Stumpf, Carl

[730] Stumpf, Carl, geb. 1848 in Wiesentheid (Bayern), Prof. in Berlin (früher in Würzburg, Prag, Halle, München).

S., der von F. Brentano, Lotze u.a. beeinflußt ist, hat sich besonders als Psycholog hervorgetan. Die Konsonanz der Töne faßt er als Tonverschmelzung verschiedener Festigkeit auf. Bezüglich der Raumvorstellung ist S. modifizierter Nativist. Unsere Seele hat eine besondere Fähigkeit, einen »eigentümlichen angeborenen Drang«, gerade Raumvorstellungen zu bilden, veranlaßt; durch psychische Reize (»Theorie der psychischen Reize«). Der Raum ist nicht Subjektiver als die Sinnesqualitäten, er hat ein objektives Korrelat. Den Affekten liegen Urteile zugrunde. – Das Psychische ist vielleicht eine Energie eigener Art, die ihr mechanisches Äquivalent hat; es ist möglich, daß gewisse psychische Funktionen mit einem fortwährenden Verbrauch, andere mit einer Erzeugung physischer Energie verknüpft sind. Jedenfalls verhindert die Ungleichartigkeit des Psychischen und Physischen nicht deren Wechselwirkung, Wir müssen die Welt »in allen ihren Teilen als ein kausal zusammenhängendes Ganzes auffassen, worin jedes Wirkliche seine Arbeit, leistet, keines von der allgemeinen Wechselwirkung ausgeschlossen ist«. Die Vielheit beruht auf einer »transzendenten Einheit«, die Welt ist der Organismus schlechthin. Einer im ganzen stetig fortschreitenden Entwicklung auf physischem Gebiet ist eine unstetige auf psychischem zugeordnet. Es besteht in der Welt ein: »Entwicklungsplan«, ein mechanisches Verhältnis, demzufolge sich die Elemente zu zweckmäßigen Endgebilden entwickeln können und müssen.

Von der Psychologie ist auch die Logik abhängig. S. betont ferner, die Erscheinungen von Farben, Tönen, Gestaltungen in Raum und Zeit sind nicht die physische Welt selbst, noch etwas Psychisches (vgl. Brentano), sondern sie sind »das Material woraus der Physiker schöpft, und zugleich der Ausgangspunkt und der Nährstoff des Seelenlebens«. Die »Phänomenologie« ist »eine bis zu den letzten Elementen vordringende Analyse der sinnlichen Erscheinungen in sich selbst«. Dem Geiste kommt der Natur gegenüber Priorität insofern zu, als uns nur Geistiges unmittelbar als Realität gegeben ist, während die äußere Wirklichkeit erschlossen ist (Krit. Realismus).

Schriften: Das Verhältnis des platonischen Gottes zur Idee des Guten, 1869. – Über d. psychol. Ursprung d. Raumvorstellung, 1873. – Tonpsychologie, 1883-90. – Psychologie und Erkenntnistheorie, 1891. – Der Begriff der mathematischen Wahrscheinlichkeit, 1892. – Geschichte des Konsonanzbegriffes I, 1897. – Die pseudoaristotel.[730]

Probleme über Musik, 1897. – Beiträge zur Akustik u. Musikwissenschaft, 1898 ff. – Über den Begriff der Gemütsbewegung, 1899. – Methodik der Kinderpsychol., Zeitsch. f. päd. Psychol. u. Pathol., 1900. – Tafeln zur Gesch. d. Philos., 1900; 3. A. (mit Menzer) 1910. – Leib und Seele; Der Entwicklungsgedanke, 2. A. 1903. – Über Gefühlsempfindungen, 1906. – Erscheinungen und psychische Funktionen, 1907. – Zur Einteilung der Wissenschaften, 1907. – Die Wiedergeburt der Philosophie, 1908. – Vom ethischen Skeptizismus, 1909. – Philos. Reden und Vorträge, 1910, u.a.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 730-731.
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