[211] Pietisten, Frömmler. Mit diesem Namen bezeichnete man seit dem Jahre 1689 mehrere junge Theologen in Leipzig, welche erbauliche Vorlesungen über das neue Testament hielten, und dabei auch Bürgern den Zutritt verstatteten. Sie drangen dabei auf eine andächtige und eingezogene Lebensweise. Bei diesen Vorlesungen durften auch Nichttheologen mitsprechen; denn es galt als Grundsatz: man müsse die Religion mehr üben als anbauen, und durch Frömmigkeit und heiligen Wandel in's Leben hereintreten lassen. Wohl war für die damalige Zeit die Durchführung dieses Zweckes nothwendig; denn man suchte das Christenthum nur in todten Formen. Leider aber artete dieses Anfangs so rechtliche Bestreben gar bald aus. Die Mitglieder der Pietistengesellschaft vermieden den öffentlichen Gottesdienst und führten dadurch auf die Furcht vor kirchlichen Spaltungen. Die Regierung sah sich endlich genöthigt, einzugreifen. Nicht bloß auf Lehrstühlen, sondern sogar auf Kanzeln befehdete man sich wechselseitig. Tanz, Musik, Spiel, so wie andere ähnliche Vergnügungen, galten als Werke des Teufels. Den Glauben hielt man für das kräftigste Mittel einer geistigen Wiedergeburt, durch welche die Heiligkeit erst wahrhaft bewirkt wurde. Die Gegenpartei erhob bald Streitigkeiten, und durch übereilte Schritte von beiden Seiten wurden in einzelnen Gemeinden Unordnungen herbeigeführt, welche die Folge hatten, daß man sich von Seiten der Regierungen genöthigt sah, alle nicht öffentliche gottesdienstliche Versammlungen zu verbieten. Doch der einmal ausgestreute Same wucherte fort, und selbst in der neuesten Zeit waren Halle, Berlin und Dresden (denn Glauchau und das Muldenthal, und die Umtriebe im Wupperthale wollen wir hier nicht erwähnen) Schauplatze geistiger Verirrungen, welche man pietistische Umtriebe nennt. Die Pietisten schwelgen in der Regel[211] in unklaren, religiösen Gefühlen, und sondern sich ab von andern kirchlichen Parteien, weil sie gerade ihre religiöse Meinung für die wahre und allein rechtliche halten.
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