Niobe

[262] Niobe, (Mythol.) Tochter des Tantalus und Gemahlin des berühmten Amphion in Theben (s. diesen Art.), ist in der Fabelwelt wegen des traurigen Schicksals ihrer Kinder merkwürdig. Sie hatte nach Homer sechs Sohne und eben so viel Töchter (Ovid und andre Dichter legen ihr sieben Söhne und sieben Töchter bei), und war auf den Besitz dieser zahlreichen Nachkommenschaft so stolz, daß sie Latonen, die bekanntlich nur zwei Kinder, den Apollo und die Diana, hatte, öffentlich verspottete und mehr Verehrung als jene Göttin verlangte. Gekränkt über diesen Schimpf, bat Latona ihre Kinder, die Stolze zu bestrafen: diese eilten nach ihrer Wohnung; und Apoll erlegte die Söhne, Diana die Töchter Niobens durch Pfeilschüsse. Niobe wurde hierüber vom heftigsten Schmerz ergriffen, und endlich unter ihren sprachlosen Klagen in einen Stein verwandelt. Ein [262] Sturmwind schleuderte diesen Stein aus Griechenland nach Asien auf den Berg Sipylos, wo er der Fabel zu Folge unaufhörlich weinen soll. Dieser Vorfall, unter dem ohne Zweifel wahre historische Umstände verborgen liegen – vielleicht eine Pest, die der stolzen Mutter auf einmahl alle ihre Kinder raubte, wobei sie endlich selbst ein Opfer ihres Schmerzes ward –, hat den Dichtern und Künstlern der Griechen und Römer Stoff zu vortrefflichen Meisterwerken gegeben; und wir besitzen noch viele unnachahmliche Dichtungen und Werke der bildenden Künste über diese Begebenheit. Vorzüglich schön ist eine in Stein gehauene Gruppe, die 1770 aus Rom nach Florenz kam, und Nioben nebst ihren sterbenden Kindern darstellt.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 3. Amsterdam 1809, S. 262-263.
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