[93] Rede, im allgemeinsten Sinne, der Ausdruck menschlicher Gedanken durch Worte, im engern, ein Werk der Beredsamkeit. Die gemeine Rede, deren Vollkommenheit in grammatischer Richtigkeit, in Deutlichkeit und Bestimmtheit des Ausdrucks besteht, gehört nicht hieher. Eine Unterart derselben, der Briefstyl, hat noch seine besondern Regeln. – Die höhere Rede kann nach der äußern Form, nach der innern Form, nach dem Zwecke, nach dem Inhalte beurtheilt werden. 1) Die äußere Form muß sie von der gemeinen Rede durch Ton, Würde und Anstand, Reinheit und Gleichheit des Ausdrucks, Ründe und Fülle der Perioden, Wohlklang unterscheiden. 2) Die innere Form wird mehr durch den Zweck bestimmt. Ob z. B. die Rede sich durch einen langen Eingang den Weg zu ihrem Hauptzwecke bahne, oder sogleich mitten in die Materie hineingehe, ob sie diese vorher kurz und deutlich angebe und ankündige, ehe sie dieselbe entwickelt, oder erst in der Entwickelung finden lasse, ob sie sie in Unterabtheilungen zerspalte, oder in Masse darstelle, ob sie den Inhalt am Ende noch wiederhohle und einen Schluß daraus ableite – das kann nicht durch unwandelbare Regeln bestimmt, und muß durch die Absicht und Umstände entschieden werden. 3) Der Zweck der Rede (nach den 3 Hauptvermögen des menschlichen Geistes) geht auf a) Belehrung und Ueberzeugung, b) Rührung, Erregung und Ausdruck trauriger oder angenehmer Gefühle, Freude, Trauer, Dankbarkeit, Bewunderung, Liebe, Abscheu, c) Bestimmung des Willens zu Entschluß und Handlung – Ermahnung. Diese Zwecke sind nicht leicht zu erreichen. Der erste setzt einen ungemeinen Umfang von Kenntnissen, die beiden letztern besonders Bekanntschaft mit dem menschlichen Herzen und seinen Triebwerken voraus. Quintilian fordert mit Recht von dem Redner Stärke des Geistes, Innigkeit und Wärme des Gefühls. Die erste ist ihm nöthig, um seine Hauptsache immer vor Augen zu haben, alle ihr fremde Nebenvorstellungen zu entfernen, und insbesondere [93] sein Ich, das Interesse seiner Person und seiner Eitelkeit ganz aus dem Gesichtskreise hinauszustoßen; denn sobald diese hervorschimmern, ist der Zweck verfehlt oder verschoben. – Will man sich davon überzeugen; daß außerordentliche Geistesstärke die Anlage zum großen Redner bezeichne, so denke man nur an Demosthenes, der durch mühselige jahrelange Vorübungen, durch fast übermenschlichen Kampf mit einer undankbaren Natur die Vorzüge errang, die ihm jene ganz versagt hatte; man erinnere sich an Mirabeau, an seine Nachtwachen, sein Fasten, seine Herrschaft über Schmerz und Krankheit, sein rastloses Arbeiten bis zu Erblindung und Ohnmacht. – Innigkeit des Gefühls, welche den Gegenstand mit ungetheiltem Interesse umfaßt, Eifer für Recht, Wahrheit, Ordnung, Lebhaftigkeit und Gewandheit, um die Sache von allen Seiten dem Zuhörer zuzukehren, sind andere wesentliche Eigenschaften des Redners. Die Wärme des Gefühls ist die Nährerin der Einbildungskraft, dem Redner so unentbehrlich als dem Dichter. – Viele Wahrheiten können nur in Bildern versinnlicht in den Geist der Menge eindringen, alle werden lebendiger, wenn sie die Einbildungskraft einkleidet und gleichsam verkörpert. 4) Der Materie nach sind die Reden gerichtliche Vorträge, Apologien (Schutzreden), Staatsreden, Lobreden, Festreden, moralische Reden – Gedächtnißreden u. s. w. Die Deutschen haben, wenn man den Schriftsteller und seltne Veranlassungen, z. B. Landtage, Versammlungen der Stände, Akademien, ausnimmt, fast keine andere Materie zu öffentlichen Reden, als das weite Feld der Moral. Die Orientalischen Völker, großentheils despotisch regiert oder herumschweifend, haben auch keine Veranlassung zu Versammlungen und Reden. Die Griechischen Freistaaten und Rom waren die Wiege und Pflanzschule der Beredsamkeit. Sparta war durch seine kriegerische Verfassung und durch den Geist der Nothdürftigkeit und Gedrängtheit – zu diesen Uebungen weniger geeignet. Aber das demokratische und von politischem Interesse ganz regierte Athen war ihnen außerst günstig. Hier glänzten die größten Redner, Demosthenes, Aeschines, Lysias, Antisthenes, Demades u. A. – Auch die alten Feldherren entflammten ihre Heere durch das Feuer der Redekunst; Thucidides, Livius u. A. haben uns [94] Muster solcher Reden aufbewahrt; und die neuern Französischen Heerführer haben sie mit Erfolg nachgeahmt. Unter den spätern Griechischen Rednern zeichnen wir noch Libanius und den christlichen Redner Chrpsostomus aus. Unter den Lateinern: Cicero, Antonius, Cäsar, Plinius, den Lobredner Trajans. – Unter den Franzosen: Bourdaloue, Flechier, Massillon, Saurin, Fenelon, Romilly, Bertrand, geistliche Redner; Mirabegu, Maury, Cazales, Vergniaux, Guadet, Brissot, Condorcer, Barrere u. A. politische Redner. Aber Ronsseau war, ohne öffentlich aufzutreten, wohl der beredtste Franzose des Jahrhunderts. Unter den Engländern: Tillotson, Sherlock, Sterne, Blaire, Clarke, geistliche Redner; Pitt, Sheridan, For, Walpole, Wilke, politische Redner. Deutschland hat, wie gesagt, fast nur im moralischen Fache große Redner erzeugt, unter denen Mosheim, Cramer, Jerusalem, Zollikofer, Spalding, Löffler, Teller bekannt genug sind; vieler Neuerer, z. B. des Verfassers der Reden über die Religion, nicht zu erwähnen.
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