Rede

[677] Rede (lat. Oratio), im allgemeinen die sprachliche Darstellung der Gedanken; im engern Sinne die zusammenhängende, logisch geordnete und kunstgemäß ausgearbeitete Darlegung eines Gedankens oder einheitlichen Zusammenhanges von Gedanken mit dem Zweck, die Einsicht, zugleich aber auch das Herz der Hörer für eine Sache zu gewinnen. Besondere Arten der R. bezeichnen die politischen Reden, die irgend welche Interessen des staatlichen Gemeinwesens vertreten, die gerichtlichen Reden, die anklagen oder verteidigen, die geistlichen Reden, die auf religiöse Überzeugung und Erbauung abzielen (s. Predigt), die Lobreden, die bestimmt sind, die Verdienste eines Lebenden oder Toten zu verherrlichen (z. B. Engels R. auf Friedrich d. Gr., Goethes R. auf Wieland, die französischen »Éloges«), die Schulreden oder Reden bei akademischen und Schulfeierlichkeiten, die der Hauptsache nach Abhandlungen über wissenschaftliche Themata zu sein pflegen (z. B. Schillers R.: »Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?«), die Begrüßungs- und Festreden, Ansprachen und andre Gelegenheitsreden. Den Inbegriff der Regeln und Gesetze der Redekunst gibt die Rhetorik (s. d.). Was den Bau einer R. betrifft, so zerfällt sie im allgemeinen naturgemäß in drei Glieder: den Eingang (exordium), die Ausführung oder Arbhandlung (disputatio) und den Beschluß (conclusio). Der erste Teil, das Exordium, hat nach Cicero die Bestimmung, den Zuhörer wohlwollend, aufmerksam und gelehrig (benevolum, attentum, docil em) zu machen, und wird von ihm diesem Zweck gemäß wieder in drei Unterglieder zerlegt: a) die sogen. Captatio benevolentiae, mit der sich der Redner an das Gefühl des Zuhörers wendet und dessen Geneigtheit zu gewinnen sucht; b) die Narratio facti, die Erzählung des der R. vorliegenden tatsächlichen Anlasses, wodurch die Aufmerksamkeit des Zuhörers erregt wird, und c) die Expositio, d. h. die Darlegung des Hauptgedankens oder der theoretischen Wahrheit, die sich aus jenem faktischen Anlaß ergibt und die als Thema im folgenden zweiten Hauptteil der R. (der disputatio) ausführlicher behandelt werden soll. In diesem zweiten Hauptteil werden von der Schulrhetorik wiederum zwei Teile unterschieden, nämlich a) die Erklärung, die weitere Erörterung und Auseinandersetzung des in der Expositio nur kurz vorgelegten theoretischen Satzes, und b) die Beweisführung. Endlich unterscheidet die Schulrhetorik im dritten Hauptteil, ebenso wie im ersten, drei Unterabteilungen, nämlich a) die Rekapitulation, eine gedrängte Zusammenfassung des Resultats, das sich aus der ganzen weitläufigen Disputatio ergeben; b) den pathetischen Teil; c) den eigentlichen Schluß. Indessen haben alle solche Einleitungen der R. relativ wenig Wert. Nicht diejenige R. ist auch vom ästhetischen Standpunkt die beste, die am meisten einem rhetorischen Schema entspricht, sondern diejenige, welche die wertvollste Einsicht verkündigt und diese am eindringlichsten und wirkungsvollsten verkündigt, die es mit der Wahrheit und Wahrhaftigkeit am genauesten nimmt, die am meisten aus dem Herzen kommt, am klarsten ihre Sache vorbringt, das einheitlichste Bild gibt und sich aufbaut und gliedert, wie es der Natur des Inhalts und dem Zweck der R., ihrer Verständlichkeit und ihrer Wirkung auf Verstand und Gemüt am meisten entspricht, aus der zugleich, vermöge der Art, wie sie diesem Zweck genügt, überall eine reiche, klare, starke und von ihrem Gegenstand ganz erfüllte Individualität herausleuchtet. Was den Stil der R. betrifft, so hat man drei Arten unterschieden: einen niedern, ruhigern, mehr gemütlich ansprechenden, einen gehobenern, erregtern, pathetischern und einen in der Mitte liegenden. Der gehobenern Art des rednerischen Stils gehören die meisten Predigten von Herder an, der mittlern die von Schleiermacher, der niedern endlich die von Balthasar Schupp und Abraham a Santa Clara (Türkenpredigt von 1683). Im übrigen s. den Artikel »Prosa« und die Literatur bei Rhetorik.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 677.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien: