. Die größten und feinsten Männer ihrer Zeit, ein Coligny, Conde, Gourville, Rochefoncault, Sevigne, Villarceaux u. A. schätzten es sich zum Glück, erst ihre Liebhaber, dann ihre Freunde zu sein. Einer ihrer Liebhaber, la Chatre, wurde aus den Armen der Liebe zur Armee gerufen, und Ninon mußte ihm die heiligsten Versicherungen geben, während seiner Abwesenheit keinen Andern zu lieben; allein auch er er fuhr bei seiner Rückkehr ihren Leichtsinn. Sie hatte zwei Söhne. Um den einen stritten sich der Graf dʼEstreʼes und der Abbeʼ dʼEffiat; die Sache wurde durch das Loos entschieden, nach welchem dem Grafen das Vaterrecht zufiel: der andere, Graf von Gersay, den sein Vater erzogen hatte, ohne ihm seine Mutter bekannt zu machen, verliebte sich in dieselbe, und erstach sich aus Verzweiflung, als er das erwähnte Geheimniß erfuhr. Ihr Haus war der Mittelpunkt des guten Tons und der feinsten Sitten; und es gereichte allgemein zur Empfehlung, darin aufgenommen zu sein. Die berühmtesten Gelehrten ihrer Zeit, ein St. Evremond, Fontenelle, Moliere, Scarron,[383] schätzten ihren Geist so sehr, daß sie sie bei ihren Werken um Rath fragten. Die Briefe, die man von der Ninon an den Marquis von Sevigné hat, so wie der unlängst herausgekommene und von Herrn Stampeel ins Deutsche übersetzte Briefwechsel zwischen derselben, dem Marquis von Villarceaux und der Dem. dʼAubigné sind höchst wahrscheinlich untergeschoben; da hingegen man einige echte Briefe von ihr in den Werken von St. Evremond findet.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 2. Amsterdam 1809, S. 383-384.
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