Varicellen

[555] Varicellen oder unechte Menschenpocken ist die übliche Benennung für einen meist epidemisch vorkommenden Ausschlag eigenthümlicher Art, der ebenfalls ansteckend und mit Fieber verbunden ist, wie die echten Menschenpocken (s. Blattern), die Anlage für diese jedoch nicht tilgt, viel unregelmäßiger und schneller, aber auch viel gelinder zu verlaufen pflegt und weder durch das Überstehen dieser noch durch Einimpfung der Schutzpocken verhütet wird. Je nach der besondern Form des Ausschlags haben die Varicellen aber auch noch besondere Benennungen erhalten; so heißen sie Wasserpocken, wenn die aufschießenden Bläschen mit Lymphe gefüllt sind, Windpocken, wenn sie nur Luft enthalten, Steinpocken, Warzenpocken, Hornpocken, wenn der Ausschlag nur aus Knoten und Höckern ohne Inhalt besteht, Spitzpocken, wenn diese nach oben spitz endende Erhebungen mit Lymph- und Eiterbildungen der Spitzen darstellen u.s.w. In jeder Form sind sie jedoch eine gutartige Krankheit und werden nur unter ganz besondern Umständen tödtlich. Mit Ausnahme eines sehr gelinden Fiebers, welches in der Regel nicht länger als 24 Stunden dauert, gehen dem Ausbruche des Ausschlags selten andere Krankheitserscheinungen voraus. Dieser zeigt weder hinsichtlich der Zeit noch der Ordnung, in welcher er zum Vorschein kommt, dieselbe Regelmäßigkeit, wie die echten Blattern, indem in ersterer Beziehung der Ausbruch nicht in einem bestimmten Zeitraume erfolgt, sondern nach Ausbildung der zuerst erschienenen Pocken immer neue Ausbrüche nachfolgen, sodaß man die verschiedenen Entwickelungsgrade des Ausschlags gleichzeitig beobachten kann, in letzterwähnter Beziehung aber nicht, wie bei den echten Blattern, zuerst die obere, dann die untere Hälfte des Körpers, sondern nicht selten zuerst der Rücken und die Gliedmaßen gruppenweise befallen werden, wobei weder so heftiges Brennen stattfindet, noch auch die Haut so beträchtlich anschwillt, wie bei den echten Blattern, endlich auch der eigenthümliche Geruch letzterer gänzlich mangelt. Die einzelnen Pocken füllen sich entweder gar nicht oder sehr schnell (in der Regel schon 36 Stunden nach dem Erscheinen der ersten Stippen) und ohne daß sich, wie bei den echten Pocken, mit dem Eintritte der Eiterung das sogenannte Eiterungsfieber einstellt, vertrocknen binnen wenigen Tagen und hinterlassen nur zum Theil Narben. Die Varicellen sind mitunter sehr schwer von den echten Pocken zu unterscheiden, zumal wenn man blos den Ausschlag und nicht zugleich den Verlauf der Krankheit in Betracht nimmt.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 555.
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