Mirakel

[152] Mirakel oder Wunder werden sinnlich wahrnehmbare Äußerungen einer höhern Kraft und Wirksamkeit in der Natur und der Menschenwelt genannt. Das Außerordentliche derselben liegt darin, daß sie, obwol in der Reihe natürlicher Dinge und menschlicher Handlungen wahrnehmbar, dennoch ihren Ursprung weder von den bekannten gesetzlich wirkenden Kräften der Natur, noch der Freiheit des menschlichen Willens herleiten, sondern als Thatsache unmittelbarer göttlicher Wirksamkeit betrachtet werden müssen. Die Wunder geschehen, mögen sie nun von Gott selbst oder in seinem Namen von Menschen vollbracht werden, immer zur Ehre und zur Verherrlichung Gottes; der Glaube an sie wurzelt in der Religion, nur daß sich derselbe leicht von dem Wege der Wahrheit auf einen dem Aberglauben nahe verwandten Abweg verirrt, den der religiöse Mensch um so leichter betreten kann, je weniger er sich gewöhnt hat, die Wirksamkeit Gottes auf die Natur und die freie Menschenwelt als eine von der Wirksamkeit der Naturgesetze und der menschlichen Freiheit unzertrennlichen zu denken. Dieser aus einer Täuschung des religiösen Bewußtseins hervorgehende Fehler des Verstandes kann für das Leben des Menschen sehr verderbliche Folgen haben. Indem er nämlich den geistigen Gesichtskreis desselben durch finstern Aberglauben beengt, macht er es dem Menschen unmöglich, den tiefer verborgenen Zusammenhang gewisser Erscheinungen zu entdecken und läßt denselben in entscheidenden Augenblicken unthätig auf eine höhere Wirksamkeit bauen, wo schon die eigne Kraftanstrengung ihn zum Ziele geführt hätte. Was die biblischen Wunder betrifft, namentlich die von Christus und den Aposteln vollbrachten, so können dieselben nur im Zusammenhange mit der geoffenbarten christlichen Religion betrachtet werden. Ob sie wirklich stattfanden, dafür läßt sich kein äußerer Beweis geben, da der Glaube an die göttliche Offenbarung der christlichen Religion, wie der Glaube an die ihre Erscheinung begleitenden Wunderwerke auf dem göttlich beglaubigten Zeugnisse Christi und der Apostel beruht.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 152.
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