[296] Schmerzempfindungen sind Empfindungen des »allgemeinen Sinnes«, besondere Empfindungen mit unlustvollem Gefühlstone, durch intensive Reize in den verschiedenen Sinnesorganen und Nerven ausgelöst. Je nach der Intensität, Succession, Ausdehnung des Schmerzes gibt es bohrende, stechende, reißende, brennende u. a. Schmerzen (vgl. HELLPACH, Grenzwiss. d. Psychol. S. 106 ff.). Der Schmerz weist auf (momentane oder dauernde) Zerstörungen in Organen hin, er ist der »Wächter des Lebens« (BURDACH). Seelischer Schmerz ist geistige Unlust.
Von manchen wird der Schmerz als an hochintensive Empfindungen geknüpfte Unlust, von andern als besondere Empfindung aufgefaßt. Nach PLOTIN ist der Schmerz eine Erkenntnis der Trennung des Körpers, welcher des Bildes der Seele beraubt wird (gnôsis apagôgês sômatos indalmatos psychês steriskomenou, Enn. IV, 4, 19). Nach AUGUSTINUS ist er »corruptio repentina eius rei, quam male utendo anima corruptioni obnoxiavit« (De ver. relig. 12). – DESCARTES erklärt: »La cause qui fait que la douleur produit ordinairement la tristesse, est que le sentiment qu'on nomme douleur, vient toujours de quelque[296] action si violente, qu'elle offense les nerfs. en sorte qu'étant instituée de la nature pour signifier à l'âme le dommage que reçoit le corps par cette action, et sa faiblesse, en ce qu'il ne lui a pu resister, il lui représente l'un et l'autre comme des maux, qui lui sont toujours désagréables« (Pass. de l'âme II, 94). Die prophylaktische Bedeutung des Schmerzes lehrt LEIBNIZ (Theod. II, § 342). Nach CHR. WOLF ist der Schmerz »die Trennung des Stetigen in unserm Körper« (Vern. Ged. I, § 421). »Dolor est solutio continui in corpore, vel actu facta, rel ex nimia fibrillarum tensione metuenda« (Psychol. empir. § 539). Ähnlich lehrt MENDELSSOHN (Philos. Schr. I, 136).
Nach KANT ist der Schmerz »die Unlust durch den Sinn«. Er ist das Gefühl eines »Hindernis des Lebens« (Anthropol. I, § 58). G. E. SCHULZE erklärt: »Die starken, durch ein gegenwärtiges inneres oder äußeres Übel verursachten unangenehmen Gefühle heißen Leiden, die höheren Grade von diesen aber Schmerzen« (Psych. Anthropol. S. 380 f.). BENEKE führt den Schmerz auf Überreizung zurück (Lehrb. d. Psychol.3, § 58). VOLKMANN erklärt den Schmerz aus dem Widerstreben der »Stimmung« gegen die zugemutete Herabstimmung, wodurch in der Seele ein »Conflict«, eine »innere Disharmonie« entsteht (Lehrb. d. Psychol. I4, 238). Nach L. DUMONT ist der Schmerz die Wirkung einer Kraftverminderung des Organismus (Vergn. u. Schm. S. 164). Nach H. V. STEIN beruht er auf einem Andringen von Lebenstätigkeit gegen Hemmungen (Vorles. S. 5). – Nach REHMKE ist der Schmerz ein Zusammen von Empfindung und Gefühl (Allg. Psychol. S. 312). Nach ZIEHEN ist er nur »eine Specialbezeichnung für das Unlustgefühl, welches sehr intensive Hautempfindungen begleitet« (Leitfad. d. phys. Psychol.2, S. 98). KÜLPE erklärt: »Schmerz pflegt überall zu entstehen, wo die Reizung eines sensiblen Nerven einen gewissen Grad übersteigt. Das Specifische an ihm ist, wie es scheint, nicht die ihm nie fehlende Empfindungsqualität, sei dieselbe nun große Wärme oder starker Druck oder ein kreischender Ton oder ein blendendes Licht, sondern die Unlust, als deren höchster Grad er gilt. Die neue Qualität, die im Schmerz zu den Empfindungen des Hautsinns hinzutritt, ist also wohl nicht eine besondere Qualität des letzteren, sondern ein Gefühl, das durch Erregung aller sensiblen Nerven entstehen kann« (Gr. d. Psychol. S. 93). – Eine eigene Qualität des Hautsinnes ist der Schmerz nach RICHET, GOLDSCHEIDER, V. FREY, EBBINGHAUS (Gr. d. Psychol. I, 352 ff.), M. BENEDICT (Seelenk. d. Mensch. S. 19), WUNDT (Gr. d. Psychol.5, S. 56), HELLPACH (Grenzwiss. S. 106 ff.), S. ALRUTZ (Üb. d. Schmerzsinn, 1901) u. a. Nach R. WAHLE ist der Schmerz »eine Summe von Leibesempfindungen... plus specifischen, ebenfalls extensiven Schmerzempfindungen und, drittens, plus dem Wunsche, diese Empfindungen loszuwerden« (Das Ganze d. Philos. S. 295). Vgl. SERGI, Dolore e piacere 1894. BEAUNIS, Sensat. int. u. a. – Vgl. Anästhesie.