[133] Reichsarmee heißt das Heer, welches die Deutschen Reichsstände bei Reichskriegen ins Feld stellen. Der Theil von Truppen, der auf einen einzelnen Reichsstand kommt, wird dessen Contingent genannt; daher sind Reichscontingent und Reichsarmee gleichbedeutende Worte. Seit der Einführung des Lehnssystems, welche in die frühern Zeiten des Mittelalters fällt, wurden bei Kriegen die sämmtlichen Vasallen aufgeboten, und mußten persönlich ins Feld rücken. Dieses Aufgebot, der Heerbann genannt, war aber nachher, namentlich seit dem zu Ende des 14. Jahrhunderts allgemeiner werdenden Gebrauche des Pulvers, nicht hinlänglich, um die gehörige Mannschaft zu liefern. Man fühlte auch in Deutschland das Bedürfniß besoldeter Truppen, dergleichen schon in andern Staaten eingeführt waren, und behielt zwar die Vasallen noch bei, nahm aber seit dem Anfange des 15. Jahrhunderts, besonders seit dem Hussitenkriege, große Heerscharen in Sold, die man nach geendigtem Kriege wieder abdankte. Von eben dieser Zeit an wurde den Ständen bei jedem bevorstehenden oder ausgebrochenen Kriege durch ein besonderes auf den Reichstagen gegebenes Gesetz, welches die Matrikel oder Reichsmatrikel hieß, die Zahl der auszurüstenden Truppen und das Maß der Geldbeiträge bestimmt vorgeschrieben (die nähere Erörterung dieser Geldbeiträge s. in d. Art. Römermonathe). Brach [133] ein neuer Krieg aus, so verfertigte man eine neue Matrikel: endlich aber nahm man eine 1521 auf dem Reichstage zu Worms von Carl V. publizirte Matrikel als Norm für die Zukunft an; und diese heißt daher noch immer, ungeachtet sie späterhin wegen eingelaufener Beschwerden mehrere Abänderungen erlitten hat, die neueste und legale Reichsmatrikel. Nach derselben war das Reichsheer im Kriege zu 24,000 Mann, nehmlich 4000 zu Pferd und 20,000 zu Fuß, angeschlagen worden. Da jedoch dieses Heer in der Folge, als die Zahl der Soldaten in allen Staaten wuchs, viel zu klein war, so setzte ein Reichsschluß1 vom Jahre 1681 fest, daß künftig bei jedem Reichskriege 40,000 Mann, und zwar 12,000 zu Pferd und 28,000 zu Fuß, auf Kosten der Stände ausgerüstet werden sollten; und dieses Gesetz hat noch jetzt volle Gültigkeit. Da jedoch der Reichsschluß bloß angab, wie viel in Zukunft auf jeden Kreis fallen sollte, hingegen die Vertheilung dieser Anzahl unter die Kreisstände dem Kreise selbst und dessen Directoren überließ; so entstanden natürlich mancherlei Irrungen und Zwistigkeiten unter den Kreisständen, indem sich einige derselben bloß zu so viel Truppen verstanden, als sie seit der Reichsmatrikel von 1521 gestellt hatten, andere hingegen mit einem stärkern Beitrage, als von ihnen nach der Billigkeit gefordert werden konnte, belästigt wurden. Die 40,000 Mann (eigentlich 7 weniger, nehmlich 39,993) werden folgender Maßen geliefert. Es stellt
der Churrheinsche Kreis 600 zu Pferde, 2707 zu Fuß,
– Obersächsische – 1321 – 2707 –
– Oestreichische – 2521 – 5507 –
– Burgundische – 1321 – 2707 –
– Fränkische – 980 – 1901 –
– Bayersche – 800 – 1493 –
– Schwäbische – 1321 – 2707 –
– Oberrheinsche – 491 – 2853 –
– Westphälische – 1321 – 2707 –
– Niedersächsische – 1321 – 2707 –
11997 zu Pferd, 27996 zu Fuß.
Noch immer aber hat das Reich kein eigentlich stehendes Heer; denn es wird bloß dann errichtet, wenn[134] ein Krieg ausbricht: und obschon in Friedenszeiten eine weit größere Macht, als jene vierzigtausend, in dem Solde der Stände steht, so erhält sie doch die Qualität der Reichstruppen nur erst dann, wenn bei einem Kriege der Reichstag die Contingente ausgeschrieben hat2. – Zwar beschlossen die Stände auf dem Reichstage 1702, daß sie in Friedenszeiten das Doppelte der obigen Anzahl (Duplum), also 80,000 Mann, beständig unterhalten, im Kriege aber das Dreifache (Triplum), mithin 120,000, aufstellen wollten; allein der Plan kam in Ermangelung kaiserlicher Ratification gänzlich in Vergessenheit. Indessen wurde bei Reichskriegen das Duplum, und drei Mahl sogar das Triplum gestellt, nehmlich 1734 gegen Frankreich, 1757 im siebenjährigen Kriege gegen Preußen, und endlich im neuesten Kriege gegen Frankreich Kraft des Reichsschlusses vom 23. November 1792. Ja es vermehrte sich sogar im letzt gedachten Kriege die Zahl der geforderten Truppen bis auf das Fünffache (Quintuplum), oder 200,000, indem der Kaiser durch ein am 6. Nov. 1794 zur Reichsdictatur gekommenes Commissionsdecret darauf antrug, und der Reichstag durch den Reichsschluß vom 22. Decbr. 1794, dem noch ein zweiter am 2. April 1795 folgte, die Stellung des Quintuplum beschloß. Jedoch ist in dem neuesten Kriege sowohl als in den frühern die Truppenzahl bei weiten nicht vollzählig, oft nicht einmahl zur Hälfte, auf den Beinen gewesen: denn mehrere Reichsstände zahlten Geld, an Statt Truppen zu liefern, andere waren säumig in Stellung derselben; eben so wurden in dem letzten Reichskriege viele Corps durch die von einzelnen Ständen, z. B. Preußen, Hessen, Baden, Würtemberg, mit der Französischen Republik geschlossenen Separatfrieden von der Armee zurückgezogen, auch überdieß das ohnehin dem Feinde nicht furchtbare Heer dadurch geschwächt, daß viele Provinzen des Reichs in den Händen der Republik waren. Ueberhaupt ist es eine durch die Erfahrung leider nur zu sehr bestätigte Wahrheit, daß das langsame Zusammenziehen der Contingente, die höchst ungleiche Mischung gut und schlecht disciplinirter und eingeübter Truppen, der Privathaß mehrerer Reichsstände und Generale, die aus [135] Religionsverschiedenheit und Vorurtheilen entstandene Zwietracht der Contingente unter einander selbst, und der Mangel an Einigkeit in Entwerfung und Ausführung der Plane das Reichsheer zu einer mehr verachteten als gefürchteten Truppenmasse herabgesetzt haben. Nur dann, wenn sie mitten unter Oestreichische oder Preußische Armeen zu stehen kam, oder wenn vortreffliche Contingente, z. B. das Brandenburgische, Chursächsische, Hessische u. s. w. an ihrer Spitze standen, konnte sie etwas von Bedeutung ausführen. Sie wurde auch von jeher weit mehr zum Defensivkriege als zu Angriffen gebraucht. – Die Generalität der Reichsarmee wird allemahl nach der Religionsgleichheit gewählt, so daß zu jeder höhern Befehlshaberstelle ein Evangelischer und ein Katholik genommen werden, und besteht gewöhnlich aus zwei Generalfeldmarschällen oder Obercommandeurs, die beide gleiche Gewalt haben, zwei Generalfeldzeugmeistern, zwei Generalen der Cavallerie und zwei Generalfeldmarschall-Lieutenants. – Ob nun gleich jeder Reichsstand seine Truppen selbst erhalten muß; so sind doch außerdem noch viele Bedürfnisse zu bestreiten übrig, die das Heer in Masse betreffen; und das dazu nöthige Geld wird von den Ständen nach Römermonathen (s. dies. Art.) eingetrieben und in eine gemeinschaftliche Kriegscasse gesteuert, die den Namen Reichs-Operationscasse führt. – Endlich ist noch zu bemerken, daß das Reichsheer, als solches, das Besatzungsrecht von zwei Festungen hat, die daher auch Reichsfestungen heißen und von den Ständen unterhalten werden müssen, nehmlich Philippsburg im Bisthum Speyer, und Kehl, Strasburg gegenüber.
1 Im Art. Contingent heißt der Reichsschluß fälschlich Matrikel.
2 Bloß Schwaben erhält auch während des Friedens sein völliges Contingent.
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