Schottland

[129] Schottland oder besser Scotland (Lat. Scotia) war seit dem neunten Jahrhundert nach Christi Geburt beständig ein für sich bestehendes Königreich, welches durch seine eingebornen Könige und ohne fremden Einfluß regiert wurde. Vor diesem Zeitraume aber befaßte der Flächeninhalt des heutigen Schottlands zwei kleine Königreiche, welche über 800 Jahre neben einander bestanden, und welche gegen ihre Feinde, die Römer, in Gemeinschaft wie ein einziges Reich sich vertheidigten und behaupteten; das eine hieß das Reich der Pikten und das andere das Reich der Skoten (s. d. Art. Skoten). Nach dem Absterben des Königs Hungius aber im neunten Jahrhundert, mit welchem zugleich der Piktische Mannsstamm erlosch, wußte der damahls regierende König der Skoten, Kenneth II. welcher von der Schwester des Hungius abstammte, sich dieses kleinen Piktischen Königreichs zu [129] bemächtigen und beide Reiche in eins zu vereinigen. Von dieser Zeit an kennen wir beide Königreiche bloß unter dem Namen Schottland, welches aber auch von hier an beständig von seinen Königen besonders regiert worden ist, selbst von denjenigen, welche durch Successionsrecht auf den Englischen Thron gelangt waren. Denn obwohl Jacob VI. sogleich, nachdem er im Jahre 1604 nach dem Tode der Königin Elisabeth unter dem Namen Jacob I. den Englischen Thron bestiegen hatte, nichts lieber als eine totale Vereinigung Schottlands mit England wünschte, beiden Königreichen auch den Namen Großbritannien, sich selbst aber den Titel König von Großbritannien beilegte; so widersetzten sich doch seine Schotten länger als 100 Jahre dieser gewünschten Vereinigung aus allen Kräften, so, daß sie von den Königen Englands als ein besonderes Volk und Königreich regiert werden mußten: kurz, nur erst im Jahre 1707 gelang es der Königin Anna, der jüngsten Tochter Jacobs II. diese totale Vereinigung Schottlands mit England durchzusetzen; aber auch nur erst von dieser Zeit an ist eigentlich der Name Großbritannien, so wie der Titel König von Großbritannien, diplomatisch richtig. Das ans dieser durchgesetzten Vereinigung entspringende Resultat aber war, daß Schottland, welches zeither an den Regierungsgeschäften Englands, so wie an der Gesetzgebung, keinen Antheil genommen hatte, nunmehr, der Englischen Nation gleich, Antheil erhält, aber auch dagegen, dem Englischen Volke gleich, von dem Könige von England als einem gemeinschaftlichen Regenten sich regieren lassen muß. Mithin ist Schottland seit der Zeit seiner Vereinigung mit England ein Theil von Großbritannien, und unter beiden, im staatsrechtlichen Sinne, kein großer Unterschied mehr übrig, außer daß die Anlagen und Bedürfnisse beider Reiche verhältnißmäßig vertheilt zu werden pflegen.

Was nun aber die vorher erwähnte Succession der Könige von Schottland in England betrifft, so war die Veranlassung dazu kürzlich folgende: Mit dem Tode der Königin Elisabeth, als dem letzten Zweige des Haufes Tudor (welches seit 1485 bis 1603 in England regiert hatte), war das ganze königliche Haus in[130] der männlichen Descendenz ausgestorben. Elisabeths Vater, Heinrich VIII. hatte zwei Schwestern, davon die ältere, Margaretha, an den Konig von Schottland, Jacob V. vermählt gewesen war. Die aus dieser Ehe erzeugte Prinzessin Maria, erst an den Dauphin Franz II. dann an Heinrich Darnley vermählt, dieselbe unglückliche Maria von Schottland, welche die Königin Elisabeth 1587 enthaupten ließ (s. den Art. Maria Stuart Th. 3. S. 71), hatte mit Darnley einen Prinzen gezeugt, welcher noch als ein Kind von einem Jahre und lange schon vor der Enthauptung seiner Mutter auf den Schottländischen Thron, unter dem Namen Jacob VI. gelangt war. Weil nun nach dem Tode der Elisabeth, als der einzigen bisher übrig gebliebenen Descendentin in der männlichen Linie, dieser Jacob VI. König von Schottland, der nächste weibliche Descendent war;1 so gelangte er auch jetzt ohne die mindeste Schwierigkeit in England zur Succession, ja Elisabeth bestimmte sich denselben noch sogar in einer besondern von dem Parlamente genehmigten Acte ausdrucklich zu ihrem Nachfolger. – Daß aber Schottland bei dieser gänzlichen Vereinigung mit England keinen Schaden, vielmehr den größten Nutzen gehabt habe, liegt am Tage; wie konnte England auf seinen Nutzen allein bedacht sein, ohne nicht zugleich den Nutzen seines Schwesterlandes, Schottlands, auch mit zu berücksichtigen? – England war von jeher ein handelnder Staat; und Schottland mußte nach seiner Vereinigung theils wegen seiner nahen Lage an England, theils wegen seiner vortrefflichen Häfen, hauptsächlich aber vermittelst der ungeheuern Reichthümer Englands, nothwendig eben das werden, was es gegenwärtig ist.


Fußnoten

1 Er war der Großenkel Heinrichs VII. Königs von England, und stammt also im dritten Grade von seinem mütterlichen Stammvater ab.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 5. Amsterdam 1809, S. 129-131.
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