Ceremoniel

[316] Ceremoniel. Die Art und Weise gewisser zu beobachtender Gebräuche. Es gibt ein Religions-, Hof-, Gesandtschafts-, Kriegs- und ein gesellschaftliches Ceremoniel. Im Staats- wie im Privatleben richtet es sich nach dem Range oder der augenblicklichen Geltung einer Person oder Sache. Unsere Art zu[316] grüßen, unsere Verbeugungen, Einladungen, Aufforderungen zum Tanze, Anreden, Adressen etc. sind mehr oder minder Ergebnisse des Ceremoniels. Es ist ein Tyrann wie die Mode, aber ein absoluter, legitimer Herrscher, während die Mode republikanisch gesinnt, ewig reformirt, umstürzt und aufbaut, um wieder umzustürzen. Das Ceremoniel läßt sich vom geselligen Leben nicht wegdenken; es gibt gewisse allgemeine Regeln des Anstandes, die in den wechselseitigen Beziehungen und Berührungen der Verhältnisse höchst nöthige Schranken aufbauen, über welche sich hinwegzusetzen Niemand wagen darf. So frei und ungebunden sich die beau-monde (s. d.) in ihren Cirkeln bewegt, so gebunden ist sie durch gewisse Anstands- und Schicklichkeitsgesetze, die nie altern, mögen sie hier und da auch etwas modificirt werden. Sie werden heilig gehalten, wie es die Religionsgebräuche beim Gottesdienste der Griechen und Römer wurden; sie sind ein loses, leichtes, aber schwer und nur mit Gefahr zu zerreißendes Band, welches die Geselligkeit und in ihr den Anstand, den bon ton, die Unterhaltung, das Wohlbehagen und die Heiterkeit, umschlingt. – Das Hofceremoniel richtet sich nach bestimmten, nach Ort und Wichtigkeit verschiedenen Beziehungen. Darüber zu wachen, ist das Amt des Ceremonienmeisters. Dasselbe gilt vom Kriegs-, Gesandtschafts- und Kanzleicerémoniel. Den religiösen Ceremonien des christlichen Cultus liegt stets eine fromme Idee, die Beziehung an ein Mysterium etc. zum Grunde. – Am weitesten ausgebildet ist das Ceremoniel in China (s. d.), wo es, statt das Erhabene, Feierliche, Ehrwürdige, Anständige zu repräsentiren, einen Charakter angenommen hat, der in den Augen des Europäers gerade die entgegengesetzte Wirkung hervorbringt, nämlich lächerlich wird.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 2. Leipzig 1834, S. 316-317.
Lizenz:
Faksimiles:
316 | 317
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika