[183] Faustrecht und Fehderecht. Ein Fehderecht kennt schon das altgermanische Recht; es geht aus dem Begriff des Friedens hervor, den die einzelnen Kreise selber zu schützen hatten; wer jemanden böswillig verletzte, der brach mit dem Verletzten und dessen Familie und Genossen den Frieden, setzte sich von selbst mit ihm in Kriegsstand, und der Verletzte hatte das Recht, mit seiner Familie und seinen Genossen wider den Friedensbrecher Fehde zu erheben, ihr alle ihm nur mögliche Ausdehnung zu geben und im Blute des Friedbrechers Genugthuung für den erlittenen Hohn zu suchen. Das Wort Fehde ist mhd. die vêhede, ahd. fêhida, angels. faedhu, faedhe, mit dem ahd. Verb fêhan = feindselig, gram sein, hassen, angreifen und verfolgen, und dem ahd. fêh, mhd. vêch = feindselig, und dem langobardischen Substantiv die faida, stammt es wahrscheinlich von dem got. faijan = anfeinden, das wieder mit got. figan = hassen, dem Wurzelverb von Feind, verwandt ist. Damit sich aber der Starke gegen den Schwachen nicht alles erlaube, bestand zugleich das Recht auf ein Sühngeld, compositio. Der Verletzte konnte sich an das Volksgericht wenden und das Volk sorgte für die Stellung des Friedbrechers vor Gericht und zwang ihn zur Genugthuung und dadurch zur Wiederherstellung des Friedens. Zur Fehde berechtigte aber bloss diejenige Rechtsverletzung, durch welche der Friede wirklich gebrochen war, bei Civilansprüchen und bei nicht vorsätzlich zugefügten Verletzungen war die Fehde unzulässig; im ersten Falle musste der Richter angegangen werden, im zweiten Falle trat bloss Komposition ein. Auch war die Ausübung des Fehderechtes dadurch beschränkt, dass gegen den Verbrecher in seinem Hause und in seiner Wehre, in der Kirche oder an der Gerichtsstelle, oder auf dem Wege dahin und zurück, oder beim Könige und auf dem Wege zu und von ihm nichts unternommen werden durfte. Seit der Karolingerzeit wurde aber das Fehderecht als einem geordneten Rechtszustand zuwider sehr eingeschränkt. Der König konnte einem einzelnen Befehdeten den Königsfrieden erteilen, wodurch jede Fehde gegen ihn gehemmt wurde; bei schwereren Verbrechen, namentlich bei Mord,[183] Brand, Raub, Notzucht, Diebstahl trat der Staat durch eine öffentliche Strafe für den Verletzten ein, da dadurch doch mittelbar der gemeine Friede des Staates gestört war.
Im späteren Mittelalter, seitdem vom elften Jahrhundert an die Wirksamkeit der Gerichte so oft gelähmt wurde, änderte sich die Bedeutung des Fehderechtes dahin, dass dieses zwar gestattet wurde und zwar sowohl gegen schwere Verbrecher als gegen geringe Verletzungen, ja auch wegen des unbedeutendsten Civilanspruches, aber nur gegen den, gegen welchen die Gerichte Macht zu verschaffen nicht imstande waren; die Fehde war bloss noch eine erlaubte Selbsthilfe in allen Fällen, in welchen dem aus irgend einem Grunde Berechtigten der Staat zu seinem Rechte nicht verhelfen konnte. Die Ausübung dieses in den Landfrieden (siehe diesen Art.) gestatteten Fehderechtes war aber an gewisse Formen gebunden. Wer sich in die Lage versetzt sah, Fehde zu erheben, musste seinem Gegner die Fehde vorher offen und förmlich drei Tage vor ihrem Beginnen ansagen. Die Fehde musste angekündigt werden durch einen Brief, den ein Bote in die Wohnung des zu Befehdenden bei Tage zu bringen hatte. Gewisse Personen und Sachen mussten gesetzlich bei Ausübung der Fehde geschont werden: Geistliche, Kindbetterinnen, schwer Kranke, Pilger, Kaufleute, Fuhrleute mit ihrer Habe und Kaufmannschaft, Ackermann und Weingärtner während der Feldgeschäfte, Kirchen und Kirchhöfe. Durch den Klerus wurde zur Beschränkung des Fehderechtes der Gottesfriede eingeführt, Pax oder Trenga Dei. An gewissen Tagen des Jahres und ausserdem in jeder Woche von Mittwoch Abend bis Montag früh sollte jede Fehde ruhen. Der Gottesfriede wurde jedesmal eingeläutet. Wer ihn verletzte, kam in den Kirchenbann, wer sich daraus nicht löste, in die Reichsacht. Dagegen schützte, wie es im alten Rechte gewesen war, Hausrecht und Hausfriede nicht mehr in der mittelalterlichen Fehde. Wer Fehde erhob, ohne richterliche Hilfe versucht zu haben, wer sie nicht ankündigte und sonst sich gegen das Fehderecht verfehlte, war Landfriedenverbrecher und büsste gewöhnlich mit dem Strang.
Das missbräuchlich ausgeübte Fehderecht heisst nun Faustrecht, ein Wort, das zuerst im 16. Jahrh. erscheint. Die Missbräuche lagen bei dem ganzen Institute nahe, und die Verhältnisse der Zeit begünstigten sie. Besonders den Adel trifft der Vorwurf solcher Missbräuche; die Städte waren in der Regel froh, wenn sie nicht befehdet wurden und nicht zur Fehde zu greifen sich gezwungen sahen. Dem Adel dagegen war die Fehde Lust und Erwerb; denn der Raub war, am Gegner und seinen Angehörigen begangen, gestattet. Sich auf Räuberei legen, vom Sattel oder vom Stegreif leben, war der Ausdruck für dieses Handwerk. Noch gegen Ende des 15. Jahrh. sagte ein römischer Kardinal von Deutschland: Germania tota unum latrocinium est, et ille inter nobiles gloriosior, qui rapacior: Ganz Deutschland ist ein einziges Räubernest und unter den Edelleuten der am ruhmwürdigsten, der am meisten raubt. Wegen der kleinsten Bagatellsachen wurde oft Fehde angekündigt; ein Herr von Praunheim schickte z.B. der Stadt Frankfurt einen Fehdebrief, weil eine Frankfurterin auf einem Balle seinem Vetter einen Tanz versagt und mit einem anderen getanzt hatte und die Stadt ihm nicht dafür Genugthuung geben wollte. Oft, wenn ein Ritter jemandem Fehde erklärte, schickte aller Tross, der zu ihm gehörte, auch Fehdebriefe. Nach Wächter, Beiträge zur deutschen Geschichte.[184]