Belagerung

Fig. 26. Typisches Belagerungsbild aus Stumpfs Eidgenössischer Chronik 1548.
Fig. 26. Typisches Belagerungsbild aus Stumpfs Eidgenössischer Chronik 1548.

[57] Belagerung. Nicht minder als in der Kunst der Befestigung ist das Mittelalter in der Belagerungkunst von den Überlieferungen der Römer abhängig. Alle während des merovingischen und karolingischen Zeitalters unternommenenen Belagerungen arbeiten mit den Mitteln der antiken Kriegskunst, und zwar, wie es scheint, mit abnehmenden Verständnis derselben. Neuer Aufschwung kommt in die Belagerung erst während der Kreuzzüge und zwar vorzugsweise durch die Teilnahme italienischer Meister. Bis dahin hatte die fehdeartige Kriegsführung, sowie der Mangel technischer Kenntnisse den Angreifer entweder lediglich auf den gewaltsamen Sturm oder auf die blosse Blockade hingewiesen; das Verständnis für Belagerungsmaschinen war in dem Masse verloren gegangen, dass man lieber zur Verstärkung der Blockade Gegenburgen, sogar aus Stein, errichtete. Erst bei der Belagerung von Nicäa im J. 1097 hört man wieder von Maschinen. Der Gang einer regelrechten vollständigen Belagerung, (mhd. gelige, besezze), ist jetzt und im weitern Verlaufe des Mittelalters folgender: Zuerst versucht man womöglich den Platz durch Überrumpelung zu gewinnen, sei es durch Einschlagen der Thore, durch Herabreissen der Zugbrücken mit schweren Langhacken oder durch Leiterersteigung, welch letztere das ganze Mittelalter hindurch eine ausserordentlich hohe Bedeutung hatte. Siehe Figur 26 aus Stumpfs Eidgenössischer Chronik. Gelang weder das eine noch das andere, so ging man daran, die Gräben auszufüllen mit Erde, Stroh, Gebäuderesten und dergleichen, zu welchem Ende man, um von den Verteidigern ungestört zu sein, die Katze konstruierte, ein auf Rädern zu bewegendes hölzernes Blockhaus. War der Graben ausgefüllt, so wiederholte man den Versuch der Überrumpelung oder man rückte mit den Maschinen vor, wobei es auszuwählen galt zwischen direktem Zerstören des Zingels mittelst Mauerbrechern, oder Unterminieren, und regelmässigem Angriff mit hölzernen Türmen und Wurfmaschinen.

Die technischen Hilfsmittel, deren man sich bei Belagerungen bediente, hiessen antwerc, machinae, ingenia.

Die Baukunst der Kriegsmaschinen entwickelte sich besonders in Italien und kam von da namentlich durch die Kreuzzüge ins übrige Europa. Sämtliches Antwerk zerfällt in 3 Arten: Machinae oppugnatoriae, machinae jaculatoriae und machinae tectoriae.

Zu den machinae oppugnatoriae oder Stosszeug zum Mauerbrechen gehören der seit Urzeiten stets im Gebrauch gebliebene Widder oder Sturmbock, der Tarant, d.h. der Mauerbohrer, der Fuchs und der Krebs.

Die machinae jaculatoriae oder das Schuss- und Wurf-Zeug zerfällt in

a) Geschütze für rasanten Schuss: Die Stand-Armbrust, auch Bück-, Turm-, Wagarmbrust oder der Spannwagen genannt, um Bolzen oder Steinkugeln zu schiessen, und die Rutten, ahd. ruoda, Stange, säulenartige Gestelle mit kolossaler stählerner Schnepperfeder, welche den auf der Säule liegenden Pfeil hinwegschnellte; sie heissen auch Katapulte[58] und dienen besonders für Abschiessen von Brandpfeilen.

b) Geschütze zum Bogenwurfe: Die Bleide, mhd. blîde, der Tribock, mhd. drîboc, der Schleuderkasten, die Mange und die Marga, Maschinen, deren besondere Eigentümlichkeiten zum Teil schwer oder kaum zu bestimmen sind.

Die vorzüglichste Munition der Gewerfe waren Steine, wo möglich in runder Gestalt, oft von kolossaler Grösse; statt der Steine nahm man auch Stangen, mit Nägeln beschlagene Balken, mit Brennstoffen angefüllte Fässer, Leichname von Vieh, um Seuchen zu erzeugen, ferner mit Brandzünder versehene Wurfsteine oder glühende Eisenstücke.

Das Wurfzeug hatte nicht die Bestimmung, Bresche zu schiessen, sondern Dächer und Gewölbe zu zertrümmern, Brand zu stiften u. dgl. Seine Anwendung reicht bis ins 15. Jahrhundert.

Weit enger und unmittelbarer als das mittelalterliche Wurfzeug, schliessen sich die Machinae tectoriae an die antike Tradition an. Es zerfallen aber diese Annäherungs- und Deckungsmittel in drei Arten, fahrbahre Holzbrustwehren, bedeckte Stände oder Hallen und Rolltürme. Die bedeckten Stände, welche bei den Römern musculi, Mäuschen hiessen, nannte das Mittelalter Katzen, die Belagerungstürme heissen auch Bergfriede, mhd. bercvrit, oder Ebenhöhe, da sie mindestens gleiche Höhe mit der zu erstürmenden Mauer haben mussten. Am häufigsten kommen Türme von drei Geschossen vor, deren oberstes eine Fallbrücke hatte, während das unterste gelegentlich einen Widder aufnahm. Unter Umständen machte man den Versuch, einen Turm auf Kähnen zu erbauen.

Häufig war der Angriff durch die Talparii, Minierer, sei es um die Mauer durch Untergrabung zum Einsturz zu bringen, sei es um unterirdisch in den festen Platz zu kommen.

Oft waren die genannten Angriffsmittel ungenügend zur Eroberung von festen Plätzen, und ihre Übergabe nur durch Aushungern unter Anwendung der Blokade zu erlangen. In diesem Falle pflegte sich der Angreifer stets durch Laufgräben gegen Überfälle zu sichern. Mehrere Lager, deren jedes mit einer Enceinte umgeben war, hiessen Bastide oder Bastille.

Was nun die Massregeln der Verteidigung betrifft, so waren die Besatzungen in erster Linie besorgt, sich gegen Überrumpelung sicher zu stellen. Zu dem Ende schloss man gern einen möglichst ausgedehnten Umkreis durch eine leichte Verpfählung oder eine Hecke ab, die Letze. Unter Umständen legte man beim Anrücken des Feindes im Sinne offensiver Defensive noch im letzten Augenblicke ein Aussenwerk, mhd. hâmît, an, das in einer Verpfählung bestand. Die Absicht Widerstand leisten zu wollen, kündete der Belagerte durch Aufziehung von Fahnen über Thoren und Türmen und durch Aufstellung von Wappenschildern zwischen den Zinnen an. Auf die Mauer wurden Schilde, Schirme, Mäntel oder hölzerne Brustwehre, Blöcke, Balken, Steine, Öl, Wasser, ungelöschter Kalk u. dgl., überhaupt diejenigen Materialien gebracht, deren man zunächst gegen den gewaltsamen Angriff bedurfte. Bei förmlichem Angriffe bediente sich die Verteidigung derselben Wurfmaschinen wie die Angreifer, besonders aber der Ausfälle; gegen den Minenangriff war die Anwendung von Contreminen allgemein. Der letzte Rückzug einer Besatzung konnte aus der Stadt in die Burg, aus einer Burg in den grossen Turm geschehen. Unterirdische Gänge führten von da manchmal ins Freie.

Langsam gewann die Anwendung der Feuerwaffen im Belagerungskriege Raum. Zunächst verwendete man die Büchsen an Stelle des Wurfzeuges,[59] um Steine oder Feuerwerkskörper zu schleudern; Breche zu legen vermittelst der neuen Büchsen gelang erst später. Man warf daher die schweren Projectile unter einem grossen Winkel über die Mauer, den Kernschuss verwendete man nur gegen die Thore. Die Aufstellung der Belagerer ging noch in sehr geringer Entfernung von den Mauern vor sich, wobei die Sicherung der Geschütze durch die alten Schutzdächer geschah. Die Angriffsbatterien wurden aus Stücken groben und kleinen Kalibers gebildet, wobei die letzteren dazu dienten, den Feind während der Zeit zu beschäftigen, während welcher man die erstem zum Laden zurückbrachte. Im allgemeinen war bis in den Anfang des 15. Jahrh. die Verteidigung dem Angriffe noch überlegen, zumal da die Städte bereits mit einer namhaften Zahl von Feuergeschützen versehen waren, während die Belagerer gewöhnlich nur über die alten Maschinen geboten.

Von bedeutender Wirkung auf die Fortschritte im Belagerungswesen war die in Frankreich seit der Mitte des 15. Jahrh. aufkommende Anwendung der gegossenen Kugeln anstatt der steinernen, wodurch das Brechelegen sehr abgekürzt wurde, und die rationelle Anwendung von Laufgräben als Annäherungsmittel. Seitdem treten die Holzdeckungen zurück und die Holzblendungen der Geschütze werden durch Tonnen ersetzt, die mit Erde gefüllt sind, bald darauf findet man auch die Schanzkörbe in allgemeinem Gebrauch.

Die während des 16. Jahrh. stattfindende Reform des Fortifikationswesens hatte auch ein modernes System des Angriffes und der Verteidigung im Gefolge. Nach Jähns, Gesch. d. Kriegswesens.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 57-60.
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