[70] Biblia pauperum, heisst ein seit dem 13. Jahrh. in Handzeichnungen, Holzschnitten und bald nach der Erfindung der Buchdruckerkunst durch bewegliche Lettern hergestelltes und weitverbreitetes Werk zur Unterweisuug des Volkes in den christlichen Heilswahrheiten, wobei unter den pauperes die Armen und Unwissenden und nicht arme Mönche, Bettelmönche zu verstehen sind. Übrigens findet sich dieser jetzt allgemein angenommene Titel blos auf einem handschriftlichen Exemplar zu Wolfenbüttel, alle andern handschriftlichen und gedruckten Ausgaben entbehren jeder derartigen Bezeichnung. Vielmehr deuten die ältern sorgfältig gezeichneten Pergamenthandschriften darauf hin, dass das Buch eher als Maler-Buch zu betrachten sei, zu einer Zeit veranstaltet, als mit dem Übergang des Romanischen ins Gotische auch die Kunstübung aus den Händen der Geistlichen, die sie bis dahin ausschliesslich gepflegt hatten, in die der Laien überging. Das Werk besteht nämlich aus einer Reihe (34 bis 50) von typischen Bildern aus der heiligen Schrift, so zwar, dass stets eine neutestamentliche Darstellung von zwei vorbildlichen Darstellungen aus dem alten Testament und von vier Brustbildern von Patriarchen und Propheten begleitet ist. Die Bedeutung der Bilder ist überall durch gereimte Hexameter hervorgehoben, welche manchmal durch kurze Erklärungen in deutscher Sprache unterstützt werden. In ihrer Gruppirung scheinen sie bestimmt, in Stein und namentlich in Glasmalerei übertragen zu werden. Überaus zahlreich sind die der Biblia pauperum entlehnten Werke der bildenden Kunst. Die beigegebene Fig. 27 stellt aus der Konstanzer Handschrift (herausg. von Laib u. Schwarz, Zürich 1867) die Auferstehung Christi dar: Quem saxus texit ingens tumulum Jesus exit. Dazu Simson, wie er die Thore von Gaza davonträgt, und Jona, wie er vom Fisch wieder ausgeworfen wird. »Sampson bedutet Christum, der do irstund zu mitternacht und die tor des grabes abe warf und vry doruz ginc.« »Jonas bedutet Christum, der ubir dry tage und dri nacht erstunt uz dem grabe.«