[355] Nähen. Diese mühselige, so gering lohnende Frauenarbeit beschäftigt in civilisirten Ländern Tausende von regsamen Händen und wird ihrer hohen Nützlichkeit halber wohl niemals in Vergessenheit gerathen, es sei denn, man erfände wirklich noch ein uns jetzt kaum denkbares Verfahren, um sie zu ersetzen. Ehedem, d. h. in der Kindheit des Menschengeschlechts, dachte Niemand daran, die Pflanzenstoffe, Thierhäute u. s. w., welche zur dürftigen Bekleidung dienten, anders als durch Binden an einander zu befestigen. Das Weben war schon einer weiter vorgeschrittenen Epoche vorbehalten, und noch später ersannen erfindungsreiche Köpfe das die Form beliebiger bildende Nähen, wiewohl es bei den weiten morgenländischen Gewändern, und vom Oriente kam bekanntlich alle Kleiderpracht, weniger nöthig war. Noch unter den Lateinern hatte die Weberei den Vorzug, und weder die Toga des Römers, noch das pallium seiner stolzen Matronen, bedurfte der kunstreichen Nath, sondern wallte in freien, nur durch Agraffen gefesselten Falten über die kräftigen Glieder. Nur Zierathen nahte man an die Gewänder oder benutzte den allerdings längst erfundenen Stich zur Stickerei. Unser heutiges seines Nähen ward erst zum Bedürfnisse, seitdem man die Nutzbarkeit der Leinwand erkannte, und damit das in warmen Ländern gebräuchliche Baden einigermaßen ersetzte. Früher nähten nur die Männer die nöthigen Kleidungsstücke; den Frauen blieb der Webstuhl überlassen, und noch im Mittelalter spinnt und webt die fleißige Hausfrau; vom Nähen ist wenig die Rede. Gegenwärtig[355] hingegen steht diese Kunst in voller Blüthe, und Niemand möchte ihrer mehr entbehren, wohl aber besteht noch immer der größte Unterschied in ihrer Ausübung, und die Stiche der Putzmacherin z. B. dürfen in keinem Falle mit denen der Weißnätherin (lingere) verglichen werden. Die mühevolle Aufgabe dieser Letztern, Leinwand oder Battist zur Leibwäsche vorzubereiten, erscheint indeß kaum irgendwo in hellerem Lichte, als in den herrnhutischen Anstalten, und mit aller Achtung vor so großer Zierlichkeit und solch' unendlichem Fleiße fragt man sich beim Erblicken dieser Näthereien doch bisweilen, ob denn auch dieser untergeordnete Theil des Anzuges so unsägliche Anstrengung der Augen verdiene. Dennoch ist es nicht zu läugnen, daß jede Frau, die gelehrte vielleicht ausgenommen, ein inniges Wohlbehagen bei der Ansicht von dergleichen sauberer Arbeit empfindet, und überhaupt nur angerathen werden kann, junge Mädchen bei Zeiten in dieser nützlichen Beschäftigung unterweisen zu lassen. Es ist ein großer Fehler bei dem neuesten Erziehungswesen, daß man in weiblichen Lehranstalten nächst dem Sprach-, Musik-, Tanzunterricht etc., nur niedliche, d. h. gewöhnlich Canevasnäthereien treibt und daß dadurch die Zöglinge gänzlich den Geschmack am eigentlichen Nähen, was doch der Mehrzahl in spätern Jahren am unentbehrlichsten sein muß, verlieren. Mit Hast soll zuletzt, wenn die Schülerin vielleicht bald als Jungfrau in die Welt zu treten gedenkt, auf den Rath irgend einer besorgten Mutter oder altmodischen Tante, gleichsam schlüßlich noch etwas Nähunterricht auf die schönen farbigen Stickereien folgen; aber da zeigt sich das Resultat der verkehrten Methode. Das langweilige, nur in seiner gerade eben so wiederkehrenden Einförmigkeit erst schön ausfallende Nähen ekelt die Lernende, welche bereits Unterhaltenderes kennt, an, und selten erlangt sie den Grad, der zum Gewöhnlichsten hinreicht und ihr kaum für späteres Wirken als Hausfrau die richtige Beurtheilung fremder Arbeit gestattet. Der beste Rath für gewissenhafte Erzieherinnen bleibt deßhalb der, ihren Zöglingen[356] früh Strickstrumpf und das Nähzeug in die Hände zu geben, und keine das 12. Jahr erreichen zu lassen, bevor sie nicht im Stande ist, die gewöhnlichen Gegenstände der Wäsche zu verfertigen; das Feinere folge dann nach, und mit ihm für die, welche Zeit und Vermögen haben, die Unzahl schöner, kunstreicher Frauenarbeiten, die dann für die Jungfrau noch neu, sie wiederum durch ihre angenehm beschäftigenden Eigenschaften von mancher Thorheit abhalten können.
F.