Stammbücher

[390] Stammbücher, die immergrünen Blätterkränze vom heiligen Baume der Erinnerung, die treuen Schatzkästlein mit den geweihten Rosen der Liebe und Freundschaft, mit den Denksteinen seliger Stunden, oft von Myrthengebüsch, oft auch von Thränenweiden beschattet, aber auf allen den goldgeränderten Blättchen die silbernen Sterne geistigen Beieinanderseins! Ost birgt der kleine Raum ein ganzes Leben, alles Leiden und Lächeln des großen und doch so kleinen pochenden Menschenherzens; wie Schatten, gleich güldenen Träumen fliegen in diesem Erinnerungsspiegel noch einmal die genossenen Augenblicke an uns vorüber; manch' liebendes Auge blickt uns entgegen und lächelt unter Thränen; und auch wir lächeln unter Thränen und rufen es still und tiefbewegt:

Ich denk' an euch, ihr himmlischschönen Tage

Der seligen Vergangenheit! –

Der Ursprung der S. fällt in das Ende des 15. oder 16. Jahrhunderts. Zu jener Zeit kamen die deutschen Fürsten und Herren auf Reichs- und Kreistagen, Vermählungs-, Krönungsfesten etc. persönlich zusammen. Beim Abschied wünschte man sich dann nach so viel fröhlich verlebten Tagen natürlich auch noch etwas bleibend Schönes zu sagen. Zu diesem Zwecke bediente man sich nun eben der S., welche mit freundlichen Sentenzen der Erinnerung, mit kraftvollen Devisen, Sinnbildern, vorzüglich aber mit den Wappen[390] schreibt sich auch jedenfalls die Benennung der S. her; denn ein Fürst und Herr, welcher durch mehrfache Theilnahme an gleichender Festlichkeiten sein Gedenkbuch gefüllt hatte, besaß auf diese Art in demselben zugleich die Stämme der vornehmsten, deutschen Geschlechter. Von den Fürsten und Rittern ging diese, in ihrem Ursprunge so ehrwürdige Sitte auf die Fürstinnen, Ritterfrauen und Ritterfräulein, später auf die Gelehrten, von diesen auf die Studenten und endlich in alle Klassen, zu den Schulknaben wie Mägden, über; eine wahre Wuth, sein S. zu füllen mit großen Namen, ergriff die Menschen, und viele Phlegmatiker wurden bloß aus diesem Grunde die leidenschaftlichsten Touristen und bestürmten mit ihrem Erinnerungsvademecum die Cabinete und Ateliers aller Celebritäten. – Großes Interesse haben die S. verblichener Könige, Fürsten, Staats- und ausgezeichneter Männer überhaupt. Die stärkste Sammlung von S. dieser Art befindet sich in der großherz. Bibliothek in Weimar: sie besteht aus 325 Bl. Eins der wichtigsten S. ist das Albrecht Dürer's. Statt der jetzigen eleganten Blättersträußchen, umschlungen vom goldenen Bande, bediente man sich im 16. und 17. Jahrh. zu S. meist gedruckter, mit festen Emblemen versehener Bücher, die zu diesem Zwecke mit weißem Papier durchschossen wurden. Für diejenigen, welche nicht wissen, was sie in ein S. schreiben sollen, erschien schon 1578 eine Sammlung von allerhand Sprüchen und Stammbuchsversen.

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Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 9. [o.O.] 1837, S. 390-391.
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