[78] Für die deutsche Sache behielt man in den dem Königthum widerstrebenden Kreisen eine kleine Hoffnung auf Hebelkräfte im Sinne des Herzogs von Coburg, auf englischen und selbst französischen Beistand, in erster Linie aber auf liberale Sympathien des deutschen Volks. Die praktisch wirksame Bethätigung dieser Hoffnungen beschränkte sich auf den kleinen Kreis der Hof-Opposition, welche unter dem Namen der Fraktion Bethmann-Hollweg1 den Prinzen von Preußen für sich und ihre Bestrebungen zu gewinnen suchte. Es war dies eine Fraktion, die an dem Volke gar keinen und an der damals als »Gothaer« bezeichneten nationalliberalen Richtung geringen Antheil hatte. Ich habe diese Herren nicht gerade für nationaldeutsche Schwärmer gehalten, im Gegentheil. Der einflußreiche, noch heut (1891) lebende langjährige Adjutant des Kaisers Wilhelm, Graf Karl von der Goltz2, der einen stets offnen Zugang für seinen Bruder und dessen Freunde abgab, war ursprünglich ein eleganter und gescheidter Garde-Offizier, Stockpreuße und Hofmann, der an dem außerpreußischen Deutschland nur so viel Interesse nahm, als seine Hofstellung es mit sich brachte. Er war ein Lebemann, Jagdreiter, sah gut aus, hatte Glück bei Damen, wußte sich auf dem Hofparkett geschickt zu benehmen; aber die Politik[78] stand bei ihm nicht in erster Linie, sondern galt ihm erst, wenn er derselben bei Hofe bedurfte. Daß die Erinnerung an Olmütz das Mittel war, den Prinzen zum Bundesgenossen für den Kampf gegen Manteuffel zu gewinnen, das konnte Niemand besser wissen als er, und um diesen Stachel für die Empfindung des Prinzen in Wirksamkeit zu erhalten, hatte er auf Reisen und zu Hause stets gute Gelegenheit.
Die später nach Bethmann-Hollweg benannte Partei, richtiger Coterie, bestand ursprünglich aus dem Grafen Robert Goltz3, einem Manne von ungewöhnlicher Befähigung und Thätigkeit. Herr von Manteuffel hatte das Ungeschick gehabt, diese strebsame Capacität schlecht zu behandeln; der dadurch stellungslos gewordene Graf wurde der Impresario für die Truppe, welche zuerst als höfische Fraktion und später als Ministerium des Regenten auf der Bühne erschien. Sie begann in der Presse, besonders durch das von ihr gegründete »Preußische Wochenblatt«, und durch persönliche Werbungen in politischen und Hofkreisen sich Geltung zu schaffen. Die »Finanzirung«, wie die Börse sich ausdrückt, wurde durch die großen Vermögen Bethmann-Hollweg's und der Grafen Fürstenberg-Stammheim und Pourtales, und die politische Aufgabe, als deren Ziel zunächst der Sturz Manteuffel's gestellt war, von den geschickten Händen der Grafen Goltz und Pourtales besorgt. Beide schrieben ein elegantes Französisch in geschickter Diction, während Herr von Manteuffel in der Herstellung diplomatischer Aktenstücke hauptsächlich auf die hausbackne Tradition seiner Beamten von der französischen Kolonie in Berlin angewiesen war. Auch Graf Pourtales war von dem Ministerpräsidenten im Dienste verstimmt und von dem Könige als Rival Manteuffels ermuthigt worden.
Goltz wollte ohne Zweifel, wenn nicht der unmittelbare Nachfolger Manteuffel's, doch früher oder später Minister werden. Er hatte auch das Zeug dazu, viel mehr als Harry von Arnim, weil er weniger Eitelkeit und mehr Patriotismus und Charakter besaß; freilich auch mehr Zorn und Galle, die sich vermöge der ihm innewohnenden Energie als Subtrahenda von seiner praktischen Leistung geltend machten. Ich habe zu seiner Ernennung nach Petersburg, später nach Paris mitgewirkt und Harry von Arnim aus der unwichtigen Stellung, in welcher ich ihn fand, schnell und nicht ohne Widerspruch in dem Cabinete befördert, aber an diesen beiden befähigtsten unter meinen diplomatischen Mitarbeitern dasselbe[79] erlebt, wie Yglano an Anselmo in dem Chamisso'schen Gedichte.
Auch Rudolf von Auerswald4 hatte sich der Fraktion zurückhaltend angeschlossen, kam aber im Juni 1854 zu mir nach Frankfurt, um mir zu sagen, daß er seinen Feldzug der letzten Jahre für verloren halte, sich herauszuziehen wünsche und, wenn er den Gesandten-Posten in Brasilien erhielte, versprechen wolle, sich um innere Politik nicht mehr zu kümmern. Obwohl ich Manteuffel empfahl, in seinem Interesse darauf einzugehen und einen so feinen Kopf, erfahrenen und achtbaren Mann und Freund des Prinzen von Preußen auf diese ehrliche Weise zu neutralisieren, so war sein und des General von Gerlach Mißtrauen oder Abneigung gegen Auerswald doch so stark, daß der Minister dessen Ernennung ablehnte. Manteuffel und Gerlach waren überhaupt, obschon nicht untereinander, doch gegen die Partei Bethmann-Hollweg einig. Auerswald blieb im Lande und einer der Hauptträger der Beziehungen zwischen diesen anti-Manteuffel'schen Elementen und dem Prinzen.
Graf Robert Goltz, mit dem ich aus der Jugend her befreundet war, versuchte in Frankfurt auch mich für die Fraktion zu gewinnen. Ich lehnte den Beitritt, soweit Mitwirkung zum Sturze Manteuffels von mir gefordert würde, mit der Motivirung ab, daß ich, wie damals der Fall war, mit vollem Vertrauen Manteuffels den Posten in Frankfurt angetreten hatte und es nicht für ehrlich halten würde, meine Stellung zum Könige zum Sturze Manteuffels zu benutzen, solange Letzerer mich nicht in die Nothwendigkeit versetzte, mit ihm zu brechen, und daß ich in dem Falle ihm die Fehde und den Grund derselben vorher offen ansagen würde. Graf Goltz wollte sich damals verheirathen und bezeichnete mir als sein nächstes Verlangen den Gesandtschaftsposten in Athen. »Man soll mir«, setzte er mit Bitterkeit hinzu, »schon einen Posten geben und einen guten; davor ist mir nicht bange.«
Die scharfe Kritik der Politik Olmütz, die in der That nicht so sehr die Schuld des preußischen Unterhändlers als der, um das Wenigste zu sagen, ungeschickten Leitung der preußischen Politik bis zu seiner Zusammenkunft mit dem Fürsten Schwarzenberg war, und die Schilderung ihrer Folgen, das war die erste Waffe, mit welcher Manteuffel von Goltz angegriffen und die Sympathie des Prinzen von Preußen gewonnen wurde. In dem soldatischen Gefühle des Letzteren war Olmütz ein wunder Punkt, in Bezug auf[80] welchen nur die militärische und royalistische Disziplin dem Könige gegenüber die Empfindung der Kränkung und des Schmerzes beherrschte. Trotz seiner großen Liebe zu seinen russischen Verwandten, die zuletzt in der innigen Freundschaft mit Alexander II. zum Ausdrucke kam, behielt er das Gefühl einer Demüthigung, die Preußen durch den Kaiser Nicolaus erlitten hatte, und diese Empfindung wurde um so stärker, je mehr seine Mißbilligung der Manteuffel'schen Politik und der österreichischen Einflüsse ihn der ihm früher ferner liegenden deutschen Aufgabe Preußens näher rückte.
Im Sommer 1853 schien es, daß Goltz sich seinem Ziele nähern, zwar nicht Manteuffel verdrängen, aber doch Minister werden werde. Der General Gerlach schrieb mir am 6. Juli:
»Von Manteuffel hörte ich, daß Goltz ihm erklärt hat, nur dann in das Ministerium eintreten zu können, wenn die Umgebung des Königs geändert, d.h. ich fortgeschickt würde. Ich glaube übrigens, ja ich könnte sagen, ich weiß es, daß Manteuffel Goltz als Rath in das Auswärtige Ministerium hat haben wollen, um gegen andre Personen dort, wie Le Cocq (wohl eher gegen Gerlach und dessen Freunde am Hofe) u.s.w. ein Gegengewicht zu haben, was nun, Gott sei Dank, durch Goltzens Trotz vereitelt ist. – Ich denke mir, daß ein Plan im Werke ist – ob in allen zum Mithandeln bestimmten Personen bewußt oder unbewußt, halb oder ganz, lasse ich dahingestellt sein – ein Ministerium unter den Auspicien des Prinzen von Preußen zu formiren, in dem nach Entfernung von Raumer, Westphalen, Bodelschwingh, Manteuffel als Präses, Ladenberg als Cultus, Goltz als Auswärtiger funktionieren, und welches sich die Kammermajorität verschafft, was ich nicht für sehr schwierig halte. Damit sitzt der arme König zwischen der Kammermajorität und seinem Nachfolger und kann sich nicht rühren. Alles, was Westphalen und Raumer zu Stande gebracht, und sie sind die einzigen Menschen, die etwas gethan, würde wieder verloren gehen, von den übrigen Folgen zu schweigen. Manteuffel als doppelter Novembermann wäre wie schon jetzt inévitable.«
Der Gegensatz der verschiedenen Elemente, welche die Entschließungen des Königs zu bestimmen suchten, steigerte sich, der Angriff der Bethmann-Hollweg'schen Fraktion auf Manteuffel belebte sich während des Krimkriegs. Der Ministerpräsident hat seine Abneigung gegen den Bruch mit Oesterreich und gegen eine Politik, wie sie nach den böhmischen Schlachtfeldern führte, am nachdrücklichsten in allen für unsre Freundschaft mit Oesterreich kritischen[81] Momenten bethätigt. In der Zeit des Fürsten Schwarzenberg, demnächst des Krimkrieges und der Ausbeutung Preußens für die österreichische Orientpolitik erinnerte unser Verhältniß zu Oesterreich an das zwischen Leporello und Don Juan. In Frankfurt, wo zur Zeit des Krimkriegs die übrigen Bundesstaaten außer Oesterreich versuchsweise verlangten, daß Preußen sie der österreichisch-westmächtlichen Vergewaltigung gegenüber vertrete, konnte ich als Träger der preußischen Politik mich einer Beschämung und Erbitterung nicht erwehren, wenn ich sah, wie wir gegenüber den nicht einmal in höflichen Formen vorgebrachten Zumuthungen Oesterreichs jede eigne Politik und jede selbständige Ansicht opferten, von Posten zu Posten zurückwichen unter dem Druck der Inferiorität, in Furcht vor Frankreich und in Demuth vor England, im Schlepptau Oesterreichs Deckung suchten. Der König war nicht unempfänglich für diesen meinen Eindruck, aber nicht geneigt, denselben durch eine Politik im großen Stile abzuschütteln.
Nachdem England und Frankreich am 28. März 1854 Rußland den Krieg erklärt hatten, waren wir mit Oesterreich das Schutz- und Trutzbündnis vom 20. April eingegangen, welches Preußen verpflichtete, unter Umständen 100000 Mann in Zeit von 36 Tagen zu concentriren, ein Drittel in Ostpreußen, die beiden andern zu Posen oder zu Breslau, und sein Heer, wenn die Umstände es erheischten, auf 200000 Mann zu bringen, sich Behufs alles dessen mit Oesterreich zu verständigen.
Unter dem 3. Mai schrieb mir Manteuffel folgenden pikirten Brief:
»General von Gerlach theilt mir soeben mit, daß des Königs Majestät Euer pp. behufs Besprechung über die Behandlung des österreich-preußischen Bündnisses am Bunde hier anwesend zu sehen befohlen und daß der Herr General in diesem Sinne Euer pp. bereits geschrieben habe. In Gemäßheit dieses Allerhöchsten Befehls, von dem mir übrigens vorher nichts bekannt gewesen, darf ich keinen Anstand nehmen, Euer pp. ganz ergebenst zu veranlassen, sich unverzüglich hierher zu verfügen. Mit Rücksicht auf die beim Bundestage bevorstehenden Verhandlungen dürfte Ihr Aufenthalt hierselbst nicht von langer Dauer sein können.«
Bei Besprechung des Vertrages vom 20. April schlug ich dem Könige vor, diese Gelegenheit zu benutzen, um uns und die preußische Politik aus der secundären und, wie mir schien, unwürdigen Lage herauszuheben und eine Stellung einzunehmen, welche uns[82] die Sympathie und die Leitung der deutschen Staaten gewonnen hätte, die mit uns und durch uns in unabhängiger Neutralität zu verbleiben wünschten. Ich hielt dies für erreichbar, wenn wir, sobald Oesterreich die Truppenaufstellung verlangte, freundlich und bereitwillig darauf eingingen, aber die Aufstellung der 66000 und factisch mehr Mann nicht bei Lissa, sondern in Oberschlesien machten, so daß unsre Truppen in der Lage seien, die russische oder die österreichische Grenze mit gleicher Leichtigkeit zu überschreiten, namentlich wenn wir uns nicht genirten, die Ziffer 100000 uneingestanden zu überschreiten. Mit 200000 Mann würde Se. Majestät in diesem Augenblick Herr der gesamten europäischen Situation werden, den Frieden dictieren und in Deutschland eine Preußens würdige Stellung gewinnen können.
Frankreich war nicht im Stande, neben der Leistung, mit der es in der Krim beschäftigt war, bedrohlich an unsrer Westgrenze aufzutreten. Oesterreich hatte seine disponiblen Kräfte in Ost-Galizien stehen, wo sie von Krankheiten mehr Verluste erlitten als auf Schlachtfeldern. Sie waren festgenagelt durch die, auf dem Papier wenigstens, 200000 Mann starke russische Armee in Polen, deren Marsch nach der Krim die dortige Situation entschieden haben würde, wenn die österreichische Grenzaufstellung ihn hätte zulässig erscheinen lassen. Es gab schon damals Diplomaten, welche die Herstellung Polens unter österreichischem Patronat in ihr Programm aufgenommen hatten. Jene beiden Armeen standen einander gegenüber fest, und es war für Preußen möglich, durch seinen Beistand einer von ihnen die Oberhand zu gewähren. Die Wirkung einer englischen Blokade, welche unsre Küste hätte treffen können, würde nicht gefährlicher gewesen sein als die wenige Jahre früher mehrmals ausgestandene, uns ebenso vollständig abschließende dänische und aufgewogen durch die Erlangung unsrer und der Deutschen Unabhängigkeit von dem Drucke und der Drohung einer österreichisch-französischen Allianz und Vergewaltigung der zwischenliegenden Mittelstaaten. Während des Krimkrieges sagte mir der alte König von Württemberg in vertraulicher Audienz am Kamin in Stuttgart: »Wir deutschen Südstaaten können nicht gleichzeitig die Feindschaft Oesterreichs und Frankreichs auf uns nehmen, wir sind zu nahe unter der Ausfallpforte Straßburg und vom Westen her occupirt, bevor uns von Berlin Hülfe kommen kann. Württemberg wird überfallen, und wenn ich ehrlich mich in das preußische Lager zurückziehe, so werden die Klagen meiner vom Feinde bedrückten Unterthanen mich zurückrufen;[83] das württembergische Hemd ist mir näher als der Rock des Bundes«. Die nicht unbegründete Hoffnungslosigkeit, welche in dieser Aeußerung des gescheidten alten Herrn lag, und die mehr oder weniger zornige Empfindung in andern Bundesstaaten – nur nicht in Darmstadt, wo Herr von Dalwigk-Coehorn sicher auf Frankreich baute – diese Stimmungen würden sich wohl geändert haben, wenn ein nachdrückliches Auftreten Preußens in Oberschlesien den Beweis lieferte, daß weder Oesterreich noch Frankreich uns damals überlegenen Widerstand zu leisten vermochten, wenn wir ihre entblößte und gefährdete Situation entschlossen benutzten.
Der König war nicht unempfänglich für die überzeugte Stimmung, in welche ich ihm die Sachlage und die Eventualitäten darstellte; er lächelte wohlgefällig und sagte im Berliner Dialekt: »Liebeken, das ist sehr schöne, aber es is mich zu theuer. Solche Gewaltstreiche kann ein Mann von der Sorte Napoleons wohl machen, ich aber nicht.«
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