Sechstes Kapitel
Sanssouci und Coblenz

[99] Daß die Denkschriften, welche die Goltz'sche Fraktion als Kampfmittel gegen Manteuffel bei dem Könige und dem Prinzen von Preußen verwerthen und dann in der Presse und durch fremde Diplomaten ausnutzen ließ, nicht ohne Eindruck auf den Prinzen geblieben waren, erkannte ich unter Anderm daran, daß ich bei ihm auf die Haxthausen'sche Theorie von den drei Zonen stieß.

Wirksamer noch als durch die politischen Argumentationen der Bethmann-Hollweg'schen Coterie wurde der Prinz von seiner Gemahlin im westmächtlichen Sinne beeinflußt und in eine Art von Oppositionsstellung gegen den Bruder gebracht, die seinen militärischen Instincten fern lag. Die Prinzessin Augusta hat aus ihrer weimarischen Jugendzeit bis an ihr Lebensende den Eindruck bewahrt, daß französische und noch mehr englische Autoritäten und Personen den einheimischen überlegen seien. Sie war darin echt deutschen Blutes, daß sich an ihr unsre nationale Art bewährte, welche in der Redensart ihren schärfsten Ausdruck findet: »Das ist nicht weit her, taugt also nichts.« Trotz Goethe, Schiller und allen andern Größen in den elyseischen Gefilden von Weimar war doch diese geistig hervorragende Residenz nicht frei von dem Alp, der bis auf die Gegenwart auf unsrem Nationalgefühl gelastet hat: daß der Franzose und vollends ein Engländer durch seine Nationalität[99] und Geburt ein vornehmeres Wesen sei als der Deutsche und daß der Beifall der öffentlichen Meinung von Paris und London ein authentischeres Zeugniß des eignen Werthes bilde als unser eignes Bewußtsein. Die Kaiserin Augusta ist durch ihre geistige Begabung und durch die Anerkennung, welche die Bethätigung ihres Pflichtgefühls auf verschiedenen Gebieten bei uns gefunden hat, doch von dem Druck dieses Alps niemals vollständig frei geworden; ein sichrer Franzose mit geläufigem Französisch imponirte ihr, und ein Engländer hatte bis zum Gegenbeweise die Vermuthung für sich, daß er in Deutschland als vornehmer Mann zu behandeln sei. So ward es in Weimar vor 70 Jahren gehalten, und der Nachgeschmack davon hat sich mir in meiner amtlichen Thätigkeit oft genug fühlbar gemacht. Wahrscheinlich hat in der Zeit, von der die Rede ist, auch das Streben nach der englischen Heirath ihres Sohnes die Prinzessin von Preußen in der Richtung bestärkt, in welche Goltz und seine Freunde ihren Gemahl zu ziehen suchten.

Der Krimkrieg brachte die von Kind auf gewurzelte, früher äußerlich nicht hervorgetretene Abneigung der Prinzessin gegen alles Russische zur Erscheinung. Auf den Bällen Friedrich Wilhelms III., wo ich sie als junge und schöne Frau zuerst gesehen habe, pflegte sie in der Wahl der Tänzer Diplomaten, wohl auch russische, zu begünstigen und unter ihnen solche, welche mehr für die Unterhaltung als für den Tanz begabt waren, die Glätte des Parkets versuchen zu lassen. Ihre später sichtbar und wirksam gewordene Abneigung gegen Rußland ist psychologisch schwer zu erklären. Die Erinnerung an die Ermordung ihres Großvaters, des Kaisers Paul, hatte schwerlich so nachhaltig gewirkt. Näher liegt die Vermuthung der Nachwirkung eines Dissenses zwischen der hochbegabten, social und politisch russischen Mutter, der Großherzogin von Weimar und deren russischen Besuchern und dem lebhaften Temperament einer erwachsenen und zur Uebernahme der Führung in ihrem Kreise geneigten Tochter, vielleicht auch die Vermuthung einer Idiosyncrasie gegen die präpotente Persönlichkeit des Kaisers Nicolaus. Gewiß ist, daß der antirussische Einfluß dieser hohen Frau auch in den Zeiten, wo sie Königin und Kaiserin war, mir die Durchführung der von mir für nothwendig erkannten Politik bei Sr. Majestät häufig erschwert hat.

Wesentliche Hülfe leistete der Bethmann-Hollweg'schen Fraktion Herr von Schleinitz, der Specialpolitiker der Prinzessin, der auch seinerseits zum Kampfe gegen Manteuffel dadurch veranlaßt war, daß er aus dem gutsituirten, aber nicht sehr fleißig besorgten[100] Posten von Hannover aus dienstlichen Gründen unter Umständen der Art entlassen war, daß ihm das Wartegeld als Gesandter erst, nachdem er Minister geworden, nachträglich ausgezahlt wurde. Als Sohn eines braunschweigischen Ministers und gewerbsmäßiger Diplomat an das Hofleben und die äußeren Vorzüge des auswärtigen Dienstes gewöhnt, ohne Vermögen, dienstlich verstimmt, bei der Prinzessin aber in Gnaden stehend, wurde er natürlich von den Gegnern Manteuffels gesucht und schloß sich ihnen bereitwillig an. Er wurde der erste auswärtige Minister der neuen Aera und starb als Hausminister der Kaiserin Augusta.

Beim Frühstück – und diese Gewohnheit Kaiser Wilhelms hat fortgedauert – hielt die Prinzessin ihrem Gemahl Vortrag unter Vorlegung von Briefen und Zeitungsartikeln, die zuweilen ad hoc redigirt worden waren. Andeutungen, die ich mir gelegentlich gestattete, daß gewisse Briefe auf Veranstaltung der Königin durch Herrn von Schleinitz hergestellt und beschafft sein könnten, trugen mir eine sehr scharfe Zurückweisung zu. Der König trat mit seinem ritterlichen Sinne unbedingt für seine Gemahlin ein, auch wenn der Anschein einleuchtend gegen sie war. Er wollte gewissermaßen verbieten, dergleichen zu glauben, auch wenn es wahr wäre.

Ich habe es nie für die Aufgabe eines Gesandten bei befreundeten Höfen gehalten, jedes verstimmende Detail nach Hause zu melden; namentlich als ich in Petersburg mit einem Vertrauen beehrt wurde, welches ich fremden Diplomaten in Berlin zu gewähren für bedenklich gehalten haben würde. Jede zur Erregung von Verstimmung zwischen uns und Rußland geeignete Meldung würde bei der damals und in der Regel antirussischen Politik der Königin zur Lockerung unsrer russischen Beziehungen ausgenutzt worden sein, sei es aus Abneigung gegen Rußland oder aus vorübergehenden Popularitätsrücksichten, sei es aus Wohlwollen für England und in der Voraussetzung, daß Wohlwollen für England und selbst für Frankreich einen höheren Grad von Civilisation und Bildung anzeige als Wohlwollen für Rußland.

Nachdem der Prinz von Preußen im Jahre 1849 als Gouverneur der Rheinprovinz seine Residenz dauernd nach Coblenz verlegt hatte, consolidirte sich allmählich die gegenseitige Stellung der beiden Höfe von Sanssouci und Coblenz zu einer occulten Gegnerschaft, in welcher auch auf der königlichen Seite das weibliche Element mitspielte, jedoch in geringerem Maße als auf der prinzlichen. Der Einfluß der Königin Elisabeth zu Gunsten Oesterreichs, Bayerns, Sachsens war ein unbefangener und unverhehlter, ein[101] Ergebniß der Solidarität, welche die Uebereinstimmung der Anschauungen und die verwandtschaftlichen Familiensympathien naturgemäß hervorbrachten. Zwischen der Königin und dem Minister von Manteuffel bestand keine persönliche Sympathie, wie schon die Verschiedenheit der Temperamente es mit sich brachte; gleichwohl ging die Einwirkung Beider auf den König nicht selten und namentlich in kritischen Momenten gleichmäßig in der Richtung des österreichischen Interesses, doch von Seiten der Königin in entscheidenden Augenblicken nur bis zu gewissen Grenzen, welche die eheliche und fürstliche Empfindung im Interesse der Krone des Gemahls ihr zogen. Die Sorge für des Königs Ansehen trat namentlich in kritischen Momenten hervor, wenn auch weniger in der Gestalt einer Ermuthigung zum Handeln als in der einer weiblichen Scheu vor den Consequenzen der eignen Anschauungen und daraus hervorgehender Enthaltsamkeit von fernerer Einwirkung.

In der Prinzessin entwickelte sich während der Coblenzer Zeit noch eine Neigung, welche bei ihrer politischen Thätigkeit mitwirkte und sich bis an ihr Lebensende erhielt.

Der für den norddeutschen und namentlich für den Gedankenkreis einer kleinen Stadt in Mitten rein protestantischer Bevölkerung fremdartige Katholicismus hatte etwas Anziehendes für eine Fürstin, welche überhaupt das Fremde mehr interessirte als das Näherliegende, Alltägliche, Hausbackne. Ein katholischer Bischof erschien vornehmer als ein General-Superintendent. Ein gewisses Wohlwollen für die katholische Sache, welches ihr schon früher eigen und z.B. in der Wahl ihrer männlichen Umgebung und Dienerschaft erkennbar war, wurde durch ihren Aufenthalt in Coblenz vollends entwickelt. Sie gewöhnte sich daran, die localen Interessen des alten Krummstab-Landes und seiner Geistlichkeit als ihrer Fürsorge besonders zugewiesen anzusehen und zu vertreten. Das moderne confessionelle Selbstgefühl auf dem Grunde geschichtlicher Tradition, welches in dem Prinzen die protestantische Sympathie nicht selten mit Schärfe hervortreten ließ, war seiner Gemahlin fremd. Welchen Erfolg ihr Bemühen um Popularität im Rheinlande gehabt hatte, zeigte sich u.A. darin, daß der Graf v.d. Recke-Volmerstein mir am 9. Oktober 1863 schrieb, wohlgesinnte Leute am Rhein riethen, der König möge nicht zum Dombaufest kommen, sondern lieber I.M. schicken, »die mit Enthusiasmus würde empfangen werden«. Ein Beispiel der wirklichen Energie, mit welcher sie die Wünsche der Geistlichkeit vertrat, lieferte die[102] Modification, zu welcher der Bau der sogenannten Metzer Eisenbahn genöthigt wurde, weil die Geistlichkeit sich eines katholischen Kirchhofs, der berührt werden sollte, angenommen hatte und darin von der Kaiserin so erfolgreich unterstützt wurde, daß die Richtung geändert und schwierige Bauten ad hoc hergestellt wurden.

Unter dem 27. October 1877 schrieb mir der Staatssekretär von Bülow, die Kaiserin habe von dem Minister Falk eine Reiseunterstützung für einen ultramontanen Maler verlangen lassen, der nicht nur selbst nicht darum bitten wolle, sondern mit Gemälden zur Verherrlichung von Marpingen beschäftigt sei. Unter dem 28. Januar berichtete derselbe mir: Vor seiner Abreise hat der Kronprinz eine lebhafte Scene mit der Kaiserin gehabt. Als er nach Rückkehr sich bei dem Kaiser meldete, war sie aus ihren Zimmern heruntergekommen. Das Gespräch nahm eine Wendung, die ihr nicht gefiel, betreffend die Stellung des Königs Humbert, und stockte. Da ist sie mit den Worten aufgestanden: »Il paraît que je suis de trop ici«, und der Kaiser hat wehmütig gesagt: »Ueber diese Dinge ist mit Deiner Mutter in dieser Zeit wieder nicht zu reden.«

Zu den Nebenwirkungen, durch welche diese höfischen Kämpfe complicirt wurden, gehörte auch das Mißverhältniß, in welches die Prinzessin mit dem Oberpräsidenten von Kleist-Retzow gerieth, der das Erdgeschoß des Schlosses unter der prinzlichen Wohnung inne hatte und an sich, als äußere Erscheinung, als Redner der äußersten Rechten und durch seine ländliche Gewohnheit, häusliche Andacht mit Gesang täglich mit seinen Hausgenossen abzuhalten, der Prinzessin lästig fiel. Mehr an amtliche als an höfische Beziehungen gewöhnt, betrachtete der Oberpräsident seine Existenz im Schlosse und im Schloßgarten als eine Vertretung der königlichen Prärogative im Gegenhalt zu angeblichen Uebergriffen des prinzlichen Haushalts und glaubte ehrlich, dem Könige, seinem Herrn, etwas zu vergeben, wenn er der Gemahlin des Thronerben gegenüber in Betreff der wirthschaftlichen Nutzung häuslicher Locale die oberpräsidialen Ansprüche gegen die des prinzlichen Hofes nicht energisch vertrat.

Der Chef des Generalstabes von Sanssouci war, nachdem der General von Rauch gestorben, Leopold von Gerlach, und seine Beistände, aber nicht immer, mitunter auch seine Rivalen, waren der Cabinetsrath Niebuhr1 und Edwin von Manteuffel, während des Krimkrieges auch der Graf Münster. Zu der Camarilla waren außerdem zu rechnen der Graf Anton Stolberg (geb. 1785, gest.[103] 1854), der Graf Friedrich zu Dohna (geb. 1784, gest. 1859) und der Graf von der Gröben (geb. 1788, gest. 1876).

An dem prinzlichen Hofe hatte das stattliche Interesse in der Abwehr von Schädigungen durch weibliche Einflüsse einen festen und klugen Vertreter an Gustav von Alvensleben, der an dem Frieden zwischen beiden Höfen nach Kräften arbeitete, ohne mit den politischen Maßregeln der Regierung einverstanden zu sein. Er theilte meine Ansicht von der Nothwendigkeit, die Frage der preußisch-österreichischen Rivalität auf dem Schlachfelde zu entscheiden, weil sie in andrer Weise unlösbar sei. Er, der das vierte Corps bei Beaumont und Sedan führte, und sein Bruder Constantin, dessen selbstständig gefaßten Entschlüsse bei Vionville und Mars la Tour die französische Rheinarmee vor Metz zum Stehen brachten, waren Musterbilder von Generalen. Wenn ich ihn gelegentlich nach seiner Meinung über den Ausgang einer ersten Hauptschlacht zwischen uns und den Oesterreichern fragte, so antwortete er: »Wir laufen sie über, daß sie die Beine gen Himmel kehren.« Und seine Zuversicht hat dazu beigetragen, mir in den schwierigen Entschließungen von 1864 und 1866 den Muth zu stärken. Der Antagonismus, in welchem sein lediglich durch stattliche und patriotische Erwägungen bestimmter Einfluß auf den Prinzen mit dem der Prinzessin stand, brachte ihn zuweilen in eine Erregung, der er in Worten Luft machte, welche ich nicht wiederholen will, welche aber die ganze Entrüstung des patriotischen Soldaten über politisirende Damen in einer die Strafgesetze streifenden Sprache zum Ausdruck brachten. Daß der Prinz diesen seinen Adjutanten seiner Gemahlin gegenüber hielt, war ein Ergebnis der Eigenschaft, die er auch als König und Kaiser bewährte, daß er für treue Diener ein treuer Herr war.

1

Marcus Carsten Nicolaus von Niebuhr, geb. 1817, gest. 1860.

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 104.
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