IV

[96] Meine amtlichen Aeußerungen über die Theilnahme Preußens an den Friedensverhandlungen in Paris (Preußen im Bundestage Theil II, S. 312–317, 337–339, 350) werden ergänzt durch folgendes Schreiben an Gerlach.
[96]

»Frankfurt, 11. Februar 1856


Ich hatte noch immer gehofft, daß wir eine festere Stellung annehmen würden, bis man sich entschlösse, uns zu den Conferenzen einzuladen, und daß wir in einer solchen verharren würden, wenn die Einladung gar nicht erfolgt. Das war meines Erachtens das einzige Mittel, unsre Zuziehung durchzusetzen. Nach den mir gestern zugegangenen Instruktionen wollen wir aber d'emblée auf eine Fassung mit mehr oder weniger Vorbehalt eingehn, die uns und den Bund zur Aufrechthaltung der Präliminarien verpflichtet. Hat man das erst von uns in Händen, nachdem sogar die Westmächte und Oesterreich bisher nur ein projet von Präliminarien unterzeichnet, warum soll man sich dann noch auf Conferenzen mit uns bemühen; man wird viel lieber unsre und der übrigen Mittelstaaten am Bunde gegebene Adhäsion in unsrer Abwesenheit nach Bedürfniß und Belieben ausbeuten und benutzen in dem Bewußtsein, daß man nur zu fordern braucht, und wir geben uns. Wir sind zu gut für diese Welt. Es kommt mir nicht zu, die Entschlüsse Sr. Majestät und meines Chefs zu kritisieren, nachdem sie gefaßt sind; aber die Kritik vollzieht sich in mir ohne mein Zuthun. Ich finde in der Erinnerung an den Frühling 1848 das Analogon meiner körperlichen und geistigen Stimmung, und je mehr ich mir die Situation klar mache, je weniger entdecke ich etwas, woran mein preußisches Ehrgefühl sich aufrichten könnte. Vor acht Tagen schien mir noch alles niet- und nagelfest, ich selbst bat Manteuffel, Oesterreich die Auswahl zwischen zwei für uns annehmbaren Vorschlägen zu lassen, ließ mir aber nicht träumen, daß Graf Buol sie beide verwerfen und uns die Antwort vorschreiben werde, die wir zu geben haben; ich hatte gehofft, daß wir uns nicht gefangen geben würden, bevor unsre Zuziehung zu den Conferenzen gesichert wäre. Wie stellt sich aber jetzt die Lage heraus? Viermal hat Oesterreich in zwei Jahren das Spiel gegen uns gespielt, daß es den ganzen Grund, auf dem wir standen, forderte und wir nach einigem Sperren die Hälfte abtraten. Jetzt aber geht es um den letzten Quadratfuß, auf dem noch eine preußische Aufstellung möglich blieb. Oesterreich fordert nicht nur, daß wir ihm den letzten Rest von unabhängiger Stellung opfern, sondern schreibt uns auch den Wortlaut unsrer Abdication vor, gebietet uns eine unablässige nach Stunden bemessene Eile und versagt uns jedes Aequivalent, welches ein Pflaster für unsre Wunden abgeben könnte. Nicht einmal ein Amendement in der Erklärung, die Preußen und Deutschland geben soll, getrauen wir uns entschieden aufzustellen. Pfordten macht[97] die Sache mit Oesterreich ab, indem er Preußens Einverständniß voraussetzt, und nachdem Bayern gesprochen, ist für uns res judicata. Bei ähnlichen Gelegenheiten stellten wir ein preußisches Programm auf bei den deutschen Höfen und keiner entschied sich, bevor wir uns mit Oesterreich verständigt. Jetzt verständigt sich Bayern mit Wien und wir fügen uns im Rummel mit Darmstadt und Oldenburg. Damit geben wir das Letzte frei, was man einstweilen von uns braucht; hat man den Bundesbeschluß erst in der Tasche, so wird Buol von der Unmöglichkeit sprechen, den Widerspruch der Westmächte gegen unsern Eintritt zu überwinden. Auf Rußland können wir dabei nicht rechnen, denn demselben wird die Verstimmung ganz lieb sein, die bei uns folgen muß, wenn wir den letzten Rest unsrer Politik für ein Entree-Billet zu den Conferenzen hingegeben haben. Außerdem fürchten die Russen sich mehr vor unsrer vermittelnden Unterstützung, als sie auf unsern Beistand hoffen.

Das einzige Mittel für unsern Eintritt ist die Zurückhaltung unsrer Erklärung über die österreichische Vorlage. Was soll man mit einem preußischen Querulanten, wenn man den Bundesbeschluß und damit uns in der Tasche hat. Aus der österreichischen Regierungspresse und dem Verhalten Rechbergs geht hervor, daß sie dem fraglichen Vorbehalt ausdrücklich auf Punkt V1 einschränken. Ueber die conditions particulières der Kriegführenden bleibt das freie Urtheil vorbehalten, in Betreff der von Oesterreich aufzustellenden aber nicht, und wird die österreichische Interpretation der vier ersten Punkte angenommen.

Diese ganze Berechnung zerrissen wir durch unsre jetzige Ablehnung, uns auszusprechen. Solange wir diese Haltung annehmen, bedarf man unser. Man wird hier auch nicht den Versuch machen, uns zu majorisieren; selbst Sachsen und Bayern haben nur in der Voraussetzung unsres Einverständnisses dem österreichischen Entwurfe beigestimmt. Wenn wir aber den Muth unsrer Meinung haben, wird man auch auf unsre Erklärung hören. Verlangen wir Aufschub des Beschlusses und erklären das noch heute den deutschen Höfen, so haben wir noch jetzt die Majorität.

Eventuell werden die Türken und Sardinier über deutsche Interessen in den Conferenzen ohne uns beschließen und Graf Buol wird sich nicht bei Herrn von Manteuffel, sondern bei Pfordten und Beust Rath holen.[98]

Wäre es solchen Eventualitäten gegenüber nicht vorzuziehen, daß wir als europäische Macht direct mit Frankreich und England über unsern Beitritt verhandelt hätten, als daß wir wie einer, der nicht sui juris ist, unter Oesterreichs Vormundschaft träten und als ein Pfeil in Buols Köcher in Rechnung kommen?

v.B.«


Der Eindruck, daß wir in den Formen wie in der Sache von Oesterreich geringschätzig behandelt wurden, wie er sich in vorstehendem Schreiben ausspricht, und daß wir uns diese (geringschätzige Behandlung nicht gefallen lassen dürften, ist nicht ohne Folgen geblieben für die spätere Gestaltung der preußisch-österreichischen Beziehungen.)

1

Les puissances belligérantes reservent le droit qui leur appartient de produire dans un intérêt européen des conditions particulières en sus des quatre conditions.

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 99.
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