[254] Die ersten Versuche auf der Bahn, auf welcher das Bündniß mit Oesterreich 1879 erreicht wurde, fanden Statt, während der Graf Rechberg Ministerpräsident, respective Minister des Aeußern war (17. Mai 1859 bis 27. October 1864). Da die persönlichen Beziehungen, in welchen ich zu ihm am Bundestage gestanden hatte, solchen Versuchen förderlich sein konnten und in einem Zeitpunkte förderlich gewesen sind, so schalte ich zwei Erlebnisse ein, die ich in Frankfurt mit ihm gehabt habe.
Nach einer Sitzung, in der ich Rechberg verstimmt hatte, blieb er mit mir allein im Saale und machte mir leidenschaftliche Vorwürfe über meine Unverträglichkeit: ich sei mauvais coucheur und Händelsucher, und bezog sich dabei auf Fälle, in denen ich mich gegen präsidiale Uebergriffe gewehrt hatte. Ich erwiderte ihm, ich wisse nicht, ob sein Zorn nur ein diplomatischer Schachzug oder Ernst sei, aber die Aeußerung desselben sei höchst persönlicher Art. »Wir können doch nicht,« sagte ich, »im Bockenheimer Wäldchen mit der Pistole die Diplomatie unsrer Staaten erledigen.« Darauf er mit großer Heftigkeit: »Wir wollen gleich hinausfahren; ich bin bereit, auf der Stelle.« Damit war für mich der Boden der Diplomatie verlassen, und ich antwortete ohne Heftigkeit: »Warum sollen wir fahren; hier im Garten des Bundespalais ist Platz genug, gegenüber wohnen preußische Offiziere, und österreichische sind auch in der Nähe. Die Sache kann in dieser Viertelstunde vor sich gehen, ich bitte Sie nur um Erlaubniß, in wenigen Zeilen die Entstehung des Streites zu Papier zu bringen, und erwarte von Ihnen, daß Sie diese Aufzeichnung mit mir unterschreiben werden, da ich meinem Könige gegenüber nicht als ein Raufbold erscheinen möchte, der die Diplomatie seines Herrn auf der Mensur führt.« Damit begann ich zu schreiben, mein College ging mit raschen Schritten hinter mir auf und ab, während ich schrieb. Während dessen verrauchte sein Zorn, und kam er zu einer ruhigen Betrachtung der Lage, die er herbeigeführt hatte. Ich verließ den Grafen mit der Aeußerung, daß ich Herrn von Oertzen, den mecklenburgischen Gesandten, als meinen Zeugen zu ihm schicken würde, um das Weitere zu verhandeln. Oertzen legte den Streit versöhnlich bei.[254]
Es ist auch von Interesse, zu erwähnen, wie es kam, daß ich späterhin das Vertrauen dieses zornigen, aber ehrliebenden Herrn und vielleicht, als wir Beide Minister geworden waren, seine Freundschaft erworben habe. Bei einem geschäftlichen Besuche, den ich ihm machte, verließ er das Zimmer, um seinen Anzug zu wechseln, und überreichte mir eine Depesche, welche er eben von seiner Regierung erhalten hatte, mit der Bitte, sie zu lesen. Ich überzeugte mich aus dem Inhalt derselben, daß Rechberg sich vergriffen und mir ein Schriftstück gegeben hatte, das zwar die fragliche Sache betraf, aber nur für ihn bestimmt und offenbar von einem zweiten ostensiblen begleitet gewesen war. Als er wieder eingetreten war, gab ich ihm die Depesche zurück mit der Aeußerung, er habe sich versehen und ich würde vergessen, was ich gelesen hätte; ich habe in der That vollkommenes Schweigen über sein Versehen beobachtet und in Berichten oder Gesprächen von dem Inhalt des geheimen Schriftstücks und seinem Versehen keinen auch nur indirecten Gebrauch gemacht. Seitdem behielt er Vertrauen zu mir.
Die Versuche zur Zeit des Ministeriums Rechberg würden, wenn erfolgreich, damals zu einer gesammtdeutschen Union auf der Basis des Dualismus haben führen können, zu dem Siebzigmillionenreich in Centraleuropa mit zweiköpfiger Spitze, während die Schwarzenberg'sche Politik auf etwas Aehnliches ausgegangen war, aber mit einheitlicher Spitze Oesterreichs und Hinabdrückung Preußens nach Möglichkeit auf den mittelstaatlichen Stand. Der letzte Anlauf dazu war der Fürstencongreß von 1863. Wenn die Schwarzenberg'sche Politik in der posthumen Gestalt des Fürstencongresses schließlich Erfolg gehabt hätte, so würde zunächst die Verwendung des Bundestages zur Repression auf dem Gebiete der innern Politik Deutschlands voraussichtlich in den Vordergrund getreten sein, nach Maßgabe der Verfassungsrevisionen, welche der Bund schon in Hannover, Hessen, Luxemburg, Lippe, Hamburg u.a. in Angriff genommen hatte. Auch die Preußische Verfassung konnte analog herangezogen werden, wenn der König nicht zu vornehm dazu gedacht hätte.
Unter einer dualistischen Spitze mit Gleichberechtigung Preußens und Oesterreichs, wie sie als Consequenz meiner Annäherung an Rechberg erstrebt werden konnte, würde unsre innere verfassungsmäßige Entwicklung von der Versumpfung in bundestägiger Reaction und von der einseitigen Förderung absolutistischer Zwecke in den einzelnen Staaten nicht nothwendig bedroht worden sein; die Eifersucht der beiden Großstaaten wäre der Schutz der[255] Verfassungen gewesen. Preußen, Oesterreich und die Mittelstaaten würden bei dualistischer Spitze auf Wettbewerb um die öffentliche Meinung in der Gesammtnation wie in den einzelnen Staaten angewiesen geblieben sein, und die daraus entspringenden Frictionen unser öffentliches Leben vor ähnlichen Erstarrungen bewahrt haben, wie sie auf die Zeiten der Mainzer Untersuchungscommission folgten. Die Zeit der liberalen österreichischen Preßthätigkeit im Wetteifer mit Preußen, wenn auch nur auf dem Gebiet der Phrase, ließ schon zu Anfang der fünfziger Jahre erkennen, daß der unentschiedene Kampf um die Hegemonie für die Belebung unsrer nationalen Gefühle und für die verfassungsmäßige Entwicklung nützlich war.
Aber die Herrschaft des Fürstentags von 1863 würde für eine Rivalität zwischen Preußen, Oesterreich und dem Parlamentarismus geringen Raum gelassen haben. Die Vorherrschaft Oesterreichs in der damals beabsichtigten Bundesreform würde, auf Grund der dynastischen Befürchtungen vor Preußen und vor parlamentarischen Kämpfen, vermittelst einer dauernden und systematisch begründeten Bundesmajorität gesichert gewesen sein.
Das Ansehen Deutschlands nach außen hing in beiden Gestaltungen, der dualistischen und der österreichischen, von dem Grade fester Einigkeit ab, welchen die eine und die andre der Gesammtnation gewährt haben würde. Daß Oesterreich und Preußen, sobald sie einig, eine Macht in Europa darstellen, welche leichtfertig anzugreifen keine der andern Mächte geneigt war, hat der ganze Verlauf der dänischen Verwicklungen gezeigt. So lange Preußen allein, wenn auch in Verbindung mit dem stärksten Ausdruck der öffentlichen Meinung des deutschen Volkes, einschließlich der Mittelstaaten, die Sache in der Hand hatte, kam sie nicht vorwärts und führte zu Abschlüssen, wie der Waffenstillstand von Malmö und die Olmützer Convention. Sobald es gelungen war, Oesterreich unter Rechberg für eine mit Preußen übereinstimmende Action zu gewinnen, wurde das Schwergewicht der beiden deutschen Großstaaten stark genug, um die Einmischungsgelüste, welche andre Mächte haben konnten, zurückzuhalten. England hatte im Laufe der neueren Geschichte jederzeit das Bedürfniß der Verbindung mit einer der continentalen Militärmächte gehabt und die Befriedigung desselben, je nach dem Standpunkt der englischen Interessen, bald in Wien, bald in Berlin gesucht, ohne, bei plötzlichem Uebergang wie im siebenjährigen Kriege, von einer Anlehnung an die andre, scrupulöse Bedenken gegen den Vorwurf des Imstichlassens alter[256] Freunde zu hegen. Wenn aber die beiden Höfe einig und verbündet waren, so fand die englische Politik nicht ihres Dienstes, ihnen etwa im Bunde mit einer von den ihr gefährlichen Mächten, Frankreich und Rußland, feindlich gegenüberzutreten. Sobald aber die preußisch-österreichische Freundschaft gesprengt worden wäre, würde auch damals das Eingreifen des europäischen Seniorenconvents in der dänischen Frage unter englischer Führung erfolgt sein. Es war deshalb, wenn unsre Politik nicht wiederum entgleisen sollte, von höchster Wichtigkeit, das Einverständniß mit Wien festzuhalten; in ihm lag unsre Deckung gegen englisch-europäisches Eingreifen.
Ich hatte im December 1862 gegenüber dem Grafen Karolyi, mit dem ich auf vertrautem Fuß stand, mit offenen Karten gespielt. Ich sagte ihm:
»Unsre Beziehungen müssen entweder besser oder schlechter werden, als sie sind. Ich bin bereit zu einem gemeinschaftlichen Versuche, sie besser zu machen. Mißlingt derselbe durch Ihre Weigerung, so rechnen Sie nicht darauf, daß wir uns durch bundesfreundliche Redensarten werden fesseln lassen. Sie werden mit uns als europäische Großmacht zu thun bekommen; die Paragraphen der Wiener Schlußacte haben nicht die Kraft, die Entwicklung der deutschen Geschichte zu hemmen.«
Graf Karolyi, ein ehrlicher und unabhängiger Charakter, hat ohne Zweifel genau berichtet, was wir unter vier Augen vertraulich besprochen haben. In Wien aber hatte man seit der Olmützer und Dresdener Zeit und der Präpotenz Schwarzenbergs eine irrige Ansicht gewonnen; man hatte sich gewöhnt, uns für schwächer und namentlich für furchtsamer zu halten, als wir zu sein brauchen, und das Gewicht fürstlicher Verwandtschaft und Liebe in Fragen internationaler Politik für die Dauer zu hoch in Ansatz gebracht. Die älteren militärischen Vermuthungen sprachen allerdings dafür, daß, wenn der sechsundsechsziger Krieg schon 1850 geführt worden wäre, unsre Aussichten bedenklich gewesen sein würden. Mit unsrer Schüchternheit noch in den sechsziger Jahren zu rechnen, war ein Irrthum, bei welchem der Thronwechsel außer Ansatz geblieben war.
Friedrich Wilhelm IV. hätte sich zu Mobilmachungen wohl ebenso leicht entschlossen wie 1850 und wie sein Nachfolger 1859, aber schwer zur Kriegführung. Unter ihm lag die Gefahr vor, daß ähnliche Tergiversationen wie unter Haugwitz 1805 uns in falsche Lagen gebracht haben würden; auch nach wirklichem Bruch würde man in Oesterreich über unsre Unklarheiten und Vermittlungsversuche[257] mit Entschlossenheit zur Tagesordnung übergegangen sein. Bei dem König Wilhelm war die Abneigung, mit den väterlichen Traditionen und den herkömmlichen Familienbeziehungen zu brechen, ebenso stark wie bei seinem Bruder, aber wenn er einmal unter der Leitung seines Ehrgefühls, dessen Empfindlichkeit ebenso in dem preußischen Portepee als im monarchischen Bewußtsein lag, zu Entschlüssen, die seinem Herzen schwer wurden, sich gezwungen gefühlt hatte, so war man sicher, wenn man ihm folgte, in keiner Gefahr von ihm im Stiche gelassen zu werden. Mit diesem Wechsel in dem Charakter der obersten Leitung wurde in Wien zu wenig gerechnet und zu viel mit dem Einfluß, welchen man durch die angebliche öffentliche Meinung, wie sie durch Preß-Agenten und -Subsidien erzeugt wurde, auf Berliner Entschließungen früher hatte ausüben können und durch Vermittlung fürstlicher Verwandten und Correspondenzen des königlichen Hauses auch ferner auszuüben bereit und im Stande war.
Zudem überschätzte man in Wien die abschwächende Wirkung, welche unser innerer Conflict auf unsre auswärtige Politik und militärische Leistungsfähigkeit haben konnte. Die Abneigung gegen die Lösung des gordischen Knotens der deutschen Politik durch das Schwert war in weiten Kreisen eine starke, wie 1866 mannigfache Symptome, von dem Blind'schen Attentat und dessen Beurtheilung in den fortschrittlichen Blättern1 bis zu den offenen Kundgebungen großer communaler Körperschaften und dem Ausfall der Wahlen, bezeugen. Aber in unsre Regimenter und deren Feuergefecht auf den Schlachtfeldern reichten diese Strömungen nicht hinein, und auf den Schlachtfeldern lag schließlich die Entscheidung. Auch die symptomatische Thatsache, daß in Berlin durch Vermittlung des früheren auswärtigen und damals Hausministers von Schleinitz noch während der ersten Gefechte in Böhmen diplomatische Zettlungen mit höfischer Beziehung stattfanden, blieb auf die militärische Seite der Kriegführung ohne jeden Einfluß.
Wenn das österreichische Cabinet die vertrauliche Eröffnung, welche ich dem Grafen Karolyi 1862 gemacht hatte, ohne irrthümliche Schätzung der Realitäten richtig gewürdigt und seine Politik dahin modificirt hätte, die Verständigung mit Preußen anstatt dessen Vergewaltigung durch Majoritäten und andre Einflüsse[258] zu suchen, so hätten wir wahrscheinlich eine Periode dualistischer Politik in Deutschland erlebt oder doch versucht. Es ist freilich zweifelhaft, ob eine solche ohne die klärende Wirkung der Erfahrungen von 1866 und 1870 sich in einem für das deutsche Nationalgefühl annehmbaren Sinne friedlich, unter dauernder Verhütung des innern Zwiespalts, hätte entwickeln können. Der Glaube an die militärische Ueberlegenheit Oesterreichs war in Wien und an den mittelstaatlichen Höfen zu stark für einen modus vivendi auf dem Fuße der Gleichheit mit Preußen. Der Beweis für Wien lag in den Proclamationen, welche in den Tornistern der österreichischen Soldaten neben den neuen, zum Einzuge in Berlin bestimmten Uniformen gefunden wurden und deren Inhalt die Sicherheit verrieth, mit der man auf siegreiche Occupation der preußischen Provinzen gerechnet hatte. Auch die Ablehnung der letzten durch den Bruder des Generals von Gablenz gemachten preußischen Friedensanerbietungen und deren finanzministerielle Begründung durch das Bedürfniß einer preußischen Contribution, die damals bekundete Bereitwilligkeit, nach der ersten Schlacht zu verhandeln, kennzeichnet die Sicherheit, mit welcher man auf den Sieg in letzterer zählte.
1 | In den Berliner Bilderläden hing eine Lithographie aus, in der das Attentat so dargestellt war, daß der Teufel die für mich bestimmten Kugeln auffing mit den Worten: Der gehört mir! |
Ausgewählte Ausgaben von
Gedanken und Erinnerungen
|
Buchempfehlung
Pan Tadeusz erzählt die Geschichte des Dorfes Soplicowo im 1811 zwischen Russland, Preußen und Österreich geteilten Polen. Im Streit um ein Schloß verfeinden sich zwei Adelsgeschlechter und Pan Tadeusz verliebt sich in Zosia. Das Nationalepos von Pan Tadeusz ist Pflichtlektüre in Polens Schulen und gilt nach der Bibel noch heute als meistgelesenes Buch.
266 Seiten, 14.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro