Schamhaftigkeit

[78] Schamhaftigkeit, die unzertrennliche Gefährtin der Anmuth, die keusche, jungfräuliche Mutter der Grazie, der glänzende Faden im Gürtel der Venus, – jene ätherische Lebendigkeit der Empfindung, welche die Seele beim leisesten Gefühle ihrer Verletzung ergreift, das herrlichste Zeichen tugendhafter Zartheit und Stärke des weiblichen Sinnes. Gibt es doch keine reinere und geistigere Wallung als die, welche bei unzarter Berührung des idealen Selbstbewußtseins die Frauen plötzlich bewegt; nichts verschönt ihre ganze Gestalt so sehr, als dieses Hervorleuchten des göttlichen[78] Funkens durch alle Adern, als dieser sanfte Purpur auf den Wangen, in dem sich wie in dem halbaufgeschlossenen Kelche einer Rose, gleich einem himmlischen Thautropfen der zarteste und zugleich reinste Seelenschmerz birgt. Denn, wie Schiller in seiner »Würde der Frauen« sagt:

–– wie leise vom Zephir erschüttert

Schnell die äolische Harfe erzittert,

Also die fühlende Seele der Frau.

r.

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Damen Conversations Lexikon, Band 9. [o.O.] 1837, S. 78-79.
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