[259] Das Gesammtergebniß dieser in gleicher Richtung wirkenden Vorstellungen war denn auch das Gegentheil von einem Entgegenkommen des Wiener Cabinets für dualistische Neigungen; Oesterreich ging über die preußische Anregung von 1862 zur Tagesordnung über mit der diametral entgegengesetzten Initiative zur Berufung des Frankfurter Fürstentags, durch welche Anfangs August in Gastein der König Wilhelm und sein Cabinet überrascht wurden.
Nach den Mittheilungen von Fröbel1, der sich als den Urheber des Fürstencongresses betrachtet und ohne Zweifel in die Vorbereitungen eingeweiht war, ist, so viel er weiß, den übrigen deutschen Fürsten vor Empfang der vom 31. Juli datirten Einladung der österreichische Plan nicht bekannt gewesen. Es wäre jedoch möglich, daß man den württembergischen Minister von Varnbüler bis zu einem gewissen Grade in das Geheimniß gezogen hatte. Dieser kluge und strebsame Politiker zeigte im Sommer 1863 Neigung, mit mir die Beziehungen zu erneuern, welche früher zwischen uns durch Vermittlung unsres gemeinschaftlichen Freundes von Below-Hohendorf entstanden waren. Er veranlaßte mich zu einer[259] Zusammenkunft, die am 12. Juli in einer auf seinen Wunsch geheimnißvollen Form in einem kleinen böhmischen Dorfe westlich von Karlsbad vor sich ging und von der ich weiter keinen Eindruck behielt, als daß er mehr mich sondiren, als mir Vorschläge auf dem Gebiete der deutschen Frage machen wollte. Die wirthschaftlichen und finanziellen Fragen, in denen er mir 1878 den vollen Beistand seiner Sachkunde und Arbeitskraft geliehen hat, nahmen schon damals eine hervorragende Stelle in seiner Auffassung ein, allerdings in Anlehnung an großdeutsche Politik mit entsprechender Zolleinigung.
In Gastein saß ich am 2. August 1863 in den Schwarzenbergischen Anlagen an der tiefen Schlucht der Ache unter den Tannen. Ueber mir befand sich ein Meisennest, und ich beobachtete mit der Uhr in der Hand, wie oft in der Minute der Vogel seinen Jungen eine Raupe oder andres Ungeziefer zutrug. Während ich der nützlichen Thätigkeit dieser Thierchen zusah, bemerkte ich, daß auf der andern Seite der Schlucht, auf dem Schillerplatze, der König Wilhelm allein auf einer Bank saß. Als die Zeit herangekommen war, mich zu dem Diner bei dem Könige anzuziehen, ging ich in meine Wohnung und fand dort ein Briefchen Sr. Majestät vor, des Inhalts, daß er mich auf dem Schillerplatze erwarten wolle, um wegen der Begegnung mit dem Kaiser mit mir zu sprechen. Ich beeilte mich nach Möglichkeit, aber ehe ich das Königliche Quartier erreichte, hatte bereits eine Unterredung der beiden hohen Herren stattgefunden. Wenn ich mich weniger lange bei der Naturbetrachtung aufgehalten und den König früher gesehen hätte, so wäre der erste Eindruck, den die Eröffnungen des Kaisers auf den König gemacht haben, vielleicht ein andrer gewesen.
Er fühlte zunächst nicht die Unterschätzung, welche in dieser Ueberrumpelung lag, in dieser Einladung, man könnte sagen Ladung, à courte échéance. Der österreichische Vorschlag gefiel ihm vielleicht wegen des darin liegenden Elementes fürstlicher Solidarität in dem Kampfe gegen den parlamentarischen Liberalismus, durch den er selbst damals in Berlin bedrängt wurde. Auch die Königin Elisabeth, die wir auf der Reise von Gastein nach Baden in Wildbad trafen, drang in mich, nach Frankfurt zu gehn. Ich erwiderte: »Wenn der König sich nicht anders entschließt, so werde ich gehn und dort seine Geschäfte machen, aber nicht als Minister nach Berlin zurückkehren.« Die Königin schien über diese Aussicht beunruhigt und hörte auf, meine Auffassung beim Könige zu bekämpfen.[260]
Wenn ich meinen Widerstand gegen das Streben des Königs nach Frankfurt aufgegeben und ihn seinem Wunsche gemäß dorthin begleitet hätte, um in dem Fürstencongreß die preußischösterreichische Rivalität in eine gemeinsame Bekämpfung der Revolution und des Constitutionalismus zu verwandeln, so wäre Preußen äußerlich geblieben, was es vorher war, hätte freilich unter dem österreichischen Präsidium durch bundestägliche Beschlüsse die Möglichkeit gehabt, seine Verfassung in analoger Weise revidiren zu lassen, wie das mit der hannöverschen, der hessischen und der mecklenburgischen und in Lippe, Hamburg, Luxemburg geschehen war, damit aber den nationaldeutschen Weg geschlossen.
Es wurde mir nicht leicht, den König zum Fernbleiben von Frankfurt zu bestimmen. Ich bemühte mich darum auf der Fahrt von Wildbad nach Baden, wo wir im offenen kleinen Wagen, wegen der Leute vor uns auf dem Bock, die deutsche Frage französisch verhandelten. Ich glaubte den Herrn überzeugt zu haben, als wir in Baden anlangten. Dort aber fanden wir den König von Sachsen, der im Auftrage aller Fürsten die Einladung nach Frankfurt erneuerte. Diesem Schachzug zu wiederstehen, wurde meinem Herrn nicht leicht. Er wiederholte mehrmals die Erwägung: »25 regierende Herrn und ein König als Courier!« und er liebte und verehrte den König von Sachsen, der unter den Fürsten für diese Mission auch persönlich der Berufenste war. Erst um Mitternacht gelang es mir, die Unterschrift des Königs zu erhalten für die Absage an den König von Sachsen. Als ich den Herrn verließ, waren wir beide in Folge der nervösen Spannung der Situation krankhaft erschöpft und meine sofortige mündliche Mittheilung an den sächsischen Minister von Beust trug noch den Stempel dieser Erregung. Die Krisis war aber überwunden, und der König von Sachsen reiste ab, ohne meinen Herrn, wie ich es befürchtet hatte, nochmals aufzusuchen.
Nachdem der König auf der Rückreise von Baden-Baden nach Berlin so nahe an Frankfurt vorüber gefahren war, daß der entschlossene Wille, sich nicht zu betheiligen, zu Tage lag, wurde die Mehrheit oder wurden wenigstens die mächtigsten Fürsten von einem Unbehagen erfaßt bei dem Gedanken an den Reformentwurf, der sie, wenn Preußen fern blieb, mit Oesterreich allein in einem Verbande ließ, in dem sie nicht durch die Rivalität der beiden Großmächte gedeckt waren. Das Wiener Cabinet muß an die Möglichkeit geglaubt haben, daß die übrigen Bundesfürsten auf die dem Congreß am 17. August gemachte Vorlage auch dann eingehen[261] würden, wenn sie in dem reformirten Bundesverhältniß schließlich mit Oesterreich allein geblieben wären. Man würde sonst nicht den in Frankfurt verbliebenen Fürsten die Zumuthung gemacht haben, die österreichische Vorlage auch ohne Preußens Zustimmung anzunehmen und in die Praxis überzuführen. Die Mittelstaaten wollten aber in Frankfurt weder eine einseitig preußische noch eine einseitig österreichische Leitung, sondern für sich ein möglichst einflußreiches Schiedsamt im Sinne der Trias, welches jede der beiden Großmächte auf das Bewerben um die Stimmen der Mittelstaaten anwies. Die österreichische Zumuthung, auch ohne Preußen abzuschließen, wurde beantwortet durch den Hinweis auf die Nothwendigkeit neuer Verhandlungen mit Preußen und die Kundgebung der eignen Neigung zu solchen. Die Form der Beantwortung der österreichischen Wünsche war nicht glatt genug, um in Wien keine Empfindlichkeit zu erregen. Die Wirkung auf den Grafen Rechberg, vorbereitet durch die guten Beziehungen, in welchen unsre Frankfurter Collegenschaft abgeschlossen hatte, war, daß er sagte, der Weg nach Berlin sei für Oesterreich nicht weiter und nicht schwieriger als für die Mittelstaaten.
Die durch die Ablehnung erzeugte Verstimmung war nach meinen Eindrücken hauptsächlich der Antrieb, welcher das Wiener Cabinet zu einer Verständigung mit Preußen im Widerspruche mit der bundestägigen Auffassung leitete. Diese neue Richtung entsprach dem österreichischen Interesse, auch wenn sie länger beibehalten worden wäre. Dazu wäre vor Allem erforderlich gewesen, daß Rechberg am Ruder bliebe. Wäre damit eine dualistische Führung des Deutschen Bundes hergestellt worden, welcher sich die übrigen Staaten nicht versagt haben würden, sobald sie die Ueberzeugung gewonnen hätten, daß die Verständigung der beiden Vormächte ehrlich und dauerhaft war, so würden auch die Rheinbundgelüste einzelner süddeutschen Minister, die am schärfsten, was auch Graf Beust in seinen Denkwürdigkeiten sagen mag, in Darmstadt zum Ausdruck kamen, dem österreichisch-preußischen Einverständniß gegenüber verstummt sein.
1 | Julius Fröbel, Ein Lebenslauf. Stuttgart 1891. Theil II S. 252. 255. |
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