Gedanken

[157] Gedanken, die Resultate des Denkens (s.d.) machen in ihrer Gesammtheit den Inhalt unsers Bewußtseins aus. Die Gedanken unterscheiden sich von den sinnlichen Gegenständen dadurch, daß sie nicht wie diese vergänglich, hinfällig und durch Zeit und Raum beschränkt, sondern im Gegentheil ewig, unveränderlich und schrankenlos sind. In der Welt des Gedankens geht dem Menschen, der Sinnenwelt gegenüber, ein ewiges Reich auf, in dem es nicht Tod und Verderben gibt. Der geringfügigste wie der erhabenste Gedanke tragen das Merkzeichen der Ewigkeit; ebenso sehr z.B. der mathematische Grundsatz, »daß zwei Dinge gleich sind, wenn beide demselben dritten gleichen«, wie der Grundsatz der wahren Religion, »daß es nur Einen Gott gibt«. Daher flüchtet sich auch der Mensch aus den schmerzlichen Täuschungen der Außenwelt in die innere Welt des Gedankens, deren höchste Gebiete Religion und Philosophie sind. Auf diesen Gebieten erscheinen zugleich Gedankenwelt und Sinnenwelt nicht mehr im feindlichen Gegensatze, denn die Lehre der Religion: daß ein weiser, liebender Vater Alles schafft und nach seinem Willen allmächtig lenkt, wie die Voraussetzung der Philosophie, daß nur das ewig Vernünftige Wahrheit und Wirklichkeit habe, darum alle Hinfälligkeit und Unvollkommenheit nur ein leerer Schein sei, durch den man zur Wahrheit dringen müsse, erheben eine wie die andere die Sinnenwelt selbst zur Ewigkeit des Gedankens. Solches Bewußtsein ist der Friede, den die Religion, die Beruhigung, welche die Philosophie in den Drangsalen schafft, in welche die Unvollkommenheit der Außenwelt das Menschenherz versetzt. – Gedankenlos ist der Mensch, welcher, ohne in sich einen gesammelten Schatz des Bewußtseins zu tragen, nur der Sinnenwelt und nur dem Augenblicke lebt. Nicht selten wird der gedankenlose Mensch durch einen recht empfindlichen Schmerz, den ihm die Außenwelt bereitet, durch einen großen Verlust an irdischen Gütern zur Besinnung, endlich zum Bewußtsein gebracht und so in die Welt des Gedankens eingeführt.

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Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 157.
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