Regalien

[110] Regalien (wörtlich königliche Rechte) heißen im weitern Sinne alle Hoheits- oder Majestätsrechte, d. h. alle zur Erreichung des Staatszwecks nothwendige Befugnisse der höchsten Gewalt, im engern Sinne gewisse Gegenstände, deren Eigenthum dem Staate im Ganzen gehört, deren Benutzung aber nicht den Unterthanen, sondern ausschließend der Staatsgewalt zukommt. Wir beschäftigen uns zuerst mit den Regalien im weitern Sinne, und müssen im Voraus erinnern, daß die besondere Regierungsform eines Staats (ob er nehmlich monarchisch, aristokratisch, demokratisch oder gemischt sei) das Wesen und den Begriff dieser Hoheitsrechte oder Regalien gar nicht ändere, sondern bloß die Personen, welche sie ausüben, verschiedentlich bestimme. – Die höchste Staatsgewalt umfaßt drei besondere Gewalten, nehmlich die gesetzgebende oder Herrschergewalt, d. h. das Recht, Vorschriften zur Erreichung des Staatszwecks der Grundverfassung gemäß zu geben; die richterliche oder Justizgewalt, d. h. das Recht, in vorkommenden bürgerlichen und peinlichen Fällen nach dem Gesetze zu entscheiden; und die vollziehende oder executive Gewalt, d. i. das Recht, die zur Erreichung des Staatszwecks erforderlichen Mittel dem Gesetze gemäß in Ausübung zu bringen. Die Hoheitsrechte bestehen nun entweder in der Aeußerung einer einzigen dieser Gewalten (allgemeine Hoheitsrechte), oder gründen sich auf mehrere dieser Gewalten zugleich (besondere Hoheitsrechte). Ferner entspringen sie [110] entweder unmittelbar undieinzig aus den Grundsätzen des allgemeinen Staatsrechts (wesentliche Hoheitsrechte), oder aus der besondern Verfassung eines einzelnen Staats (zufällige). – Es scheint uns um so nöthiger, die ganze Lehre, so wie sie das Deutsche Staatsrecht lehrt, vorzutragen, da dasselbe das Vernunft-Staatsrecht völlig als Grundlage anerkennt, und es bloß einigen Modificationen unterwirft. Denn auch in dem Deutschen Staatsrechte sind, was A) die allgemeinen Hoheitsrechte anlangt, die gesetzgebende, richterliche und vollziehende Gewalt der Grund aller übrigen; und das Strafrecht ist, wie nach dem philosophischen Staatsrecht, ein Zweig aller drei Gewalten zugleich, da es hierbei zuförderst auf ein Strafgesetz, sodann auf eine Entscheidung nach demselben, und zuletzt auf die Vollstreckung der Entscheidung ankommt. Die gesetzgebende Gewalt erhält aber besondere Aenderungen durch das dem Landesherrn beigelegte Recht, Ausnahmen von den Gesetzen zum Vortheil einzelner Personen zu machen. Diese Ausnahmen sind dreifach, und bestehen a) in Vorrechten, die Einzelnen vor Andern ausschließend ertheilt werden (Privilegien); b) in Entbindung Einzelner von dem Gesetze in Rücksicht auf eine darin verbotene Handlung (Dispensationen); c) in Nichtvollstrekkung der Strafgesetze wider einzelne Verbrecher (Begnadigungen). Aus diesen Rechten fließen drei besondere Regalien, das Recht Privilegien zu ertheilen, das Dispensationsrecht und das Begnadigungsrecht. Es folgen nun B) die besondern Hoheitsrechte. Da die höchste Gewalt theils für die äußere, theils für die innere Sicherheit des Landes wachen soll; so ergiebt sich daraus die Haupteintheilung dieser Hoheitsrechte in solche, die außerhalb des Staats wirken, und solche, die nur innerhalb desselben sich äußern. Erstere bestehen in dem Rechte, Krieg zu führen, Frieden zu schließen, Bündnisse und Verträge einzugehen, und Gesandte zu schikken; zu den letztern aber oder zu den einheimischen Hoheitsrechten gehören, außer dem schon angeführten Strafrechte, und dem Nechte zu Privilegien, Dispensationen und Begnadigungen, noch folgende: 1) das Recht, in Kirchensachen, vermöge [111] dessen die Staatsgewalt zwar keine Herrschaft über Gewissen und Glaubenslehren ausuben, aber doch die Kirche in solchen Schranken halten darf, daß sie dem Staatszwecke nicht hinderlich oder nachtheilig sein kann. 2) die aufsehende Gewalt, oder höchste Aufsicht über alle Handlungen der Unterthanen, die dem Staate in Erreichung seiner Zwecke hinderlich werden dürften. 3) die Polizeigewalt 1, d. h. das Recht, den Staatszweck mittelbar zu befordern, oder die doppelte Befugniß, theils alle auf Vermehrung der Sicherheit, Wohlfahrt und Anständigkeit abzweckende Mittel anzuwenden, theils alle der Erreichung dieser Zwecke im Wege stehende, wirkliche und mögliche, Hindernisse zu entfernen. Da nehmlich die Justizgewalt bloß die schon gestörte Ruhe wieder heruellen, nicht aber Mittel bervorbringen kann, um solchen Störungen vorzubeugen; so muß die gesetzgebende Gewalt durch Gesetze, und die vollziehende durch Anstalten diese Mittel erzeugen, und das Mangelhafte der Justizgewalt auf einem andern Wege ersetzen. Diese Gesetze und Anstalten machen nun den Inbegriff der Polizei aus, die um so umfassender geworden ist, je mehr man in unsern Staaten, außer der Sicherheit, noch die höchstmögliche Wohlfahrt als Staatszweck angenommen hat, in der Ueberzeugung, daß ohne bürgerliche Glückseligkeit und Anständigkeit kein Staat fortdauernd sicher sein könne. Ob die Gränzen dieser Gewalt nicht hier und da überschritten, und die Bürger insgesammt als Unmündige behandelt werden, die ihr wahres Wohl weder zu erkennen noch zu befördern im Stande sind, ist eine andere Frage. Wenigstens findet man, daß in Staaten, wo die Regierung diese Sorge mehr der Einsicht und Thätigkeit der Privatleute überläßt, wie z. B. in Holland, die Sachen eben nicht schlechter stehen, als in solchen, wo dem Bürger alles, bis auf die Kleidung, vorgeschrieben ist. Es gehören hieher a) Anstalten zur Beförderung der persönlichen Sicherheit und zum Schutze des Eigenthums, z. B. Landesvisitationen, Sicherung der Straßen, Anstalten gegen Wassers- und Feuersgefahr, Bevormundungen, Waisen-Armen-Irren- und Arbeitshäuser, [112] Aufsicht über Maß, Gewicht und Münze, endlich alle Anordnungen zur Erhaltung der Gesundheit und zur Verhütung ansteckender Krankheiten, welche letztere die medicinische Polizei ausmachen. b) Anstalten für die Wohfahrt des Ganzen und der Einzelnen, und zwar: erstlich, für moralische und geistige Vervollkommnung, wohin alle Lehr- und Bildungsanstalten, so wie alle Anordnungen zur Verhinderung gemeinschädlicher Laster (Hurerei, Spielsucht u. s. w.) und zur Erhaltung des äußern Anstandes und der Sittsamkeit gehören; zweitens, für die physische Wohlfahrt. Hierher rechne man alle Beförderungsmittel des Nationalreichthums, mithin Sorge für Handel, Industrie, Ackerbau, Anstalten gegen Mangel und Theuerung (welche Gegenstände eben so viele Theile der Staatswirthschaft ausmachen), die Mittel, die Bevölkerung zu vermehren, und die Sorge für öffentliches Vergnügen, für Reinlichkeit und Schönheit. – Die übrigen Hoheitsrechte sind: 4) Ertheilungöffentlicher Aemter und Würden, Standeserhöhungen und Belohungen und 5) die Finanzgewalt, d. h. das Recht, die zur Erhaltung des Staats nothwendigen Geldsummen aufzubringen. Dieser Zweck wird möglich gemacht a) durch unmittelbare Abgaben der Unterthanen (Besteuerungsregal), b) durch zufällige Einkünfte, z. B. Confiscationen, Geldstrafen, Abzugsgelder, c) durch die Regalien im engern Sinne, deren Begriff schon oben angegeben worden ist.

Diese eigentlich so genannten Regalien begreifen folgende einzelne Gegenstände: 1) Die Domainengüter oder Kammergüter, d. h. Ländereien, deren Benutzung der Staat dem Regenten als einen Theil seiner Einkünfte angewiesen hat, von welchen also die Schatullengüter, d. h. solche, die dem Regenten eigenthümlich gehören, unterschieden sind. Wenn die Domainen insbesondere zur Unterhaltung der landesherrlichen Tafel dienen, so heißen sie Tafelgüter, bestehen sie in Wäldern, so nennt man sie Bannforste, und die Benutzung derselben das Forstregal oder die Forstherrlichkeit (jedoch hat der Begriff Forstherrlichkeit auch noch einen weitern Sinn, und bezeichnet alle Anstalten und Gesetze zur Erhaltung und zweckmäßigen Benutzung der Wälder, also einen Theil der Polizeigewalt). 2) Landstraßen, aus deren Benutzung [113] das Zollregal, Geleitsregal, Postregal, Chaussee-und Wegegeld entspringt. 3) Große Flüsse, Seen, Meerufer und Häfen; daher entstehen Abgaben für die Schifffahrt, das Floßregal, das Fährregal, die landesherrliche Fischerei und das ausschließende Eigenthum der Inseln in Seen und Strömen. 4) Das Recht, herrenlose Dinge sich zuzueignen. Unter herrenlosen Dingen versteht man entweder solche, die sich wirklich in Niemandes Eigenthume befinden, als: erblose Güter, verlassene Grundstücke, unangebaute Ländereien, oder solche, die zwar auf dem Grund und Boden eines Unterthanen vorhanden sind, aber dem Eigenthume und Nutzungsrechte desselben von der höchsten Gewalt entzogen, und einzig dem Regenten und dem ganzen Lande beigelegt werden. Unter letztere sind zu rechnen: a) die Naturproducte im Innern der Erde, als: Mineralien (Bergwerksregal), Salinen (Salzregal) und bisweilen mineralische Bäder. b) wilde Thiere: daher das Jagdregal, welches jedoch ursprünglich gar nicht zu den Regalien gezählt wurde, da die Jagd jedem Eigenthümer des Grundstücks frei stand, und auch jetzt ganz oder zum Theil an Privatpersonen verliehen wird; daher die hohe, mittlere und niedere Jagd.

Die Deutschen Reichsstände besitzen alle bisher genannten Regalien Kraft ihrer Landeshoheit, d. h. der ihnen als Landesherren in ihren Staaten zukommenden Staatsgewalt, haben sie aber nicht auf einmahl erworben, sondern nach und nach durch Belehnung oder freiwillige Ueberlassung vom Kaiser erlangt, auch ohne dessen Vorwissen durch Verjährung und eigenmächtige Besitzergreifung an sich gebracht. Der Gebrauch dieser Regalien steht ihnen fast eben so unbeschränkt zu, wie jedem andern Souverain, in so fern nehmlich dieselben bloß ihr Land betreffen; doch sind die außerhalb des Staats wirksamen Regalien durch die Verfassung des Deutschen Staatenbundes, und die Justizgewalt durch die höchsten Reichsgerichte in den meisten Staaten sehr eingeschränkt worden. In Sachen, die auf das ganze Deutsche Reich Einfluß haben, dürfen sie jedoch nichts ohne Einwilligung des Kaisers und der Reichsstände unternehmen. Auch giebt es noch einige Regalien, die bloß der Kaiser, und zwar mit Ausschluß der Landesherren, ja sogar aller übrigen Stände des Reichs, ausübt und sich gleichsam vorbehalten hat, [114] daher man sie Reservatrechte des Kaisers nennt. So kann z. B. bloß der Kaiser einen Reichsstand mundig sprechen, ihn durch Anstandsbriefe gegen Gläubiger schutzen, ihm für seine Staaten das Privilegium de non appellando ertheilen, ferner, das Stapelrecht verleihen, Pfalzgrafen wählen (s. Pfalzgraf), Messen für ganz Deutschland privilegiren, u. s. w. Mehreres von den Reservatrechten s. beim Art. Reichs-Hofrath.


Fußnoten

1 Da der Artikel Polizei, Th. 3. S. 461. etwas kurz ist, so dürfte das hier Gesagte als Nachtrag dienen.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 4. Amsterdam 1809, S. 110-115.
Lizenz:
Faksimiles:
110 | 111 | 112 | 113 | 114 | 115
Kategorien:

Buchempfehlung

Lewald, Fanny

Jenny

Jenny

1843 gelingt Fanny Lewald mit einem der ersten Frauenromane in deutscher Sprache der literarische Durchbruch. Die autobiografisch inspirierte Titelfigur Jenny Meier entscheidet sich im Spannungsfeld zwischen Liebe und religiöser Orthodoxie zunächst gegen die Liebe, um später tragisch eines besseren belehrt zu werden.

220 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon