Arzt

[127] Arzt heißt Derjenige, welcher die zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit, sowie zur Abhaltung, Erkenntniß und Heilung von Krankheiten erforderlichen Kenntnisse besitzt. Derselbe muß nicht nur in der Heilkunde, d.h. den sämmtlichen, zur Medicin gehörigen Haupt- und Hülfswissenschaften, sondern auch in der Heilkunst, worunter man die Anwendung dieses gesammten Wissens am Krankenbette versteht, bewandert sein. Derjenige nun, der sich dem ärztlichen Berufe widmen will, muß vor allen Dingen innern Drang dazu in sich fühlen; denn läßt er sich nur durch den Wunsch seiner Angehörigen oder sonstige Verhältnisse oder gar durch die Hoffnung auf leichten und reichlichen Erwerb dazu bestimmen, so würde er sich sehr täuschen, da der Beruf des Arztes große Selbstaufopferung verlangt und nur ausnahmsweise ein angenehmes und sorgenfreies Leben gewährt. Wer da hoffen will, als Arzt seinen Platz ganz auszufüllen, muß Genie haben, d.h. ausgezeichneten Verstand im Verein mit einer thätigen Einbildungskraft, zum Selbstdenken befähigt sein, Beobachtungsgabe, Geistesgegenwart und hauptsächlich angeborene Anlage zum Arzte besitzen, ohne die er nie, selbst bei der höchsten wissenschaftlichen Ausbildung, den sogenannten praktischen Blick erlangen wird, der in vielen Krankheitsfällen von so großer Wichtigkeit ist. Er muß sich eines guten Gedächtnisses erfreuen, dabei unermüdlich fleißig und thätig, körperlich gesund und wohlgebildet sein, Ersteres, um die Strapazen seines Berufes ertragen zu können, Letzteres, um keinen übeln Eindruck zu machen; ferner religiös, theilnehmend, nachsichtig und geduldig, mäßig und enthaltsam, uneigennützig und verschwiegen sein, um das Vertrauen der Kranken zu gewinnen, das ihm zur glücklichen Behandlung derselben wesentlich nothwendig ist. Hat er alle diese Eigenschaften, so wird er auch nie Ursache haben, mit der Wahl seines Berufs unzufrieden zu sein, denn das Studium der Heilkunde selbst ist zu reichhaltig und anziehend und die Aufgabe, der leidenden Menschheit Hülfe zu bringen, zu schön und zu lohnend, als daß er dadurch nicht für manche schmerzliche Erfahrung und ein beschwerdevolles Leben Entschädigung finden sollte. Der Wirkungskreis eines wissenschaftlich gebildeten, gewissenhaften und bei der Heilkunst glücklichen Arztes ist einer der wichtigsten im Staate und es sollten deshalb die Regierungen mit Ernst darüber wachen, daß nicht Untüchtige, des ärztlichen Berufs in keiner Hinsicht Gewachsene die Heilkunst üben und durch Unkunde der Menschheit unendlichen Nachtheil bringen.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 127.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien: