[515] Ich habe mich unter dem alten Kaiser lange Zeit bemüht, eine sachgemäße Vorbereitung des Enkels für seine hohe Bestimmung zu erreichen. Vor allem hielt ich für geboten, den Thronerben dem beschränkten Kreise des Potsdamer Regimentsdienstes zu entziehen und mit andren als militärischen Strömungen der Zeit in Berührung zu bringen. Daß ihm ein Zivilposten, zunächst etwa des Landraths, dann des Regierungspräsidenten unter Beirath eines geschulten Beamten übertragen werde, das zu erreichen hatte ich keine Aussicht und beschränkte mich auf das Bemühen, zunächst die militärische Uebersiedlung des Prinzen nach Berlin durchzusetzen und ihn dort mit erweiterten Gesellschaftskreisen und mit den verschiedenen Zentralbehörden in Verbindung zu bringen. Die Hindernisse schienen wesentlich in den Bedenken des Hausministeriums gegen den durch Aufenthalt in Berlin verursachten Kostenaufwand, namentlich für Einrichtung des Schlosses Bellevue, zu liegen. Der Wohnsitz blieb Potsdam, wo dem Prinzen von dem Oberpräsidenten von Achenbach Vorträge gehalten wurden. Auch erlangte ich 1886 auf seinen Wunsch die Erlaubniß Sr. M., ihm die Acten und Geschäfte des Auswärtigen Amtes zugänglich zu machen, freilich unter scharfem Widerspruch des Kronprinzen, der mir darüber am 28. September aus Portofino bei Genua schrieb:
»Mein Sohn Prinz Wilhelm hat, ehe ich darum wußte, gegen Seine Majestät den Wunsch geäußert, während des bevorstehenden Winters mit der Thätigkeit unserer Ministerien näher bekannt zu werden, und ist in Folge dessen, wie ich vernehme, bereits in Gastein seine Beschäftigung im Auswärtigen Amte ins Auge gefaßt worden.
Da mir bis jetzt von keiner Seite offizielle Mittheilungen hierüber gemacht wurden, sehe ich mich veranlaßt, zunächst vertraulich mich an Sie zu wenden, einmal um zu erfahren, was etwa bereits bestimmt ward, dann aber um zu erklären, daß trotz meines prinzipiellen Einverständnisses mit der Einführung meines ältesten Sohnes in die Fragen der höheren Verwaltung ich entschieden dagegen bin, daß er mit dem Auswärtigen Amt beginne.
Denn angesichts der Wichtigkeit der dem Prinzen zu stellenden Aufgabe halte ich es für geboten, daß er vor allen Dingen die inneren Verhältnisse seines eignen Landes kennen lerne und dann sich[515] mit denselben vertraut fühle, ehe er (bei seinem ohnehin schon sehr raschen und zur Uebereilung neigenden Urtheil) sich auch nur einigermaßen mit der Politik befaßt. Sein wirkliches Wissen ist noch lückenhaft, es fehlt ihm zur Zeit an der gehörigen Grundlage, weshalb es durchaus erforderlich ist, daß seine Kenntnisse gehoben und vervollständigt werden. Einen solchen Zweck würde die Zutheilung eines Zivil-Informators und damit verbunden oder auch später die Beschäftigung auf einem der Verwaltungs-Ministerien erfüllen.
Aber angesichts der mangelnden Reife sowie der Unerfahrenheit meines ältesten Sohnes, verbunden mit seinem Hang zur Ueberhebung wie zur Ueberschätzung, muß ich es geradezu für gefährlich bezeichnen, ihn jetzt schon mit auswärtigen Fragen in Berührung zu bringen.
Indem ich Sie bitte, diese meine Mittheilung als nur allein an Sie gerichtet zu betrachten, rechne ich auf Ihren Beistand in dieser mich sehr ernst bewegenden Angelegenheit.«
Ich bedauerte die daraus ersichtliche Stimmung zwischen Vater und Sohn und den Mangel an der Mittheilsamkeit zwischen Beiden, auf die ich gerechnet hatte, obschon der gleiche Mangel seit Jahren zwischen Sr. M. und dem Kronprinzen bestand; ich vermochte mich aber damals dem Urtheil des letzteren nicht anzuschließen, weil der Prinz bereits 27 Jahr alt war und da Friedrich der Große mit 28, Friedrich Wilhelm I. und III. in noch jüngerem Alter den Thron bestiegen. In meiner Erwiderung beschränkte ich mich darauf, zu sagen, daß der Kaiser befohlen und den Prinzen zum Auswärtigen Amte »commandirt« habe, und hervorzuheben, daß in der königlichen Familie die väterliche Autorität in der des Monarchen unterginge.
Gegen die Versetzung nach Berlin machte der Kaiser in erster Linie nicht den Kostenpunkt geltend, sondern den Umstand, daß der Prinz für die nächste militärische Beförderung, welche den äußerlichen Anlaß zu der Uebersiedlung bilden sollte, noch zu jung wäre; es half mir auch nichts, den Kaiser an sein eignes viel schnelleres Aufsteigen in der militärischen Hierarchie zu erinnern. Die Beziehungen des jungen Herrn zu unsren Centralbehörden blieben auf das mir untergebene Auswärtige Amt beschränkt, von dessen interessanteren Acten er mit Bereitwilligkeit, aber ohne Neigung zu ausdauernder Arbeit, Kenntniß nahm. Um ihn über den inneren Dienst eingehender zu unterrichten und um in den täglichen Verkehr des Prinzen ein civilistisches Element neben dem kameradschaftlichen[516] einzuführen, bat ich den Kaiser, zu gestatten, daß ein höherer Beamter von wissenschaftlicher Bildung zu Sr. Königlichen Hoheit kommandiert werde; ich schlug dazu den Unterstaatssecretär im Ministerium des Innern Herrfurth vor, der mir bei seiner Vertrautheit mit der Gesetzgebung und Statistik des ganzen Landes zu einem Mentor des Thronerben besonders geeignet schien. Auf meine Anregung lud mein Sohn im Januar 1888 den Prinzen und Herrfurth zu Tische, um die persönliche Bekanntschaft zu vermitteln. Dieselbe führte aber zu keiner weiteren Annäherung. Der Prinz sagte, mit einem so ungepflegten Barte habe er sich in seiner Jugend Rübezahl vorgestellt, und bezeichnete auf meine Frage den Regierungsrath und Reserve-Offizier von Brandenstein in Magdeburg als eine ihm zusagende Persönlichkeit. Dieser erschien in der That nach allen Richtungen hin für die beabsichtigte Verwendung geeignet und trat auf meine Bitte die Stellung an, äußerte aber schon Mitte März den Wunsch, derselben enthoben zu werden und zu seiner Thätigkeit in der Provinz zurückzukehren. Er war von dem Prinzen sehr gnädig behandelt, wie ein willkommner Gast zu allen Mahlzeiten zugezogen worden, hatte aber zu dem Bewußtsein einer geschäftlichen Thätigkeit nicht gelangen und sich mit einem müßigen Hofleben nicht befreunden können. Er ließ sich einstweilen zum Bleiben bewegen und wurde im Juni, nachdem der Prinz den Thron bestiegen, auf dessen Befehl zu einem höheren Posten in Potsdam ernannt, gegen den auf Anciennitätsbedenken begründeten Widerspruch der betheiligten Behörden.
Mein Bemühen, eine militärische Versetzung des Prinzen in irgend eine Provinz zu erreichen, lediglich behufs Wechsels der Potsdamer Regimentseinflüsse, blieb erfolglos. Die Dimension der Kosten des prinzlichen Haushalts in der Provinz erschien dem Hausministerium noch bedeutender als in Berlin. Auch die Kronprinzessin war dem Plane abgeneigt. Der Prinz war zwar im Januar 1888 zum Brigadier in Berlin ernannt worden, aber die Beschleunigung, welche in der Entwicklung der Krankheit des Vaters eintrat, schnitt schließlich die Möglichkeit ab, dem Prinzen vor seiner Thronbesteigung bezüglich unsres staatlichen Lebens im Innern andre Eindrücke zu verschaffen, als das Regimentsleben gewähren konnte.
Ein Thronerbe als Kamerad unter jungen Offizieren, deren Begabteste vielleicht ihre dienstliche Zukunft im Auge haben, kann nur in seltnen Fällen darauf rechnen, durch den Einfluß seiner Umgebung[517] in der Vorbereitung für seinen künftigen Beruf gefördert zu werden. Die Beschränktheit des Vorlebens, zu welchem der jetzige Kaiser durch die Sparsamkeit des Hausministeriums verurtheilt wurde und die ich nicht zu ändern vermochte, habe ich tief beklagt. Er ist dann auch mit Anschauungen auf den Thron gekommen, die für unsre preußischen Begriffe neu und nicht durch unser Verfassungsleben geschult sind.
Seit dem Jahre 1884 unterhielt der Prinz einen zu Zeiten lebhaften Briefwechsel mit mir. In demselben wurde ein Ton von Verstimmung auf seiner Seite zuerst bemerklich, nachdem ich mit triftigen Gründen, aber mit aller Devotion in der Form ihm von zwei Vorhaben abgerathen hatte. Das eine knüpft sich an den Namen Stöcker.
Am 28. November 1887 fand bei dem General-Quartiermeister Grafen Waldersee eine Versammlung statt, an welcher der Prinz und die Prinzessin Wilhelm, der Hofprediger Stöcker, Abgeordnete und andre bekannte Persönlichkeiten Theil nahmen, um die Beschaffung von Mitteln für die Berliner Stadtmission zu besprechen. Der Graf Waldersee eröffnete die Verhandlung mit einer Rede, in welcher er betonte, daß die Stadtmission keine politische Farbe trage, sondern ihre einzige Norm an der Königstreue und Pflege des patriotischen Geistes habe; das einzige wirksame Mittel, den anarchistischen Tendenzen entgegen zu treten, sei die geistliche Versorgung, die mit der materiellen Unterstützung Hand in Hand ginge. Der Prinz Wilhelm sprach seine Zustimmung zu den Ausführungen des Grafen Waldersee aus und hat sich nach dem Referat der Kreuzzeitung des Ausdrucks »christlich-socialer Gedanke« bedient.
Aus dieser Versammlung kommend machte der Prinz meinem Sohne einen Besuch, sprach über die Vorgänge in derselben und äußerte: »Der Stöcker hat doch etwas von Luther.« Mein Sohn, der durch den Prinzen das Erste von jener Versammlung hörte, erwiderte, Stöcker möge seine Meriten haben und sei ein guter Redner; aber er sei leidenschaftlich und könne sich auf sein Gedächtniß nicht immer verlassen. Der Prinz entgegnete, Stöcker habe aber doch dem Kaiser viele Tausende von Stimmen gewonnen, die er den Socialdemokraten entrissen habe; mein Sohn erwiderte, seit den Wahlen im Jahre 1878 hätten die socialdemokratischen Stimmen constant zugenommen; wenn Stöcker wirklich etwas gewonnen habe, so müßte doch eine Abnahme nachweisbar sein. In Berlin sei die Betheiligung an den Wahlen eine geringe,[518] der Berliner liebe aber Versammlungen, Lärm und Schimpfen, und mancher Gleichgültige, der sonst garnicht zu wählen pflegte, hätte sich wohl in Folge der Stöcker'schen Agitation eingefunden und für den von ihm vorgeschlagenen Candidaten gestimmt. Daß aber Stöcker und seine Agitation eine erhebliche Zahl von Socialdemokraten bekehrt hätten, sei eine Täuschung.
Nach einem Jagd-Diner, welches bald nachher in Letzlingen stattfand, ließ der Prinz ein Zeitungsblatt mit einem Artikel über die Tendenzen jener Versammlung herumgehen. In der Unterhaltung, welche sich darüber zwischen seinen Begleitern entspann, vertrat mein Sohn die Ansicht, daß Stöcker nicht als Pastor, sondern als Politiker aufzufassen und als solcher zu scharf sei, als daß man dem Prinzen Wilhelm empfehlen könnte, sich mit ihm zu identificiren.
Mein Sohn fuhr von Letzlingen über Berlin direct nach Friedrichsruh, wo ich inzwischen mehrere Artikel über die sogenannte Waldersee-Versammlung gesehen hatte und ihn nach der Bedeutung derselben fragte. Er erzählte, was in Letzlingen vorgegangen war. Ich billigte seine Auffassung und bemerkte, daß die Sache mich einstweilen nichts angehe. Mittlerweile wuchs der Preßlärm, gutgesinnte Leute besuchten meinen Sohn und klagten bitter im Interesse des Prinzen, daß er sich auf eine Sache eingelassen habe, aus der er sich jetzt nicht herausfinden könne. Personen aus der Umgebung des Prinzen, die Erörterungen mit ihm gehabt, waren bestürzt über seine Heftigkeit und erzählten, daß mein Sohn bei ihm angeschwärzt worden sei; der Kammerherr von Mirbach habe dem Prinzen und der Prinzessin versichert, mein Sohn habe im December die scharfen Artikel in der »Norddeutschen Allgemeinen Zeitung« geschrieben, die erst für das Cartell und die liberale Presse das Signal zur Stellungnahme gegen den Prinzen und seine Stöckerei gewesen wären. In der That rührten jene Artikel von Rottenburg1 her, mein Sohn hat sie nie gelesen, ich auch nicht.
Die Wirkung dieser Hetzerei bemerkte mein Sohn auf dem nächsten und allen folgenden Hoffesten, wo die Prinzessin Wilhelm, die bis dahin wohlwollend für ihn gewesen war, ihn so anhaltend ignorirte, daß das erste Wiederbemerken am Vorabende der Abreise nach Petersburg Statt fand, als das Staatsministerium insgesammt empfangen wurde.
Ich hatte keine Veranlassung gefunden, mich mit der Sache zu befassen, bis der Prinz folgenden Brief an mich richtete.
[519]
»Potsdam, den 21. December 1887
Ich habe zu meinem Bedauern erfahren, daß Ew. D. mit einem Werke, welches ich im Interesse der armen Klassen unsres Volkes begonnen habe, nicht einverstanden sein sollen. Ich fürchte, daß die hierüber von socialdemokratischen Blättern ausgegangenen und leider in viele andre Zeitungen übernommenen Nachrichten die Veranlassung gegeben haben, meine Absichten zu entstellen. Bei dem intimen Verhältniß, welches Ew. D. mit mir schon lange verbindet, hatte ich täglich gehofft, daß Ew. D. direkt bei mir Erkundigungen einziehn würden. Daher habe ich bis jetzt geschwiegen – halte es aber jetzt für meine Pflicht, um weiteren Mißverständnissen und Mißdeutungen vorzubeugen, Ew. D. über den wirklichen Sachverhalt klar zu unterrichten. Im vorigen Jahre wurde mir von vielen Hochgestellten in und außer Berlin wiederholt der Wunsch ausgesprochen, im Interesse der Armen Berlins zeitweise größere Festlichkeiten zu veranstalten, deren Erträge eine dauernde Beihülfe für die Berliner Stadtmission geben sollten. Mit Genehmigung Sr. M. des Kaisers wurde unter meinem Protectorat ein Reiterfest in Aussicht genommen. Dasselbe unterblieb damals. Der Gedanke wurde in diesem Herbst von Neuem angeregt, aber wegen der schweren Erkrankung meines Vaters wieder fallen gelassen, und statt dessen meine Frau gebeten, wie schon vor zwei Jahren das Protectorat über einen großen Bazar zu übernehmen. Da indessen die Frau Prinzessin durch die stets mehr beunruhigenden Nachrichten über den Kronprinzen zu erschüttert war, wünschte sie, daß auch von dem Bazar und sonst noch projectirten Festlichkeiten Abstand genommen würde, und daß man sich durch einen Aufruf zu einer großen Collecte direct an alle Freunde der Stadtmission und der Nothleidenden wenden möchte.
Zu diesem Zwecke sollte ein größeres Komite gebildet werden, welchem beizutreten ich Freunde der Sache aus allen Provinzen und zwar absichtlich aus den verschiedensten politischen Parteien und verschiedenen Confessionen auffordern ließ. An die Spitze dieses Komite's traten auf meinen Vorschlag: Graf Stolberg, Minister von Puttkamer, Minister von Goßler, Graf Waldersee und Graf Hochberg mit ihren Gemahlinnen.
Zum 28. November luden meine Frau und ich ungefähr 30 Personen zu einer Vorbesprechung beim Grafen von Waldersee ein. Ich legte dort den Herren meine Absichten ans Herz und betonte, daß es mir vom größten Interesse sei, bei dieser Arbeit christlicher Liebe Leute verschiedener politischer Parteien zu vereinen, um dadurch[520] jeden politischen Gedanken fern zu halten und auf diese Weise möglichst viele verschiedene gute Elemente zu gemeinsamer christlicher Arbeit anzufeuern. Daß es gerade mir in meiner schwierigen, verantwortungsvollen und dornenvollen Lage daran gelegen sein mußte, einer solchen Sache keinen politischen Anstrich zu geben, versteht sich doch wohl von selbst. Auf der anderen Seite aber bin ich davon durchdrungen, daß eine Vereinigung dieser Elemente zu dem genannten Zweck ein anzustrebendes Ziel ist, welches das wirksamste Mittel zur nachhaltigen Bekämpfung der Socialdemokratie und des Anarchismus bietet. Die in den einzelnen großen Städten des Reichs bereits bestehenden Stadtmissionen scheinen mir dazu die geeigneten Werkzeuge.
Ich begrüßte es daher mit Freuden, daß in der Versammlung von den verschiedensten Seiten, besonders von Liberalen – v. Benda etc. – der Vorschlag gemacht wurde, das beabsichtigte Werk auf alle Großstädte der Monarchie gleichmäßig auszudehnen. So würde die Berliner Stadtmission nur ein gleichberechtigtes Glied in einer Kette vieler anderer gleichstehender Stadtmissionen sein und keine bevorzugtere Rolle haben als Magdeburg oder Stettin.
Dadurch wird der Verdacht hoffentlich beseitigt werden, der durch die absichtlichen Entstellungen der Presse sofort künstlich wachgerufen ward, als ob es sich um eine specifisch Stöckersche Sache handele. Dazu kommt, daß die Absicht ist, die vereinigten Stadtmissionen unter Aufsicht und Leitung eines hervorragenden Geistlichen – der ebenfalls Mitglied des Arbeitskomite's, in dem die voraufgeführten Minister sind, sein würde –, jedenfalls nicht Stöcker zu stellen. So würde die Berliner Stadtmission bez. der gefürchtete Stöcker in die Linie aller Anderen zu stehn kommen und er nicht mehr bei der Sache, die das Komite führt, betheiligt sein als das Haupt der Stadtmission zu Leipzig oder Hamburg oder Stettin. Die Berliner Stadtmission ist ein durch Gewährung einer regelmäßigen, landeskirchlichen Collekte in der letzten Generalsynode auch durch einstimmiges Votum sogar von liberaler Seite sanctionirtes Institut. Die vornehmsten und angesehensten Leute aller Provinzen sind seit Jahren Träger der Stadtmission-Hülfs-Vereine, durch deren Unterstützung und Heranziehung ich mir für die moralische Hebung der Massen, durch das Mitwirken so vieler solcher edlen Kräfte, die beste Hülfe verspreche.
Es hat mich empört, daß man die Sache durch ein unwahres, aber sehr schlau und wohl berechnetes Hervorheben der Person[521] Stöckers zu verdächtigen und zu hintertreiben gesucht hat. Trotz aller anerkennenswerthen Leistungen dieses Mannes für Monarchie und Christenthum haben wir in der von mir beabsichtigten Vereinigung gerade wegen der öffentlichen Meinung denselben zurückgestellt, was, wie ich es mir schon vorher auszuführen erlaubte, bei der Ausdehnung des Werkes über die ganze Monarchie in noch höherem Maaße bedingt wird, und bereits in der Versammlung selbst durch Graf Waldersee scharf betont wurde. Denn, da das gesammte Werk ein farbloses, nicht politisches ist, so steht es auch allen Parteien offen, mitzuwirken; und ist es eben beabsichtigt, eine absolut nicht politische Persönlichkeit zur Leitung der Missionsarbeit im Lande zu berufen, der die einzelnen Stadtmissionen unterstellt sein werden.
Zu dem Zweck wird auch der Herr Kultusminister um Rath gefragt werden, ob er eine geeignete Persönlichkeit vorzuschlagen wisse.
Männer wie Graf Stolberg, Waldersee, General Graf Kanitz, Graf Hochberg, Graf Ziethen-Schwerin, v. Benda, Miquel und Ew. D. treuergebene Collegen von Puttkamer und von Goßler bürgen – sollte ich meinen – schon dafür, daß die Sache in richtiger und vorschriftsmäßiger Weise geleitet werde, und zum Heile des Landes und zur festen, nachhaltigen Förderung Ew. D. schweren und herrlichen Werkes im Inneren ausschlagen werde. Mich beseelt persönlich ja nur der so oft ausgesprochene Wunsch Sr. Majestät, die irregehenden Volksmassen durch gemeinsame Arbeit aller guten Elemente jeden Standes und jeder Partei auf dem Gebiete christlicher Thätigkeit dem Vaterland wiederzugewinnen, eine Absicht, die ja auch von Ew. D. so umständlich vertreten wird. Das Bekanntwerden der Sache hat Anfangs großen Beifall gefunden, bis die socialdemokratischen und freisinnigen Blätter darüber herfielen und die unglaublichsten, theilweise unverschämtesten Verdächtigungen in die Welt setzten. Sie haben allerdings erreicht, was sie wollten, und Viele stutzig gemacht. Ich hoffe aber bestimmt, daß mit der bereits an vielen Orten hervortretenden Anerkennung meiner wahren, unparteiischen Ansichten die gute Sache gefördert und Segen bringen wird, und daß die niederträchtigen Angriffe zur Klärung und Läuterung beitragen werden.
Meine hohe, warme Verehrung und herzliche Anhänglichkeit, die ich für Ew. D. hege, – ich ließe mir stückweise ein Glied nach dem anderen für Sie abhauen eher, als daß ich etwas unternähme, was Ihnen Schwierigkeiten machen oder Unannehmlichkeiten bereiten[522] würde – sollten, mein' ich, Bürge sein, daß ich mich bei diesem Werke auf keine politische Parteigedanken eingelassen habe. Ebenso lassen mich das große Vertrauen und die warme Freundschaft, die mir Ew. D. immer entgegengebracht, und die ich stets stolzen Herzens dankbarst und freudig erwidert habe, hoffen, daß Ew. D. nach diesen Auseinandersetzungen mir auch Ihr Wohlwollen hierin, da ich mit reinster Absicht und in frohester Zuversicht dies Werk mit vielen, treuen, edlen Männern begonnen habe, schenken und mir Ihre Unterstützung, die am wirksamsten alle Verdächtigungen zerstreut, nicht versagen werden.
Um kurz zu rekapituliren: Es wird sich demnächst ein Arbeitskomite konstituiren unter Teilnahme der Minister, das die allgemeinen Bahnen für die Arbeit festlegt, speciell die Ausdehnung über das ganze Land ins Auge faßt. Die Provinzen und deren Hauptstädte senden Bevollmächtigte, welche die Provinzen vertreten und in ihnen die Arbeit leiten. Die Missionsarbeit ist einem geeigneten Mann zu übertragen, der dem Komite angehört (etwa ein Gen.-Superintendent?) und die gesammten Missionen unter seiner Leitung hat. Das Komite theilt mir von Zeit zu Zeit mit, was beschlossen worden. Ich stehe nicht einmal als Protektor der Sache nahe, sondern nur als wohlwollender Förderer von Weitem.
Indem ich hiermit meinen Brief schließe, wünsche ich Ew. D. ein gutes Neues Jahr, möge es Ihnen beschieden sein, das Land in Ihrer gewohnten weisen Fürsorge fortzuleiten, sei es zum Frieden, sei es zum Kriege. Falls das Letztere sich ereignen sollte, mögen Sie nicht vergessen, daß hier eine Hand und ein Schwert bereit sind von einem Manne, der sich wohl bewußt ist, daß Friedrich der Große sein Ahnherr ist und drei mal soviel allein bekämpfte, als wir jetzt gegen uns haben; und der seine 10 Jahre militairischer Ausbildung nicht umsonst hart gearbeitet hat!
im Uebrigen ›Alleweg guet Zolre!‹
In treuester Freundschaft
Prinz Wilhelm von Preußen.«
Einige Wochen vorher hatte er mich von einem anderen Vorhaben durch folgendes Schreiben in Kenntniß gesetzt.
[523]
»Potsdam, den 29. November 1887
Marmorpalais
Ew. Durchlaucht erlaube ich mir anbei ein Schriftstück zu übersenden, welches ich im Hinblick auf die nicht unmögliche Eventualität eines baldigen oder überraschenden Hinscheidens des Kaisers und meines Vaters verfaßt habe. Es ist ein kurzer Erlaß an meine künftigen Collegen, die deutschen Reichsfürsten. Der Standpunkt, von welchem aus ich geschrieben habe, ist kurz folgender:
Das Kaiserthum ist noch neu, der Wechsel in demselben der erste, welcher sich ereignet. Bei diesem geht die Macht von einem mächtigen, in der Geschichte des Aufbaues und der Gründung des Reiches hervorragend betheiligten Fürsten an einen jungen ziemlich unbekannten Herrn. Die Fürsten sind fast alle der Generation meines Vaters angehörig, und ist es menschlich gedacht ihnen nicht übel zu nehmen, wenn ihnen es zum Theil sauer ankommt, unter den neuen so jungen Herrn zu treten. Daher muß die von Gottes Gnaden herstammende Erbfolge als ein selbständiges fait accompli den Fürsten gegenüber betont werden, und zwar so, daß sie keine Zeit haben, viel darüber zu grübeln. Daher ist mein Gedanke und der Wunsch dahin lautend, daß, nach Durchsicht seitens Ew. D. und eventueller Amendirung, an jeder Gesandtschaft diese Proclamation versiegelt deponirt und im Falle meines Regierungsantritts sogleich durch die Gesandten den betreffenden Fürsten übergeben werde. Mein Verhältniß zu allen Vettern im Reich ist ein recht gutes, ich habe mich mit fast jedem im Laufe der Zeit über die Zukunft beredet und durch meine Verwandtschaft mit dem größten Theil der Herren eine sehr angenehme Basis des freundschaftlichen Verkehrs herauszubilden gesucht. Das werden Ew. D. in dem Passus erkennen, wo von der Unterstützung durch Rath und That die Rede ist, d.h. die alten Onkels sollen dem lieben jungen Neffen nicht Knüppel zwischen die Beine stecken! Ich habe betreffs der Stellung eines zukünftigen Kaisers öfters mit meinem Herrn Vater Meinungsaustausch gehabt, wobei ich sehr bald sah, daß wir sehr verschiedener Ansicht seien. Ersterer war stets der Meinung, er habe allein zu commandiren und die Fürsten hätten zu pariren, während ich die Ansicht vertrat, man müsse die Fürsten nicht als einen Haufen Vasallen, sondern mehr als eine Art von Collegen ansehen, deren Wort und Wunsch man ruhig mithören müsse; ob man sie erfülle, das sei etwas andres. Mir wird es leicht werden per Neffe zu Onkel mit diesen Herren, sie durch kleine Gefälligkeiten[524] zu gewinnen und durch etwaige Höflichkeitsbesuche zu kirren. Habe ich sie erst von meinem Wesen und Art überzeugt und in die Hand mir gespielt, nun dann pariren sie mir um so lieber. Denn parirt muß werden! Aber besser, es geschieht aus Ueberzeugung und Vertrauen als gezwungen!
Indem ich schließe, spreche ich die Hoffnung aus, daß Ew. Durchlaucht den gewünschten Schlaf wieder gefunden haben mögen, und bleibe stets
Ihr
treu ergebner
Wilhelm Prinz von Preußen.«
Ich faßte die Beantwortung beider Briefe in nachstehendem Schreiben zusammen.
»Friedrichsruh, den 6. Januar 1888
Ew. K.H. wollen mir huldreich verzeihn, daß ich hochdero gnädige Schreiben vom 29. November und 21. December nicht schon beantwortet habe. Ich bin von Schmerzen und Schlaflosigkeit so matt, daß ich nur schwer die täglichen Eingänge bewältige, und jede Arbeitsanstrengung steigert diese Schwäche. Ich kann Ew. auf diese Briefe nicht anders als eigenhändig antworten, und meine Hand leistet mir den Schreibedienst nicht mehr so leicht wie früher. Außerdem müßte ich, um gerade diese Briefe in einer befriedigenden Art zu beantworten, ein historisch-politisches Werk schreiben. Nach dem guten Sprichwort, daß das Beste des Guten Feind ist, will ich aber lieber jetzt insoweit antworten, wie meine Kräfte reichen, als länger in unehrerbietigem Schweigen bessere Kräfte abwarten. Ich hoffe in Kurzem in Berlin zu sein und dann mündlich nachzuholen, was zu schreiben meine Leistungsfähigkeit überschreitet.
Die Anlage des Schreibens vom 29. November v.J. beehre ich mich Ew. hierbei unterthänigst wieder vorzulegen, und möchte ehrerbietig anheimgeben, sie ohne Aufschub zu verbrennen. Wenn ein Entwurf der Art vorzeitig bekannt würde, so würden nicht nur Se. M. der Kaiser und Se. K.H. der Kronprinz peinlich davon berührt sein; das Geheimniß ist aber heut zu Tage stets unsicher. Schon das einzige existirende Exemplar, welches ich hier sorgfältig unter Verschluß gehalten habe, kann in unrechte Hände fallen; wenn aber einige zwanzig Abschriften gefertigt und bei 7 Gesandtschaften[525] deponirt würden, so vervielfältigen sich die Möglichkeiten böser Zufälle und unvorsichtiger Menschen. Auch wenn schließlich von den Documenten der beabsichtigte Gebrauch gemacht würde, so würde die dann kund werdende Thatsache, daß sie vor dem Ableben regierender Herren redigirt und bereit gehalten wären, keinen guten Eindruck machen. Ich habe mich herzlich gefreut, daß Ew., im Gegensatz zu den schärferen Auffassungen Ihres erlauchten Herrn Vaters, die politische Bedeutung erkennen, welche in dem freiwilligen Mitwirken der verbündeten Fürsten zu den Reichszwecken liegt. Wir wären in der Vergangenheit von nur 17 Jahren der Parlamentsherrschaft schon verfallen, wenn die Fürsten nicht fest zum Reich gestanden hätten, und freiwillig, weil sie selbst zufrieden sind, wenn sie behalten, was ihnen das Reich verbürgt; und noch mehr in Zukunft, wenn der Nimbus von 1870 verblaßt sein wird, liegt die Sicherheit des Reiches und seiner monarchischen Institutionen in der Einigkeit der Fürsten. Letztere sind nicht Unterthanen, sondern Bundesgenossen des Kaisers, und wird ihnen der Bundesvertrag nicht gehalten, so werden sie sich auch nicht dazu verpflichtet fühlen, und Anlehnung suchen wie früher, bei Rußland, Oesterreich und Frankreich, sobald die Gelegenheit dazu günstig erscheint, wie immer national sie sich halten mögen, solange der Kaiser der stärkere ist. So war es seit 1000 Jahren, und so wird es sein, wenn die alte Eifersucht der Dynastien wieder gereizt wird. Acheronta movebunt; auch die Opposition im Parlament würde eine ganz andere Kraft gewinnen, wenn die bisherige Geschlossenheit des Bundesrathes aufhörte und Bayern und Sachsen mit Richter und Windthorst gemeinsame Sache machten. Es ist also eine sehr richtige Politik, die Ew. veranlaßt, Sich in erster Linie an ›die Herren Vettern‹ wenden zu wollen. Ich würde aber unterthänigst anheimstellen, dies mit der Zusicherung zu thun, daß der neue Kaiser die ›vertragsmäßigen Rechte der verbündeten Fürsten‹ ebenso gewissenhaft achten und schützen werde wie Seine Vorgänger. Es wird sich nicht empfehlen, dabei den ›Ausbau‹ und das ›Einigen‹ des Reiches, als eine bevorstehende Arbeit, besonders zu accentuiren; denn darunter werden die Fürsten weitere ›Centralisation‹ und Minderung der ihnen nach der Verfassung gebliebenen Rechte verstehn. Wenn aber Sachsen, Bayern, Württemberg stutzig würden, so wäre der Zauber der nationalen Einheit mit seiner mächtigen Wirkung auch in Preußens neuen Provinzen, und besonders im Auslande, gebrochen. Der nationale Gedanke ist auch den Social- und anderen Demokraten[526] gegenüber, auf dem Lande vielleicht nicht, aber in den Städten stärker als der christliche. Ich bedauere es, sehe aber die Dinge, wie sie sind. Die festeste Stütze der Monarchie suche ich aber in beiden nicht, sondern in einem Königthum, dessen Träger entschlossen ist, nicht nur in ruhigen Zeiten arbeitsam mitzuwirken an den Regierungsgeschäften des Landes, sondern auch in kritischen lieber mit dem Degen in der Faust auf den Stufen des Thrones für sein Recht kämpfend zu fallen, als zu weichen. Einen solchen Herrn läßt kein deutscher Soldat im Stich, und wahr bleibt das alte Wort von 1848 ›gegen Demokraten helfen nur Soldaten‹. Priester können dabei viel verderben und wenig helfen; die priesterfrommsten Länder sind die revolutionärsten, und 1848 standen in dem gläubigen Pommerlande alle Geistlichen zur Regierung, und doch wählte ganz Hinterpommern sozialistisch, lauter Tagelöhner, Krüger und Eieraufkäufer. Ich komme damit auf den Inhalt des gnädigen Schreibens vom 21. v.M. und beginne am liebsten mit dem Schlusse desselben und dem Ausdruck des Bewußtseins, daß Friedrich der Große Ew. Ahnherr ist, und bitte Höchstdieselben, ihm nicht bloß als Feldherr, auch als Staatsmann zu folgen. Es lag nicht in der Art des großen Königs, sein Vertrauen auf Elemente wie das der inneren Mission zu setzen; die Zeiten sind heut freilich andere, aber die Erfolge, welche durch Reden und Vereine gewonnen werden, auch heut keine dauernden Unterlagen monarchischer Stellungen; für sie gilt das Wort, ›wie gewonnen so zerronnen‹. Beredtsamkeit der Gegner, giftige Kritik, tactlose Mitarbeiter, deutsche Zanksucht und Mangel an Disciplin bereiten der besten und ehrlichsten Sache leicht einen betrübten Ausgang. Mit solchen Unternehmungen wie die ›Innere Mission‹, besonders in der Ausdehnung wie sie beabsichtigt ist, sollte meines unterthänigsten Dafürhaltens Ew. Name nicht in solche Verbindung treten, daß er von dem möglichen Mißerfolge mitbetroffen würde. Der Erfolg entzieht sich aber jeder Berechnung, wenn die Verbindung sich auf alle großen Städte ausdehnt und also die Elemente und Richtungen alle in sich aufnimmt, welche in den Localverbänden schon vorhanden sind oder in sie eindringen werden. In solchen Vereinen ist schließlich nicht der sachliche Zweck für das wirkliche Ergebnis maßgebend, sondern die darin leitenden Personen drücken ihnen Stempel und Richtung auf. Das werden Redner und Geistliche sein, vielfach auch Damen, lauter Elemente, die zu einer politischen Wirksamkeit im Staate nur mit Vorsicht verwendbar sind und von deren Wohlverhalten und Tact ich die Meinung des Volkes über[527] seinen künftigen König in keiner Weise abhängig wissen möchte. Jeder Fehler, jedes Ungeschick, jeder Uebereifer in der Vereinsthätigkeit wird den republikanischen Blättern Anlaß geben, den hohen Protektor des Vereins mit dessen Verirrungen zu identificiren.
Ew. führen eine stattliche Zahl achtbarer Namen als einverstanden mit höchstdero Betheiligung an. Unter denselben finde ich einmal keinen, dem ich die Verantwortung für die Zukunft des Landes isoliert zumuthen möchte; dann aber fragt sich, wie viele von den Herren ein Interesse an der inneren Mission bethätigen würden, wenn sie nicht wahrgenommen hätten, daß Ew. und die Frau Prinzessin der Sache höchstihre Theilnahme zuwenden. Ich bin nicht bestrebt, Mißtrauen zu wecken, wo Vertrauen besteht; aber ein Monarch kann ohne einiges Mißtrauen erfahrungsgemäß nicht fertig werden, und Ew. stehen dem hohen Berufe zu nahe, um nicht jedes Entgegenkommen daraufhin zu prüfen, ob es der Sache gilt, um die es sich gerade handelt, oder dem künftigen Monarchen und dessen Gunst. Wer von Ew. Vertrauen in der Zukunft etwas begehren will, der wird heut schon streben, eine Beziehung, ein Band zwischen sich und dem künftigen Kaiser herzustellen; und wie viele sind ohne geheimen Wunsch und Ehrgeiz? und auch für den, der es ist, bleibt in unsern monarchisch gesinnten Kreisen das Streben nicht ohne Wirkung, in irgend welchem nähern Verhältniß zum Monarchen zu stehen. Das Rothe Kreuz und andere Vereine würden ohne I.M. die Kaiserin so viele Theilnahme nicht finden; das Verlangen, zum Hofe in Beziehung zu stehen, kommt der Nächstenliebe zu Hülfe. Das ist auch erfreulich und schadet der Kaiserin nicht. Anders ist es mit Thronerben. Unter den Namen, die Ew. nennen, ist keiner ganz ohne politischen Beigeschmack, und der Bereitwilligkeit, den Wünschen des hohen Protektors zu dienen, liegt die Hoffnung zu Grunde, sich oder der Fraction, der man angehört, den Beistand des künftigen Königs zu gewinnen. Ew. werden nach der Thronbesteigung die Männer und die Parteien mit Vorsicht und mit wechselnden Treffen nach höchsteigenem Ermessen benutzen müssen, ohne die Möglichkeit, äußerlich einer unserer Fractionen Sich hinzugeben. Es giebt Zeiten des Liberalismus und Zeiten der Reaction, auch der Gewaltherrschaft. Um darin die nöthige freie Hand zu behalten, muß verhütet werden, daß Ew. schon als Thronfolger von der öffentlichen Meinung zu einer Parteirichtung gerechnet werden. Das würde nicht ausbleiben, wenn höchstdieselben zur inneren Mission in eine organische[528] Verbindung treten, als Protektor. Die Namen von Benda und Miquel sind für mich nur ornamentale Zuthaten; beide Minister-Candidaten der Zukunft; auf dem Gebiete der Mission werden sie aber, Stöcker und andern Geistlichen gegenüber, das Rennen bald aufgeben. Schon in dem Namen ›Mission‹ liegt ein Prognostikon dafür, daß die Geistlichkeit dem Unternehmen die Signatur geben wird, selbst dann, wenn das arbeitende Mitglied des Comité nicht ein General-Superintendent sein würde. Ich habe Nichts gegen Stöcker; er hat für mich nur den einen Fehler als Politiker, daß er Priester ist, und als Priester, daß er Politik treibt. Ich habe meine Freude an seiner tapferen Energie und an seiner Beredtsamkeit, aber er hat keine glückliche Hand; die Erfolge, die er erreicht, bleiben momentan, er vermag sie nicht unter Dach zu bringen und zu erhalten; jeder gleich gute Redner, und deren giebt es, entreißt sie ihm; zu trennen von der innern Mission wird er nicht sein, und seine Schlagfertigkeit sichert ihm den maßgebenden Einfluß darin auf seine Amtsbrüder und die Laien. Er hat sich bisher einen Ruf erworben, der die Aufgabe, ihn zu schützen und zu fördern, nicht erleichtert; jede Macht im Staate ist stärker ohne ihn als mit ihm, in der Arena des Parteikampfes aber ist er ein Simson. Er steht an der Spitze von Elementen, die mit den Traditionen Friedrichs d. Gr. in schroffem Widerspruch stehen, und auf die eine Regierung des Deutschen Reiches sich nicht würde stützen können. Mir hat er mit seiner Presse und seiner kleinen Zahl von Anhängern das Leben schwer und die große conservative Partei unsicher und zwiespältig gemacht. Die ›Innere Mission‹ aber ist ein Boden, aus dem er wie der Riese Antäus stets neue Kräfte saugen und auf dem er unüberwindlich sein wird. Die Aufgabe Ew. und höchstihrer dereinstigen Minister würde wesentlich erschwert werden, wenn sie die Vertretung der ›inneren Mission‹ und der Organe derselben in sich schließen sollte. Der evangelische Priester ist, sobald er sich stark genug dazu fühlt, zur Theokratie ebenso geneigt wie der katholische, und dabei schwerer mit ihm fertig zu werden, weil er keinen Papst über sich hat. Ich bin ein gläubiger Christ, aber ich fürchte, daß ich in meinem Glauben irre werden könnte, wenn ich, wie der Katholik, auf priesterliche Vermittlung zu Gott beschränkt wäre.
Ew. sprechen in Höchstdero Schreiben vom 21. v.M. die Meinung aus, daß ich Anlaß gehabt hätte, schon früher bei höchstdenselben über die vorliegende Frage Erkundigungen einzuziehen; ich bin aber erst durch Ew. jüngstes Schreiben von der Lage der Sache[529] informirt worden, und meine Antwort hat keine andere Unterlage als den Inhalt besagten Schreibens. Was ich bis dahin wußte, genügte zwar, um mir einige Sorge über Preßangriffe auf Ew. zu wecken, aber ich hatte zu wenig Glauben an den Ernst der Sache, um mich direct an höchstdieselben zu wenden. Erst der Brief vom 21. überzeugte mich vom Gegenteil.
Ew. wollen die freimüthige Offenheit, mit der ich meine Ansicht in Vorstehendem ausspreche, mit Nachsicht aufnehmen. Das Vertrauen, mit dem hochdieselben mich jederzeit beehrt, und die Gewißheit, welche Ew. in Betreff meiner ehrerbietigen Anhänglichkeit haben, lassen mich auf diese Nachsicht rechnen. Ich bin alt und matt und habe keinen andern Ehrgeiz mehr, als mir die Gnade des Kaisers und Seiner Nachfolger zu bewahren, wenn ich meinen Herrn überleben sollte. Mein Pflichtgefühl gebietet mir, dem Kaiserhause und dem Lande ehrlich zu dienen, so lange ich kann, und zu diesem Dienst gehört es, daß ich Ew. in Antwort auf höchstdero Schreiben dringlich abrathe, Sich vor der Thronbesteigung schon die Fessel irgend welcher politischen oder kirchlichen Vereins-Beziehung aufzuerlegen. Alle Vereine, bei welchen der Eintritt und die Thätigkeit der einzelnen Mitglieder von diesen selbst abhängig ist und von ihrem guten Willen und persönlichen Ansichten, sind als Werkzeuge zum Angreifen und Zerstören des Bestehenden sehr wirksam zu verwenden, aber nicht zum Bauen und Erhalten. Jeder vergleichende Blick auf die Ergebnisse conservativer und revolutionärer Vereinsthätigkeit überzeugt von dieser bedauerlichen Wahrheit. Zum positiven Schaffen und Erhalten lebensfähiger Reformen ist bei uns nur der König an der Spitze der Staatsgewalt auf dem Wege der Gesetzgebung befähigt. Die Kaiserliche Botschaft bezüglich socialer Reformen wäre ein todter Buchstabe geblieben, wenn ihre Ausführung von der Thätigkeit freier Vereine erwartet worden wäre; die können wohl Kritik üben und über Schäden Klage führen, aber heilen können sie letztere nicht. Das sichere Mißlingen ihrer Unternehmungen können die Vereinsmitglieder um so leichter tragen, als jeder nachher den Andern anklagt; einen Thronfolger als Protektor aber trifft es schwerer in der öffentlichen Meinung. Mit Ew. in einem Verein zu sein, ist für jedes andere Mitglied ehrenvoll und nützlich ohne jedes Risico; nur für Ew. tritt das umgekehrte Verhältniß ein; jedes Mitglied fühlt sich gehoben und macht sich wichtig mit dem Vereinsverhältniß zum Thronerben, und Letzterer hat allein als Gegenleistung für die Bedeutung, welche er dem Verein verleiht, Nichts als die Gefahr des Mißlingens[530] durch Anderer Schuld. Aus dem anliegenden Ausschnitt der freisinnigen Zeitung, der mir heut zugeht, wollen Ew. huldreich ersehn, wie schon heut die Demokratie bemüht ist, hochdieselben mit der sogenannten christlichsocialen Fraction zu identificiren. Sie druckt die Sätze gesperrt, durch welche Ew. und meine Beziehungen zu dieser Fraction in's Publikum gebracht werden sollen. Das geschieht von der freisinnigen Zeitung doch gewiß nicht aus Wohlwollen oder um der Regierung des Kaisers einen Dienst zu erweisen. ›Religiöse und sittliche Bildung der Jugend‹ ist an sich ein ehrenwerther Zweck, aber ich fürchte, daß hinter diesem Aushängeschild andere Ziele politischer und hierarchischer Richtung verfolgt werden. Die unwahre Insinuation des Pastors Seydel, daß ich ein Gesinnungsgenosse sei und ihn und seine Genossen vorzugsweise als Christen betrachtete, wird mich zur Widerlegung nöthigen, und dann wird es offenbar werden, daß zwischen den Herrn und mir das Verhältniß ziemlich dasselbe ist wie mit jeder anderen Opposition gegen die jetzige Regierung Sr. Majestät.
Ich laufe Gefahr, in der That doch ein Buch zu schreiben; ich habe seit 20 Jahren zu viel unter der Giftmischerei der Herren von der Kreuzzeitung und den evangelischen Windthorsten gelitten, um in Kürze von ihnen reden zu können. Ich schließe dieses überlange Schreiben mit meinem unterthänigen und herzlichen Danke für die Gnade und das huldreiche Vertrauen, welches Ew. Schreiben mir bekunden.«
Darauf erhielt ich diese Antwort:
»Potsdam, den 14. Januar 1888
Ew. Durchlaucht Brief habe ich empfangen und spreche meinen besten Dank aus für die eingehende und ausführliche Entwickelung der Gesichtspunkte, aus welchen Sie mir von der Unterstützung der Stadtmission abrathen zu sollen glauben. Ich darf Ew. Durchlaucht versichern, daß ich mir alle Mühe gegeben habe, Ihren Standpunkt auch zu dem meinigen zu machen. Vor Allem erkenne ich voll und ganz die Nothwendigkeit an, mich der nahen Berührung geschweige der Identificirung mit bestimmten politischen Parteiströmungen fern zu halten. Dies ist aber auch von jeher mein Prinzip, nach dem ich streng gehandelt und gelebt, gewesen. Ich vermag jedoch beim besten Willen mich nicht davon zu überzeugen, daß in der Förderung, welche ich dem Streben der Stadtmission zugewendet habe, eine politische Parteinahme irgend welcher[531] Art zu erkennen ist. Dieselbe war, ist und soll, soviel an uns liegt, auch in alle Zukunft bleiben ein einzig und allein auf das geistige Wohl und Wehe der armen Elemente gerichtetes Liebeswerk; und ich möchte mich ungachtet Ihres Briefes nicht von der Zuversicht trennen, daß Ew. Durchlaucht sich selbst bei nährer Erwägung der Richtigkeit dieser Annahme nicht verschließen werden. Ist es mir sonach bei vollster Würdigung der von Ew. Durchlaucht mir entgegengehaltenen Gründe unmöglich, mich von einem Werke zurückzuziehn, von dessen Wichtigkeit für das Allgemeine Wohl ich fest überzeugt bin, – eine Ueberzeugung, die mir durch unzählige Zuschriften und Zustimmungsadressen aus allen Theilen der Monarchie, besonders aus katholischen und aus den unteren Arbeiterkreisen der Bevölkerung als eine weitverbreitete und wohlbegründete entgegengebracht wird –, so bin ich doch weit entfernt davon, nicht mit Ew. Durchlaucht anerkennen zu wollen, daß es wünschenswerth und nothwendig ist, durch einen spontanen Act der irrigen Voraussetzung den Boden zu entziehn, als ob es sich um die Begünstigung politischer Sonderbestrebungen handele. Zu dem Ende werde ich den Hrn. Hofprediger Stöcker dahin bestimmen lassen, daß er sich von der offiziellen Leitung der Stadtmission zurückzieht, und daß solches in einer angemessenen und für ihn nicht compromittirenden Form in die Oeffentlichkeit gebracht werde. Vor einer solchen Manifestation wird, so denk' ich, jede Verdächtigung meiner Absichten und Stellung verstummen müssen – wenn nicht, dann Wehe denen, wenn ich zu befehlen haben werde! – und Ew. Durchlaucht werden zugleich darin zu erkennen geneigt sein, welch' hohen Wert ich darauf lege, jeden nur den leisesten Schatten einer Meinungsverschiedenheit zwischen uns nach Kräften zu zerstreuen.«
(gez.) Wilhelm Prinz von Preußen
Die vorstehende Correspondenz rief die erste, vorübergehende Empfindlichkeit des Prinzen mir gegenüber hervor. Er hatte geglaubt, daß ich sein Schreiben mit einer Anerkennung im Stile seiner strebsamen Umgebung beantworten würde, während ich es für meine Pflicht gehalten hatte, in meinem eigenhändigen, vielleicht etwas lehrhaft gehaltenen Schreiben, dessen Umfang meine Arbeitsfähigkeit erheblich überstieg, vor den Bestrebungen zu warnen, durch welche Cliquen und Personen sich der Protektion des Thronerben zu versichern suchten. Die Antwort des Prinzen[532] ließ mir nach Form und Inhalt keinen Zweifel darüber, daß der Mangel an Anerkennung der Bestrebungen des Prinzen und meine warnende Kritik verstimmt hatten. In dem Schlusse seiner Antwort lag schon, noch in prinzlicher Form, das, was später in der kaiserlichen Wendung ausgesprochen wurde: Wer mir widerstrebt, »den zerschmettere ich.«
Wenn ich jetzt zurückblicke, so nehme ich an, daß der Kaiser während der 21 Monate, da ich sein Kanzler war, seine Neigung, einen ererbten Mentor los zu werden, nur mit Mühe unterdrückt hat, bis sie explodirte, und eine Trennung, die ich, wenn ich den Wunsch des Kaisers gekannt hätte, mit Schonung aller äußeren Eindrücke eingeleitet haben würde, in einer plötzlichen, für mich verletzenden, ich kann sagen beleidigenden Weise erzwang.
Das Ergebniß war jedoch in sofern meinem Rathschlage entsprechend, als die Betheiligung an dem beabsichtigten christlichen Werke zunächst auf wenigere und weniger exclusive Kreise beschränkt wurde. Die Thatsache, daß die von mir gemißbilligte Inscenirung im gräflich Waldersee'schen Hause stattgefunden hatte, trug dazu bei, diese hervorragende Persönlichkeit in der prinzlichen Umgebung noch mehr zu verstimmen, als ohnehin der Fall war. Ich war früher mit ihm von langer Zeit befreundet gewesen und hatte ihn in dem französischen Kriege als Soldaten und politischen Bundesgenossen schätzen gelernt, so daß mir später der Gedanke nahe trat, ihn dem Kaiser zu militärischen Stellungen politischer Natur zu empfehlen. Bei näheren dienstlichen Berührungen mit dem Grafen wurde ich über seine politische Verwendbarkeit zweifelhaft, und als Graf Moltke in seiner Stellung an der Spitze des Generalstabs eines Adlatus bedurfte, hatte ich Veranlassung, die Meinung militärischer Kreise zu erforschen, bevor ich dem Kaiser meine von ihm befohlene Ansicht unterbreitete. Das Ergebniß war, daß ich die Aufmerksamkeit Sr. M. auf den General von Caprivi lenkte, obschon ich wußte, daß dieser nicht eine gleich gute Meinung von mir hatte, wie ich von ihm. Mein Gedanke, daß Caprivi der Nachfolger Moltke's werden sollte, scheiterte im letzten Grunde, wie ich glaube, an der Schwierigkeit, zwischen zwei so selbständigen Charakteren, wie die genannten beiden, den modus vivendi herzustellen, der bei einer dualistischen Leitung des Generalstabs nöthig war. Diese Aufgabe erschien den höchsten Kreisen leichter lösbar, indem die Stellung eines Adlatus des Grafen Moltke dem General von Waldersee übertragen wurde; dieser wurde durch seine neue Stellung dem Monarchen und dessen Nachfolgern auf[533] dem Throne näher gerückt. Auf dem Gebiete nichtmilitärischer Politik wurde in weitern Kreisen sein Name, und zwar in Verbindung mit dem Hofprediger Stöcker, zuerst bekannt durch die in seinem Hause abgehaltenen Besprechungen über innre Mission.
Am Sylvesterabend 1887 fand mein Sohn auf dem Lehrter Bahnhof, von wo er nach Friedrichsruh fahren wollte, den Prinzen, der auf ihn wartete und ihn ersuchte mir zu sagen, daß die Stöckersache nun ganz harmlos sei, und hinzusetzte, mein Sohn sei wesentlich in dieser Angelegenheit angegriffen, er, der Prinz, sei aber für ihn eingetreten.
1 | dem Chef der Reichskanzlei. |
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