[470] Romanticismus. Die Bildung dieses Wortes ist ein Fund der neuesten Zeit, hervorgerufen durch die poetischen Erzeugnisse der neueren Franzosen, als deren Chorführer Victor Hugo, Balzac, Eugen Sue, Jules Janin etc. zu nennen sind. Schon vor dem Ausbruch der Julirevolution begannen die franz. Dramatiker an den Fesseln den Klassicität zu rütteln, die seit Racine und Corneille den Gedanken in seinem eigenen Schaffen niedergedrückt hatten. Deutschland und England, die sich längst befreit und die alten Formen zerschlagen hatten, um das Leben der neueren Zeit auch neu bilden zu können in künstlerischer Darstellung, gaben keinen geringen Anstoß. Vornehmlich aber war es Shakespeare, dessen Riesengebilde die Phantasie der jugendlichen franz. Dichter entzündete. Sie wollten ihm nachahmen, raubten ihm aber nur das Bizarre, die äußere Schale, ohne des Kernes habhaft zu werden. Ihre Schöpfungen verloren sich an das Unschöne, worin man das Romantische, Kühne, Geniale suchte, und weil die Anhänger der klassischen Schule sich diesem Verfahren widersetzen wollten, gaben sie den jungen Stürmern den Namen der Romantiker. Die Romantik war, wenigstens im Sinn der Deutschen, etwas Fertiges und Abgeschlossenes. Die Schöpfungen der Franzosen ließen sich mit diesen Gebilden des Wundersam-Phantastischen nicht vergleichen, sondern wühlten sich vielmehr ein in alle Abscheulichkeiten der Materie. Statt des Wunderbaren regierte das Laster in frivoler Aufgedecktheit; nicht die Gerechtigkeit des Weltgerichtes siegte, sondern die Laune, der Zufall, der böse, rachsüchtige Gedanke. Was[470] man daher nicht Romantik nennen konnte, dem gab man den Namen des R. Der R. aber ist, obwohl ein Auswuchs der Romantik, dennoch ein nothwendiges Ergebniß aus den Verirrungen des Tages und seiner Geschichte. Er schwärmt durch alle Länder, und wird, ist er zur Besonnenheit gekommen, sich verwandeln in das wahrhaft Moderne, das der Romantik gegenüber stehen wird, wie diese der Klassik, und ein freigeborenes Kind sein einer schönen, freien Zeit.
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