Zweites Kapitel
Grossherzog von Baden

[534] Auf die Entschließungen des Kaisers hat nach meiner auf Aeußerungen Sr. Maj. begründeten Wahrnehmung der Großherzog von Baden, der mich in früheren Perioden wohlwollend und wirksam unterstützt hatte, in der letzten Zeit meiner Amtsführung einen für mich störenden Einfluß gehabt. Früher als die meisten anderen Bundesfürsten der Ueberzeugung zugänglich, daß die deutsche Frage nur durch Förderung der hegemonischen Bestrebungen Preußens gelöst werden könne, ist er der nationalen Politik nach Kräften entgegen gekommen, nicht mit der Geschäftigkeit des Herzogs von Coburg, aber mit einer stärkeren Rücksichtnahme auf die ihm nahe stehende preußische Dynastie und ohne den wechselnden Verkehr mit dem Kaiser Napoleon, dem Wiener Hofe und den regierenden Kreisen in England und Belgien, wie ihn der Herzog unterhielt. Seine politischen Beziehungen hielten sich in den Schranken, welche die deutschen Interessen und die Familienverbindung ihm zogen. Er hatte nicht das Bedürfniß, wirklich oder scheinbar an den wichtigsten Vorgängen der europäischen Politik betheiligt zu sein, und war nicht, wie die Coburger Brüder, den Versuchungen ausgesetzt, welche in dem Glauben an die eigne überlegne Befähigung zur Behandlung politischer Fragen liegen. Aus dem Grunde hatte auch auf seine Ansichten die Umgebung mehr Einfluß als auf die Coburgische Selbstüberschätzung des Herzogs Ernst und des Prinzen Albert, welche ihre Wurzeln in dem Nimbus der Weisheit fand, der den ersten König der Belgier umgab, weil derselbe seine eignen Interessen geschickt wahrnahm.[534]

Es hat Zeiten gegeben, wo der Großherzog unter dem Druck äußerer Verhältnisse nicht im Stande war, seine Ueberzeugung über den Weg, auf dem die deutsche Frage zu lösen sei, zu bethätigen, Zeiten, die sich an den Namen des Ministers von Meysenbug und an die Jahreszahl 1866 knüpfen. In beiden Fällen befand er sich einer force majeure gegenüber. In der Hauptsache blieb er aber stets geneigt, den besten Antrieben seines Popularitätsbedürfnisses, den nationalen, Folge zu leisten, und sein Streben in dieser Richtung hatte nur zu leiden von einem parallelen Streben nach Anerkennung auf dem bürgerlichen Gebiete, in der durch Louis Philipp's Beispiel gegebnen Richtung, auch wo Beides schwer vereinbar war. Daß in der schwierigen Zeit des Aufenthalts in Versailles, wo ich mich im Kampfe mit ausländischen, weiblichen und militärischen Einflüssen befand, der Großherzog der einzige unter den deutschen Fürsten war, der mir bei dem Könige in der Kaiserfrage Unterstützung gewährte und mir activ und wirksam in der Ueberwindung der preußisch-particularistischen Abneigung des Königs beistand, ist im ersten Bande Buch II Kapitel 12 erzählt. Der Kronprinz war seinem Vater gegenüber von der gewohnten Zurückhaltung, welche ihn an wirksamer Geltendmachung seiner nationalen Gesinnung hinderte.

Das Wohlwollen des Großherzogs ist mir auch nach dem Frieden Jahrzehnte lang verblieben, wenn ich vorübergehende Verstimmungen abrechne, die dadurch entstanden, daß die Interessen Badens, wie er selbst oder seine Beamten sie auffaßten, mit der Reichspolitik in Friktionen geriethen.

Herr von Roggenbach, der zweitweise für den spiritus rector der badischen Politik galt, hatte bei den Friedensverhandlungen von 1866 mir gegenüber einer Verkleinerung Bayerns und Vergrößerung Badens das Wort geredet; auf ihn wurde auch das 1881 auftretende Gerücht zurückgeführt, daß Baden Königreich werden solle.1

Daß der Großherzog das Gebiet, wenn nicht seines Territoriums, so doch seiner Thätigkeit auszudehnen wünschte, ließ sich später aus den Anregungen einer Herstellung militärischer und politischer Beziehungen zwischen Baden und Elsaß-Lothringen schließen. Ich habe meine Mitwirkung zur Ausführung derartiger Pläne versagt, weil ich mich des Eindrucks nicht erwehren konnte, daß die badischen Verhältnisse für Sanirung der Situation im Elsaß und für Umwandlung der französischen Sympathien in deutsche vielleicht[535] noch ungeeigneter, jedenfalls nicht förderlicher als die jetzige kaiserliche Verwaltung sein würden.

In der badischen Verwaltung hat sich die den süddeutschen Gewohnheiten eigne Art Bureaukratie, man könnte sagen Schreiberherrschaft, noch schärfer ausgebildet als in den übrigen süddeutschen Staaten, Nassau eingerechnet. Bureaukratische Wucherungen sind auch den norddeutschen Verhältnissen nicht fremd, namentlich in den höheren Kreisen, und werden in Folge der heutigen Handhabung der »Selbstverwaltung« (lucus a non lucendo) auch in die ländlichen Kreise eindringen; aber bisher waren die Träger bei uns doch vorwiegend Beamte, deren Rechtsgefühl durch ihren Bildungsgrad geschärft wird; in Süddeutschland aber war das Gewicht der Beamtenklasse, welche bei uns zu den Subalternen gehört oder den Uebergang zu denselben bildet, größer, und die Regierungspolitik, welche in Baden schon vor 1848 mehr auf Popularität berechnet war als sonst in Deutschland üblich, hat sich gerade in den Tagen der Bewegung als die erwiesen, welche die geringste Anhänglichkeit gezeitigt hatte und deren Wurzelverbindung mit der Dynastie die schwächste war. Baden war in dem genannten Jahre der einzige Staat, in welchem sich das Erlebniß des Herzogs Karl von Braunschweig wiederholte, der Landesherr genöthigt wurde, sein Land zu verlassen.

Der regierende Herr war in dem Herkommen aufgewachsen, daß das Streben nach Popularität und das »Rechnung tragen« jeder Regung der öffentlichen Meinung gegenüber das Fundament der modernen Regierungskunst sei. Louis Philipp war eine Art von Vorbild für die äußere Haltung constitutioneller Monarchen, und da er seine Rolle als solches auf der europäischen Bühne von Paris gespielt hatte, so gewann er für deutsche Fürsten eine ähnliche Bedeutung wie die Pariser Moden für deutsche Damen. Daß auch die militärische Seite der staatlichen Leistungen nicht frei von dem System des Bürgerkönigs geblieben war, zeigte der Abfall der badischen Truppen, der so schmählich in keinem anderen deutschen Staate bisher vorgekommen ist. In diesen retrospectiven Betrachtungen habe ich immer Bedenken getragen, dazu mitzuwirken, daß der badischen Regierungspolitik die Entwicklung der Dinge im Reichslande übergeben werde.

So national gesinnt der Großherzog, sich selbst überlassen, sein mochte, so vermochte er doch nicht immer dem auf materiellen Interessen begründeten Particularismus seiner Beamten Widerstand zu leisten, und im Falle eines Konflikts wurde es ihm natürlich[536] schwer, badische Lokal-Interessen denen des Reiches zu opfern.

Ein latenter Konflikt lag in der Rivalität der Eisenbahnen des Reichslandes mit den badischen, ein zu Tage tretender in den Beziehungen zu der Schweiz. Den badischen Beamten war ein Pflegen und Erstarken der deutschen Socialdemokratie auf schweizer Gebiete weniger unbequem als eine Schädigung oder Klage der Angehörigen derjenigen zahlreichen badischen Unterthanen, welche in der Schweiz ihren Erwerb suchten. Daß die Reichsregierung in ihrem Verhalten gegen das Nachbarland keinen andern Zweck verfolgte als die Unterstützung der conservativen Elemente in der Schweiz gegen den Einfluß und den agitatorischen Druck der fremden und heimischen Socialdemokratie, darüber konnte auch die badische Regierung keinen Zweifel haben. Sie war davon unterrichtet, daß wir mit den achtbarsten Schweizern in einem unausgesprochnen aber gegenseitig befolgten Einverständnisse handelten, welches dank der Unterstützung, die wir unsern Freunden gewährten, praktisch zu dem Ergebnisse führte, daß die politische Centralgewalt der Schweiz eine festere Stellung und schärfere Controlle als früher über die deutschen Socialisten und die Cantönli-Politik der Demokratie gewann.

Ob Herr von Marschall diese Sachlage durch seine Berichte nach Karlsruhe klar zum Ausdruck gebracht hat, weiß ich nicht; ich erinnere mich nicht, daß er in den sieben Jahren, während deren er badischer Gesandter war, jemals eine Unterredung mit mir gesucht oder gehabt hätte. Aber durch seine Intimität mit meinem Collegen Boetticher und durch seine Beziehungen zu Mitarbeitern des Auswärtigen Amts ist er jedenfalls für seine Person vollständig unterrichtet gewesen. Man sagte mir, daß er schon seit längerer Zeit die Sympathien des Großherzogs zu gewinnen und Antipathie gegen die Personen, welche ihm die Aussicht nach oben hinderten, zu erzeugen gesucht hat. Ich erinnere mich in Bezug auf ihn eines im ersten Bande Buch II Kapitel 15 angeführten2 Wortes des Grafen Arnim aus der Zeit, wo dieser mit mir noch offen redete.

Auch der Grenzverkehr mit Frankreich ist von dem badischen Standpunkte anders zu beurtheilen und zu behandeln als gemäß der Reichspolitik. Die Anzahl der badischen Staatsangehörigen, welche in der Schweiz und im Elsaß als Arbeiter, Handlungsgehülfen und Kellner Beschäftigung finden und über den Elsaß hinaus an einer ungestörten Verbindung mit Lyon und Paris interessirt sind, ist ziemlich groß, und von den großherzoglichen[537] Beamten war kaum zu verlangen, daß sie ihre Verwaltungssorgen einer Reichspolitik unterordnen sollten, deren politische Ziele dem Reiche zu Gute, deren locale Nachtheile aber Baden zur Last kamen.

Aus solchen Frictionen entspannen sich Preßkämpfe zwischen offiziösen, selbst amtlichen badischen Organen und der »Norddeutschen Allgemeinen Zeitung«.

In der Tonart waren beide Seiten nicht tadelfrei. Der staatsanwaltliche Zuschnitt der badischen Polemik war ebenso weit außerhalb der gewöhnlichen Höflichkeit wie der Stil der genannten Berliner Zeitung, welche ich von der Schärfe der Diction, die meinem damaligen Freunde, Herrn von Rottenburg, dem Chef der Reichskanzlei, als rechtskundigem Gelehrten anklebte, nicht frei halten konnte, da ich nicht immer Zeit hatte, mich mit publizistischen Redactionen auch nur controllirend zu beschäftigen.

Mir ist erinnerlich, daß mich 1885 ein Befehl des Kronprinzen eines Abends spät plötzlich nach dem Niederländischen Palais beschied, wo ich den hohen Herrn und den Großherzog vorfand, letzteren in ungnädiger Verstimmung über einen Artikel der »Norddeutschen Allgemeinen Zeitung« in einer Polemik mit dem offiziösen badischen Blatte. Ich erinnere mich des Gegenstandes, um den es sich handelte, nicht mehr vollständig, weiß auch nicht, ob der betreffende Artikel des Berliner Blattes offiziösen Ursprungs war. Er konnte das sein, ohne vor dem Druck zu meiner Kenntniß gekommen zu sein; die Anlässe, bei denen ich Neigung und Zeit fand, auf die Herstellung von Preßerzeugnissen einzuwirken, waren viel seltener, als in der Presse und daher im Publikum angenommen wurde. Ich that das nur solchen Fragen oder persönlichen Angriffen gegenüber, welche für mich ein besonderes Interesse hatten, und es vergingen, selbst wenn ich in Berlin war, Wochen und Monate, ohne daß ich Zeit oder Neigung gefunden hätte, die Artikel, für welche man mich verantwortlich hielt, zu lesen, geschweige denn zu schreiben oder schreiben zu lassen. Der Großherzog machte es aber wie alle Welt, betrachtete mich als verantwortlich für die Aeußerung der genannten Zeitung in der ihm ärgerlichen Sache.

Eigenthümlich war die Art, wie er gegen diese Preßleistung reagirte. Der Kaiser war damals bedenklich erkrankt und die Großherzogin gekommen, ihn zu pflegen. Unter diesen Umständen hatte der Großherzog von dem fraglichen Artikel Anlaß genommen, seinem Herrn Schwager, dem Kronprinzen, zu erkennen zu geben, er werde in Folge sothaner Kränkung Berlin mit seiner[538] Gemahlin sofort verlassen und das Motiv seiner Abreise nicht verhehlen. Nun war zwar die Pflege, welche der Kaiser von seiner Frau Tochter genoß, dem Patienten kein Bedürfniß, sondern eine Kundgebung kindlicher Liebe, welche er mit ritterlicher Höflichkeit über sich ergehen ließ. Aber gerade diese seine Eigenschaft war in den Beziehungen zu Frau und Tochter vorherrschend in ihm, und jede Verstimmung innerhalb dieses engen Familienkreises wirkte betrübend und niederschlagend auf ihn.

Ich war daher bemüht, dem kranken Herrn Erlebnisse der Art nach Kräften zu ersparen, und that, ich weiß heute nicht mehr was, aber jedenfalls alles was möglich war, um in einer mehr als zweistündigen Verhandlung mit lebhafter und wirksamer Hülfe des Kronprinzen seinen Herrn Schwager zu beruhigen. Wahrscheinlich bestand die Sühne außer meinem Protest gegen jede Voraussetzung amtlichen Uebelwollens in der Veröffentlichung eines neuen und einlenkenden Artikels in der »Norddeutschen Allgemeinen Zeitung«. Erinnerlich ist mir, daß es sich um die Beurteilung irgend einer Maßregel des badischen Staatsministeriums handelte und daß die Empfindlichkeit des Großherzogs mich vermuthen ließ, daß derselbe sich in dem fraglichen Falle an den Staatsgeschäften persönlich eingreifender betheiligt hatte, als er es sonst mit der Beobachtung konstitutioneller Maxime vereinbar hielt.

Aus Berliner und Karlsruher Hofkreisen ist es mir als Veranlassung zu dem Wechsel, der in der Stimmung des Großherzogs während der letzten Zeit meiner amtlichen Thätigkeit vorgegangen zu sein scheint, bezeichnet worden, daß ich bei Anwesenheiten desselben in Berlin im Drange der Geschäfte ihm und seiner Gemahlin gegenüber den im Hofleben üblichen Verkehr nicht ausreichend gepflegt habe. Ich weiß nicht, ob das richtig ist, und es entzieht sich meiner Beurtheilung, in wieweit badische Hofintriguen gewirkt haben, als deren Mundstück mir außer Roggenbach der Hofmarschall von Gemmingen bezeichnet worden ist, mit dessen Tochter der Freiherr von Marschall verheirathet ist. Es ist möglich, daß der letztere, badischer Staatsanwalt, demnächst Vertreter Badens im Bundesrathe, mit dem Vorsitz im Auswärtigen Amte des Deutschen Reiches seine Laufbahn nicht für abgeschlossen hält; und Thatsache ist, daß zwischen ihm und Herrn von Boetticher sich in den letzten Zeiten meiner Amtsführung eine Intimität entwickelt hatte, der ein gemeinsames weibliches Interesse für Rangfragen zum Grunde lag.

Wenn auch unter der wiederkehrenden Verstimmung das Wohlwollen[539] des Großherzogs für mich allmählich erkaltet ist, so glaube ich doch nicht, daß er mit Bewußtsein auf meine Entfernung aus dem Amte hingearbeitet hat. Seine Einwirkung auf den Kaiser, die ich als störend für meine Politik bezeichnet habe, machte sich geltend in den Fragen, welche Haltung der Kaiser gegenüber den Arbeitern und in Betreff des Socialistengesetzes beobachten werde. Es ist mir glaubhaft mitgetheilt worden, daß der Kaiser im Winter 1890, bevor er den plötzlichen Uebergang von der Absicht, den Widerstand zu leisten, den ich empfohlen, zum Nachgeben machte, den Großherzog zu Rathe gezogen, und daß dieser im Sinne der badischen Traditionen das Gewinnen statt des Bekämpfens der Gegner befürwortet habe, aber überrascht und unzufrieden gewesen sei, als der Wechsel in den Absichten Sr. M. meine Entlassung herbeiführte.

Sein Rath würde auch nicht durchgeschlagen haben, wenn nicht bei Sr. M. die Neigung vorhanden gewesen wäre, zu verhindern, daß die richtige Würdigung der eignen monarchischen Leistungen ferner durch die Zweifel beeinträchtigt werden könnte, ob die Allerhöchsten Entschließungen kaiserlichen oder kanzlerischen Ursprungs seien. Der »neue Herr« hatte das Bedürfniß, nicht nur von einem Mentor frei zu werden, sondern auch für Gegenwart und Zukunft die Verdunklung nicht zuzulassen, welche eine kanzlerische Wolke etwa wie die Richelieu's und Mazarin's entwickeln würde. Einen nachhaltigen Eindruck hatte auf ihn eine gelegentlich von dem Grafen Waldersee beim Frühstück in Gegenwart des Flügeladjutanten Adolf von Bülow mit Berechnung gethane Aeußerung gemacht: »daß Friedrich der Große nie der Große geworden sein würde, wenn er bei seinem Regierungsantritt einen Minister von der Bedeutung und Machtstellung Bismarck's vorgefunden hätte«.

Nach meiner Verabschiedung hat der Großherzog Partei gegen mich genommen. Als im Februar 1891 in der Gemeindebehörde von Baden-Baden angeregt worden war, mir das Ehrenbürgerrecht zu ertheilen, ließ er den Oberbürgermeister kommen und stellte ihn über eine solche Rücksichtslosigkeit gegen den Kaiser zur Rede. Wenig später hat er bei einer Unterredung mit dem in Baden-Baden lebenden Schriftsteller Maxime du Camp, der das Gespräch auf mich brachte, diesem das Wort mit der Bemerkung abgeschnitten: »Il n'est qu'un vieux radoteur.«

1

S. Anlage I, unten S. 659.

2

Vgl. S. 399.

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 540.
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