II

[84] Der zögernde Beitritt der deutschen Mittelstaaten, die sich in Bamberg berathen hatten, zu dem Vertrage vom 20. April, die Bemühungen des Grafen Buol, einen Kriegsfall zu schaffen, die durch die Räumung der Wallachei und Moldau seitens der Russen vereitelt wurden, die von ihm beantragte und im Geheimniß vor Preußen abgeschlossene Allianz mit den Westmächten vom 2. December, die vier Punkte der Wiener Conferenz und der weitere Verlauf bis zu dem Pariser Frieden vom 30. März 1856 sind von Sybel aus den Archiven dargestellt, und meine amtliche Stellungnahme zu allen diesen Fragen ergibt sich aus dem Werke »Preußen im Bundestage«. Ueber das, was in dem Cabinet vorging, über die Erwägungen und Einflüsse, welche den König in den wechselnden Phasen bestimmten, erhielt ich von dem General von Gerlach Mittheilungen, von denen ich die interessanteren einflechte. Wir hatten für diese Correspondenz eine Art von Chiffre verabredet, in welchem die Staaten durch die Namen uns bekannter Dörfer, die Personen nicht ohne Humor durch Figuren aus Shakespeare bezeichnet waren.


»Berlin, den 24. April 1854


Manteuffel hat seinen Abschluß mit (dem Feldzeugmeister) Heß zu Stande gebracht und zwar auf eine Art, die ich nicht anders als[84] eine verlorene Schlacht bezeichnen kann. Alle meine militärischen Berechnungen, die entschieden bewiesen, daß Oesterreich es nie wagen würde, ohne uns zu einem bestimmten Abschluß mit den Westmächten zu kommen, haben nichts geholfen; man hat sich von den Furchtsamen furchtsam machen lassen, und so weit muß ich Manteuffel Recht geben, daß es gar nicht unmöglich ist, daß eben aus Furcht Oesterreich den kühnen Sprung nach Westen hätte machen können.

Doch dem sei wie ihm wolle, dieser Abschluß ist ein fait accompli, und man muß jetzt wie nach einer verlorenen Schlacht die zerstreuten Kräfte sammeln, um dem Gegner sich wieder entgegen stellen zu können, und da ist denn das Nächste, daß in dem Vertrage Alles auf gegenseitiges Einverständnis gestellt ist. Aber eben deshalb wird die nächste und auch sehr üble Folge sein, daß wir, sobald wir die uns richtig scheinende Auslegung geltend machen, der Doppelzüngigkeit und Wortbrüchigkeit angeklagt werden. Dagegen müssen wir uns zunächst dickfellig machen, dann aber dergleichen zuvorkommen, indem wir unsre Auslegung des Vertrages sofort aussprechen, sowohl in Wien als in Frankfurt, noch bevor eine Collision eingetreten ist. Was hilft aber diese Flickerei, die zuletzt doch eine undankbare Arbeit ist. Es liegt in der Natur des Menschen, also auch unsres Herrn, daß wenn er mit einem Diener einen Bock oder vielmehr eine Ricke geschossen hat, er diesen zunächst hält und die besonnenen und treuen Freunde schlecht behandelt. In der Lage bin ich jetzt, und sie ist wahrlich nicht beneidenswerth.


Sanssouci, den 1. Juli 1854


Die Dinge haben sich einmal wieder furchtbar verwickelt, aber doch so, daß man, wenn Alles klappt, ein gutes Ende für möglich halten kann. Wenn wir Oesterreich nicht so lange als möglich festhalten, so laden wir eine schwere Schuld auf uns, rufen die Trias ins Leben, welche der Anfang des Rheinbundes ist und den französischen Einfluß bis unter die Thore von Berlin bringt. Jetzt haben die Bamberger es versucht, sich unter dem Protectorate von Rußland als Trias zu constituiren, wohl wissend, daß es ein leichtes ist, ein Protectorat zu wechseln, um so mehr, da die russisch-französische Allianz doch das Ende vom Liede ist, wenn England nicht bald die Augen aufgehen über die Thorheit des Krieges und des Bündnisses mit Frankreich.
[85]

Sanssouci, den 22. Juli 1854


Für die deutsche Diplomatie, so weit sie jetzt von Preußen ausgeht, öffnet sich ein glänzendes Schlachtfeld, denn leider scheint es, daß Prokesch nicht Unrecht hat, wenn er für seinen Kaiser die Kriegstrompete bläst. Die Wiener Nachrichten sind gar nicht besonders, obschon ich es doch noch nicht aufgebe, daß in der elften Stunde Buol und der Kaiser auseinander gehen werden – es wäre der größeste Fehler, den man machen könnte, wenn man den mir noch nicht ganz verständlichen antifranzösischen Enthusiasmus von Bayern, Württemberg, Sachsen und Hannover unbenutzt vorübergehen ließe. Sobald man mit Oesterreich im Klaren, d.h. sowie dessen westmächtliche Sympathien klar hervortreten, müssen die lebhaftesten Verhandlungen mit den deutschen Mächten beginnen, und wir müssen einen Fürstenbund schließen, ganz anders und fester als der von Friedrich dem II. war.


Charlottenburg, den 9. August 1854


Manteuffel ist bis jetzt ganz vernünftig, aber wie Sie wissen, unzuverlässig. Ich glaube, daß Sie die Aufgabe haben, nach zwei Seiten hin für den richtigen Weg zu wirken. Einmal, daß Sie Prokesch die richtige Politik über dem Kopfe wegnehmen und ihm zu verstehen geben, daß jetzt jeder Vorwand wegfällt, Oesterreich in seinem Kriegsgelüste nachzusehen, und dann, daß Sie den deutschen Mächten den Weg weisen, den sie zu gehen haben. Es ist ein eigen Unglück, daß der Aufenthalt (des Königs Friedrich Wilhelm) in München wieder an gewisser Stelle germanomanischen Enthusiasmus erregt hat. Eine deutsche Reservearmee, er an der Spitze, ist der confuse Gedanke, der eine nicht gute Einwirkung auf die Politik macht. Ludwig XIV. sagte l'état c'est moi. Mit viel mehr Recht kann Se. Majestät sagen l'Allemagne c'est moi.

L.v.G.«


Daneben gewährte der nachstehende Brief des Cabinetsraths Niebuhr an mich einen weiteren Einblick in die Stimmung am Hofe.


»Puttbus, den 22. August 1854


Ich verkenne gewiß nicht gute Intentionen, wenn sie auch meiner Ueberzeugung nach nicht an der (richtigen) Stelle und noch weniger richtig ausgeführt sind, und ebensowenig das Recht von Interessen,[86] wenn sie auch demjenigen, was ich für richtig halten muß, schnurstracks widersprechen. Aber ich verlange Wahrheit und Klarheit, und deren Mangel kann mich zur Desperation bringen. Mangel an Wahrheit nach außen kann ich unsrer Politik nun nicht zum Vorwurf machen: wohl aber Unwahrheit gegen uns selbst. Wir würden ganz anders dastehen und Vieles unterlassen haben, wenn wir uns die eigentlichen Motive dazu eingestanden hätten, statt uns beständig vorzuspiegeln, daß die einzelnen Acte unsrer Politik Consequenzen der richtigen Grundgedanken derselben seien. Die fortgesetzte Theilnahme an den Wiener Conferenzen nach dem Einlaufen der englisch-französischen Flotte in die Dardanellen und jetzt zuletzt die Unterstützung der westmächtlich-österreichischen Forderungen in Petersburg, haben ihren wahren Grund in der kindischen Furcht, ›aus dem Concert européen hinausgedrängt zu werden‹ und ›die Stellung als Großmacht zu verlieren.‹ Die größten Albernheiten, die zu denken sind, denn von einem Concert européen zu sprechen, wenn zwei Mächte mit einer dritten im Kriege sind, ist doch geradezu ein hölzernes Eisen, und unsre Stellung als Großmacht verdanken wir doch wahrhaftig nicht der Gefälligkeit von London, Paris und Wien, sondern unsrem guten Schwerte. Ueberdem aber spielt überall eine Empfindlichkeit gegen Rußland mit, die ich vollkommen begreife und auch theile, der man aber jetzt nicht nachgeben kann, ohne zugleich uns selbst zu züchtigen.

Wo man nicht wahr gegen sich selbst ist, ist man allemal auch nicht klar. Und so leben und handeln wir zwar nicht in solcher Unklarheit, wie in Wien, wo man wie ein Schlaftrunkener alle Augenblicke handelt, als ob man schon im Kriege mit Rußland wäre: aber wie man neutral und Friedensvermittler sein, und zugleich Propositionen, wie die letzten der Seemächte empfehlen kann, verstehe ich mit meinen schwachen Verstandeskräften nicht.«


Die folgenden Brieffragmente sind wieder von Gerlach.


»Sanssouci, den 13. Oktober 1854


Seitdem ich alles gelesen und nach Kräften gegen einander abgewogen habe, halte ich es für sehr wahrscheinlich, daß die zwei Drittel Stimmen Oestreich nicht entgehn werden, Hannover spielt ein falsches Spiel, Braunschweig ist westmächtlich, die Thüringer[87] ebenso, Bayern ist in allen Zuständen und der K.M. ist ein schwankendes Rohr. Selbst über Beust gehen zweifelhafte Nachrichten ein. Hierzu kommt, daß man in Wien zum Kriege entschlossen scheint. Man sieht ein, daß die expectative bewaffnete Stellung nicht länger durchzuführen ist, schon finanziell nicht, und hält das Umkehren für gefährlicher als das Vorwärtsgehen. Leicht ist das Umkehren auch wirklich nicht, und ich sehe auch nicht ein, woher dem Kaiser dazu die Entschlossenheit kommen soll. Oesterreich kann sich für das Erste und oberflächlich leichter mit den revolutionären Plänen der Westmächte verständigen als Preußen, z.B. mit einer Restauration von Polen, einem rücksichtslosen Verfahren gegen Rußland u.s.w., sowie es keinem Zweifel unterliegt, daß Frankreich und England ihm auf der andern Seiten noch leichter als uns Verlegenheiten bereiten können, sowohl in Ungarn als in Italien. Der Kaiser ist in den Händen seiner Polizei und was das heißt, habe ich in den letzten Jahren gelernt1, hat sich vorlügen lassen, Rußland habe Kossuth aufgehetzt u.s.w. Er hat damit sein Gewissen beschwichtigt, und was die Polizei nicht vermag, das leistet der Ultramontanismus, die Wuth gegen die orthodoxe Kirche und gegen das protestantische Preußen. Daher ist auch schon jetzt von einem Königreich Polen unter einem österreichischen Erzherzoge die Rede. Aus allem diesem folgt, daß man sehr auf seiner Hut sein und auf alles, selbst auf einen Krieg gegen die mit Oesterreich verbündeten Westmächte gefaßt sein muß, daß den deutschen Fürsten nicht zu trauen ist u.s.w. Der Herr möge uns geben, daß wir nicht schwach befunden werden, aber ich müßte eine Unwahrheit sagen, wenn ich den Leitern unsrer Geschicke fest vertraute. Halten wir daher eng zusammen. Anno 1850 hatte Radowitz uns etwa (activ) auf denselben Punkt gebracht wie Buol jetzt passiv von drüben her.


Sanssouci, 15. November 1854


Was Oesterreich anbetrifft, so ist mir durch die letzten Verhandlungen endlich die dortige Politik klar geworden. In meinem Alter ist man von schweren Begriffen. Die österreichische Politik ist keine[88] ultramontane der Hauptsache nach, wie es sich Se. Majestät construirt, obschon sie den Ultramontanismus nach den Umständen gebraucht; sie hat keine großen Pläne von Eroberungen im Orient, obschon sie auch davon etwas mitnimmt; sie denkt auch nicht an die deutsche Kaiserkrone. Alles das ist zu erhaben und wird nur hin und wieder als Mittelchen zum Zweck benutzt. Die österreichische Politik ist eine Politik der Furcht, basirt auf die schwierige innere und äußere Lage in Italien, Ungarn, in den Finanzen, in dem zerstörten Recht, in der Furcht vor Bonaparte, in der Angst vor russischer Rache, auch in der Furcht vor Preußen, dem man viel mehr Böses zutraut, als irgend Jemand je hier gedacht hat. Meyendorf sagt: ›Mein Schwager Buol ist ein politischer Hundsfott; er fürchtet jeden Krieg, aber allerdings mehr einen Krieg mit Frankreich als mit Rußland.‹ Dieses Urtheil ist ganz richtig, und diese Furcht ist das, was Oesterreich bestimmt.

Ich glaube, wenn man betrachtet, daß es immer ein gefährliches Ding ist, allein zu stehen, daß die Dinge hier im Lande so sind, daß es auch gefährlich ist, sie auf die Spitze zu treiben, da weder Manteuffel noch – zuverlässig sind, so scheint es mir immer der Klugheit angemessen, Oesterreich so weit als möglich nachzugehen. Ueber diese Möglichkeit hinaus liegt aber jede Allianz mit Frankreich, die wir weder moralisch, noch finanziell, noch militärisch ertragen können. Sie wäre unser Tod, wir verlören unsern Ruhm von 1813–1815, von dem wir leben, wir würden den mit Recht mißtrauischen Alliirten Festungen einräumen, wir würden sie ernähren müssen. Bonaparte, l'élu de sept millions, würde bald einen König von Polen finden, der auf demselben Rechtstitel stände und dem man mit Leichtigkeit die Wähler in beliebiger Anzahl finden würde.


Potsdam, den 4. Januar 1855


Ich glaube, daß wir einig sein würden, wenn Sie hier wären, das heißt in dem, was zu thun ist, wenn auch nicht im Princip, denn ich halte mich an die heilige Schrift, daß man nicht Böses thun darf, daß Gutes daraus werde, weil derer, die das thun, Verdammniß ganz recht ist. Mit Bonaparte und dem Liberalismus buhlen ist aber böse, im gegebenen Fall aber außerdem auch meines Erachtens unweise. Sie vergessen (ein Fehler, in den Jeder fällt, der eine Weile von hier fort ist) die Persönlichkeiten, welche doch das Entscheidende sind. Wie können Sie solche indirecten Finasserien mit einem völlig principienlosen, unzuverlässigen Minister, der in den[89] falschen Weg unwillkürlich hineingezogen wird, und mit einem, um nicht mehr zu sagen, unberechenbar eigenthümlichen Herrn machen. Bedenken Sie doch, daß Manteuffel principaliter Bonapartist ist, denken Sie an sein Benehmen bei dem coup d'état, an die von ihm damals patronisirte Quehl'sche Schrift, und wenn Sie etwas Neueres haben wollen, so kann ich Ihnen sagen, daß er jetzt an Werther (damals Gesandter in Petersburg) die thörichte Ansicht geschrieben hat, daß, wenn man Rußland nützen wolle, man dem Vertrage vom 2. December beitreten müsse, um bei den Verhandlungen mitzusprechen.

Nähmen die Verhandlungen in Wien einen Charakter an, so daß man auf einen Erfolg rechnen kann, so wird man uns schon zuziehen und uns mit unsern 300000 Mann nicht ignoriren. Schon jetzt wäre das nicht möglich, wenn man sich nicht durch Hinken, nicht, wie das oft geschehen, nach zwei, sondern, was selten geschehen, nach drei Seiten, um alle Einflößung von Furcht gebracht hätte.

Ich wünsche sehr, daß Sie, wenn auch nur auf wenige Tage, herkämen, um sich zu orientiren. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schnell man bei einer irgend längeren Abwesenheit desorientirt ist. Denn eben wegen ihrer personalissimen Eigenschaft ist es so schwer, unsre Zustände durch Schreiben verständlich zu machen, besonders wenn unzuverlässige principienlose Charaktere im Spiele sind. Mir ist immer sehr unheimlich, wenn Se. Majestät mit Manteuffel Geheimnisse haben; denn wenn der König seiner Sache vor Gott und seinem Gewissen gewiß ist, so ist er gegen viele, nicht etwa blos gegen mich, offener als gegen Manteuffel. Bei jenen Heimlichkeiten aber entsteht ein Gebräu von Schwäche und Finasserie auf der einen und von animosem Servilismus auf der andern Seite, was in der Regel etwas sehr Unglückliches zur Welt bringt.


Berlin, 23. Januar 1855


Was mich ganz niederschlägt, ist der allgemein verbreitete Bonapartismus und die Indifferenz und der Leichtsinn, womit man diese größte aller Gefahren auf sich zukommen sieht. Ist es denn so schwer zu erkennen, wohin dieser Mensch will? Und wie stehen hier die Sachen? The king can do no wrong. Von dem schweige ich; Manteuffel ist völlig Bonapartist. Bunsen mitsammt Usedom sind keine Preußen. Hatzfeld in Paris hat eine bonapartistische Frau und ist so eingeseift, daß sein hiesiger Schwager den alten Bonaparte im Vergleich mit dem jetzigen für einen Esel hält. Was soll daraus[90] werden, und wie darf man dem Könige Vorwürfe machen, wenn er so bedient ist? Von den irregulären Rathgebern zu schweigen.

L.v.G.«


Bei Manteuffel hatte eine active und unternehmende antiösterreichische Politik noch weniger Aussicht auf Anklang als bei dem Könige. Mein damaliger Chef machte mir in der Discussion der Frage unter vier Augen wohl den Eindruck, als theile er meine borussische Entrüstung über die geringschätzige und verletzende Art der Behandlung, die wir von der Politik Buol-Prokesch erfuhren. War aber die Situation bis zum Handeln gediehen, kam es darauf an, einen wirksamen diplomatischen Schritt in anti-österreichischer Richtung zu thun oder auch nur die Fühlung mit Rußland so weit festzuhalten, daß wir diesem bis dahin befreundeten Nachbarn gegenüber nicht direct feindlich auftraten, dann spitzte sich die Sache in der Regel dahin zu, daß eine Cabinetskrisis zwischen dem Könige und dem Ministerpräsidenten entstand und der erstere dem letzteren gelegentlich mit mir oder auch mit dem Grafen Alvensleben drohte, in einem Falle auch, im Winter 1854, mit dem Grafen Albert Pourtales aus der Bethmann-Hollweg'schen Coterie, obschon dessen Auffassung der auswärtigen Politik die entgegengesetzte von der meinigen und auch mit der des Grafen Alvensleben schwerlich verträglich war.

Das Ende der Krisis führte den König und den Minister stets wieder zusammen. Von den drei Gegencandidaten hatte Alvensleben ziemlich öffentlich erklärt, er würde unter diesem Monarchen nie wieder ein Amt annehmen. Der König wollte mich zu ihm nach Erxleben schicken; ich rieth davon ab, weil Alvensleben mir vor kurzem obige Erklärung mit Bitterkeit in Frankfurt wiederholt hatte. Als wir uns später wiedersahen, war seine Verstimmung gehoben, er war geneigt, einer Aufforderung Sr. Majestät entgegen zu kommen, und wünschte, daß ich in dem Falle mit ihm eintreten möge. Der König ist aber mir gegenüber nicht auf Alvensleben zurückgekommen, vielleicht weil in der Zeit nach meinem Besuche in Paris (August 1855) eine Erkältung am Hofe, und namentlich bei Ihrer Majestät der Königin mir gegenüber eingetreten war. Graf Pourtales war dem Könige »zu unabhängig«; »er hat 30000 Rthlr. Einkommen zu viel und ist deshalb ungehorsam«, sagte Se. Majestät. Der König war der Meinung, daß arme und auf Gehalt angewiesene Minister »gehorsamer« wären. Ich selbst entzog[91] mich der verantwortlichen Stellung unter diesem Herrn, wie ich konnte, und söhnte ihn mit Manteuffel aus, den ich zu diesem Zwecke auf dem Lande (Crossen) besuchte.

1

Gerlach hat dabei wohl an Ohm und Hantge gedacht, auch an die Berichte, welche der phantasiereiche und gut bezahlte Österreicher Tausenau aus London über gefährliche Anschläge der deutschen Flüchtlinge erstattete. Der König muß über die Zuverlässigkeit dieser Meldungen zweifelhaft geworden sein; er beauftragte direct aus seinem Cabinet den Gesandten Bunsen, von der englischen Polizei Erkundigungen einzuziehen, die dahin ausfiel, daß die deutschen Flüchtlinge in London zu viel mit dem Erwerb ihres Lebensunterhaltes zu thun hätten, um an Attentate zu denken.

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 92.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedanken und Erinnerungen
Gedanken und Erinnerungen 3 Bände in einem Band.
Gedanken und Erinnerungen
Gedanken und Erinnerungen
Gedanken und Erinnerungen
Gedanken und Erinnerungen

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Ein Spätgeborner / Die Freiherren von Gemperlein. Zwei Erzählungen

Ein Spätgeborner / Die Freiherren von Gemperlein. Zwei Erzählungen

Die beiden »Freiherren von Gemperlein« machen reichlich komplizierte Pläne, in den Stand der Ehe zu treten und verlieben sich schließlich beide in dieselbe Frau, die zu allem Überfluss auch noch verheiratet ist. Die 1875 erschienene Künstlernovelle »Ein Spätgeborener« ist der erste Prosatext mit dem die Autorin jedenfalls eine gewisse Öffentlichkeit erreicht.

78 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon