Hallucination

[427] Hallucination ist eine »Sinnestäuschung«, nämlich eine Erinnerungsvorstellung, die durch ihre Ähnlichkeit mit einer Sinneswahrnehmung als solche beurteilt wird, als ein wirkliches Object gilt. Der Reiz (s. d.) zur Hallucination liegt allein im Organismus, in verschiedenen (momentanen, vergänglichen oder dauernden) Störungen desselben. Central erregte Empfindungen sind an der Hallucination beteiligt, sie besteht nicht aus bloßen Erinnerungsbildern. Von der Illusion (g. d.) ist sie zu unterscheiden.

ESQUIROL nennt den einen Hallucinanten, »qui ait la conviction intime d'une sensation actuellement perçue lorsque nul object extérieur propre à exciter cette sensation n'est à portée des sens« (Des maladies mentales 1838, I, p. 80). Nach GRIESINGER liegen in den Hallucinationen vor »subjective Sinnesbilder, welche nach außen projiciert werden und scheinbare Objectivität und Realität bekommen« (Pathol. u. Therap. d. psych. Krankh.2, S. 85). VOLKMANN erklärt: »Die Hallucination nimmt eine bloß reproducierte Vorstellung für eine Empfindung, erhebt sich aber dadurch über eine bloße Täuschung der innern Wahrnehmung, daß sie die Empfindung veräußerlicht, d.h., wenn diese betont ist, localisiert, wenn sie unbetont ist, prodiciert« (Lehrb. d. Psychol. II4, 146). FECHNER erklärt die Hallucinationen für »Täuschungen, die ganz oder beinahe den Charakter von außen erweckter Sinneswahrnehmungen für den Getäuschten annehmen, ohne daß in der äußern Wirklichkeit etwas zu ihrer Anregung vorhanden ist« (Elem. d. Psychophys. II, 505). ZIEHEN betrachtet die Hallucination als einen »Fall krankhaften Empfindens«. »Hier fehlt die Primärempfindung ganz, ebenso jeder äußere Reiz« (Leitfad. d. physiol. Psychol.2, S. 178). »Normalerweise werden die Empfindungszellen nur von der Peripherie aus erregt... Anders bei den Hallucinationen. Hier sind es die Erinnerungsbilder, welche ohne äußeren Reiz sinnlich lebhafte Empfindungen hervorrufen« (l.c. S. 180). WUNDT erklärt: »Unter den Veränderungen der Vorstellungsgebilde besitzen die auf peripherer oder centraler Anästhesie beruhenden Vorstellungsdefecte im allgemeinen eine beschränkte Bedeutung; sie üben auf den Zusammenhang der psychischen Vorgänge keine tieferen Wirkungen aus. Wesentlich anders verhält sich dies mit der durch centrale Hyperästhesie hervorgerufenen relativen [427] Steigerung der Empfindung. Ihre Wirkung ist namentlich deshalb eine sehr eingreifende, weil durch sie reproductive Empfindungselemente die Stärke äußerer Sinneseindrücke erreichen können. Infolgedessen kann es geschoben, daß entweder reine Erinnerungsbilder als Wahrnehmungen objectiviert werden: Hallucinationen; oder daß, wenn direct erregte und reproductive Elemente sich verbinden, durch die Intensität der letzteren der Sinneseindruck wesentlich verändert erscheint: phantastische Illusionen. Praktisch sind beide nur insofern zu unterscheiden, als sich in sehr vielen Fällen bestimmte Vorstellungen als phantastische Illusionen nachweisen lassen, während das Vorhandensein einer reinen Hallucination fast irmmer zweifelhaft bleibt, da irgend welche directe Empfindungselemente sehr leicht übersehen werden können. In der Tat ist es nicht unwahrscheinlich, daß weitaus die meisten sogenannten Hallucinationen Illusionen sind«, d.h. »Assimilationen mit starkem Übergewicht der reproductiven Elemente« (Gr. d. Psychol.5, S. 325 f.; Grdz. d. physiol. Psychol. II, 430 ff.). Nach KÜLPE sind Hallucinationen central erregte Empfindungen von sinnlicher Lebhaftigkeit (Gr. d. Psychol. S. 187). STÖRRING charakterisiert die Hallucination durch die Überzeugung des Hallucinierenden, eine wirkliche Wahrnehmung zu haben (Psychopathol. S. 31 f.), bestimmt sie als Sinnes-, nicht als Urteilstäuschung (gegen GRASHEY, Über Hallucinationen, München. Medicin. Wochenschr. 1893, u. a.), erörtert den Unterschied elementarer und complexer Hallucinationen, untersucht die verschiedenen Arten der Hallucinationen (Gesichts-, Bewegungs-, Geschmacks-, Tast-Hallucinationen). Bei den »Pseudo-Hallucinationen« fehlt der Charakter der Objectivität (l.c. S. 69). Die Theorien der Hallucination zerfallen in die »centralen« (»rein psychischen«) und die »psycho-sensoriellen«; letztere treten als »centripetale« oder »centrifugale« Theorie auf (l.c. S. 72). Nach Störring wird bei der Hallucination durch einen Sinneseindruck eine intensive Vorstellung ausgelöst, welche auf Grund einer gesteigerten Anspruchsfähigkeit der Hirnrinde mit jenem eine Verschmelzung eingeht (l.c. S. 88 ff.). – TAINE bezeichnet die objectiven Vorstellungen als »Hallucinationen« (s. Object). Vgl. BINET, L'hallucinat.; PARISH, Üb. d. Trugwahrnehm. 1894; SULLY, Die Illusionen 1883; HELLPACH, Grenzwiss. S. 309 u. a.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 1. Berlin 1904, S. 427-428.
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