[713] Wechselwirkung: gegenseitiges Aufeinanderwirken der Dinge. Princip von Wirkung und Gegenwirkung. Durch die allgemeine Wechselwirkung sind die Dinge zur Einheit der Welt (s. d.) verbunden, anderseits setzt die Tatsache der Wechselwirkung schon eine primäre Einheit des Seins voraus.
SPINOZA erklärt: »Quae res nihil commune inter se habent, earum una alterius causa esse non potest« (Eth. I, prop. III). Die Occasionalisten (s. d.) und LEIBNIZ leugnen alle directe Wechselwirkung (s. Harmonie). – Das mechanische Princip der Wechselwirkung formuliert NEWTON: Die Wirkungen zweier Körper aufeinander müssen stets gleich und von entgegengesetzter Richtung sein. so auch HUYGHENS u. a. – LESSING bemerkt: »Alles in der Natur ist mit allem verbunden. alles durchkreuzt sich, alles wechselt mit allem. alles verändert sich in das andere« (Hamb. Dramat. II, 1).
Nach KANT reicht das bloße gleichzeitige Dasein der Substanzen zur Begründung ihrer Verbindung nicht aus, dazu ist noch eine Gemeinschaft des Ursprungs erforderlich (Princ. prim. sct. III, 2). Später bestimmt er die Wechselwirkung als eine die Erfahrung, die Ordnung der Erscheinungen bedingende Kategorie (s. d.). »Alle Substanzen, sofern sie zugleich sind, stehen in durchgängiger Gemeinschaft (d. i. Wechselwirkung untereinander)« (Krit. d. rein. Vern. S. 196). Nur unter der Bedingung der Wechselwirkung können Substanzen als zugleich existierend erkannt werden. »Dinge sind zugleich, sofern sie in einer und derselben Zeit existieren. Woran erkennt man aber, daß sie in einer und derselben Zeit sind? Wenn die Ordnung in der Synthesis der Apprehension dieses Mannigfaltigen gleichgültig ist, d. i. von A durch B, C, D auf E oder auch umgekehrt von E zu A gehen kann. Denn wäre sie in der Zeit nacheinander (in der Ordnung, die von A anhebt und in E endigt), so ist es unmöglich, die Apprehension in der Wahrnehmung von E anzuheben und rückwärts zu A fortzugehen, weil A zur vergangenen Zeit gehört und also kein Gegenstand der Apprehension mehr sein kann.« »Nehmet nun an: In einer Mannigfaltigkeit von Substanzen als Erscheinungen wäre jede derselben völlig isoliert, d. i. keine wirkte in die andere und empfinge von dieser wechselseitig Einflüsse, so sage ich, daß das Zugleichsein derselben kein Gegenstand[713] einer möglichen Wahrnehmung sein würde, und das Dasein der einen, durch keinen Weg der empirischen Synthesis, auf das Dasein der anderen führen könnte. Denn wenn ihr auch gedenkt, sie wären durch einen völlig leeren Raum getrennt, so würde die Wahrnehmung, die von der einen zur andern in der Zeit fortgeht, zwar dieses ihr Dasein vermittelst einer folgenden Wahrnehmung bestimmen, aber nicht unterscheiden können, ob die Erscheinung objectiv auf die erstere folge oder mit jener vielmehr zugleich sei.« »Es muß also noch außer dem bloßen Dasein etwas sein, wodurch A dem B seine Stelle in der Zeit bestimmt und umgekehrt auch wiederum B dem A, weil nur unter dieser Bedingung gedachte Substanzen, als zugleich existierend, empirisch vorgestellt werden können. Nun bestimmt nur dasjenige dem andern seine Stelle in der Zeit, was die Ursache von ihm oder seinen Bestimmungen ist. Also muß jede Substanz (da sie nur in Ansehung ihrer Bestimmungen Folge sein kann) die Causalität gewisser Bestimmungen in der andern und zugleich die Wirkungen von der Causalität der andern in sich enthalten, d. i. sie müssen in dynamischer Gemeinschaft (unmittelbar oder mittelbar) stehen, wenn das Zugleichsein in irgend einer möglichen Erfahrung erkannt werden soll. Nun ist aber alles dasjenige in Ansehung der Gegenstände der Erfahrung notwendig, ohne welches die Erfahrung von diesen Gegenständen selbst unmöglich sein würde. Also ist es allen Substanzen in der Erscheinung, sofern sie zugleich sind, notwendig, in durchgängiger Gemeinschaft der Wechselwirkung untereinander zu stehen« (l. c. S. 197 f.).
SCHELLING betont: »Es ist überhaupt kein Causalitätsverhältnis construierbar ohne Wechselwirkung« (Syst. d. tr. Ideal. S. 228. vgl. HEGEL, Encykl. § 154 ff.). Nach CHR. KRAUSE findet alle Wechselwirkung im Urwesen statt (Urb. d. Menschheit3, S. 329). »Nach Gottes Weltordnung werden alle Wesen mit allen Wesen in mittelbare oder unmittelbare Beziehung gesetzt. sie kommen in Verhältnisse der Gemeinschaft und der Geselligkeit« (l. c. S. 55 ff.). Nach J. H. FICHTE ist der göttliche Raum (s. d., auch NEWTON, CLARKE) die Grundbedingung jeder Wechselwirkung (Psychol. I, 31). LOTZE erklärt: »Nur wenn die einzelnen Dinge nicht selbständig oder verlassen im Leeren schwimmen, über das keine Beziehung hinüberreichen kann, nur wenn sie alle, indem sie endliche Einzelheiten sind, doch zugleich nur Teile einer einzigen sie alle umfassenden, innerlich in sich hegenden unendlichen Substanz sind, ist ihre Wechselwirkung aufeinander oder das, was wir so nennen, möglich« (Mikrok. III2, 482). Die Correspondenz der Dinge beruht darauf, »daß alles Seiende nur ein unendliches Wesen ist, das in den einzelnen Dingen seine stets gleiche mit sich identische Natur notwendig in zusammenpassenden Formen ausprägt« (l. c. S. 384. vgl. Gdz. d. Psychol. § 79). Lotze betont, »daß die wahren Wechselwirkungen der Dinge nicht in Mitteilung äußerer Bewegungen bestehen, sondern daß primitiv ein innerer Zustand des einen auf die innere Natur des andern wirke, die Änderungen der Lage und Bewegung dagegen nur Consequenzen und Erscheinungsweisen dieses inneren Verkehrs sind« (Med. Psychol. S. 203). – Nach HERBART gibt es keine eigentliche Wechselwirkung (s. Causalität). Nach E. v. HARTMANN ist die Wechselwirkung nur ein Specialfall der Causalität (Kategorienlehre, S. 384). Nach FR. SCHULTZE wirkt alles mittelbar oder unmittelbar auf alles (Philos. d. Naturwiss. II, 343. vgl. Sympatheia tôn holôn. Sympathie). Nach L. DILLES kann eine Substanz auf eine andere nicht »einwirken« (s. Veränderung), auch nicht ein Ding auf das Ich, sondern: »Das Ich erhält nur vorübergehend gewisse ideelle Teile der Dinge an sich gleichsam in sein Wesen[714] einverleibt, hineingebracht. Und deren Harmonie resp. Disharmonie mit dem Grund-Ich ist eben all die Förderung resp. Störung desselben, seiner Integrität. Das sind seine Affectionen. Afficieren ist nicht eine Tätigkeit, die von den Dingen an sich auf das Ich überginge, sondern ist ein innigeres Eins-werden gewisser ideeller Teile der Dinge an sich mit dem Ich (resp. größeres Separiertwerden)« (Weg zur Met. I, 254). – Vgl. G. BIEDERMANN, Philos. als Begriffswissensch. II, 103 ff.. CHALYBAEUS, Wissenschaftslehre, S. 137 ff.. DORNER, Das menschl. Erkennen, 18S7, u. a. Vgl. Causalität, Wirken, Sympathie, Monaden.