Adel

[6] Adel, altd. das adal, mhd. das, selten der adel, verwandt mit ahd. uodal = Vaterland, Erbgut. Es sind zu unterscheiden:

1) der urgermanische Adel, zwar von manchen Forschern bestritten, doch heute meist als historisch angenommen, schon von Tacitus in der Germania 25 erwähnt (super ingenuos et nobiles). Eine mythische Abstammung und Erklärung des Adels, wie sie das Rigsmal der alten Edda enthält, lässt sich auf deutschem Boden nicht nachweisen; seine Bedeutung ist eine historische; er wurzelt in der Vergangenheit, vielleicht in einer ferneren Vergangenheit des Volkes. Er besteht aus einzelnen Geschlechtern, die das Volk höher ehrt als die übrigen Genossen, deren Ursprung aber im Dunkeln liegt, wie der Ursprung des Volks und seiner Gliederung, des Staats und seiner Ordnung selbst. Die Adligen oder Edelfreien unterhielten grosse Gefolgschaften; ihre Stimme hatte besonderes Gewicht in der Gauversammlung. Sie besassen das Führeramt, vorzugsweise auch das Priestertum; in ihren stattlicher gebauten Hallen sammelten sich die Freien zu glänzenden Gastmahlen und Festlichkeiten. Das Wehrgeld des Adligen, schon ahd. adaling, edeling, ist höher als das der Freien. Aus dem Adel werden die Könige gewählt. Regelmässig waren die Adligen besser bewaffnet und von Dienern umgeben; bei den Stämmen, die zu Fuss kämpften, erschienen sie bisweilen zu Pferd. Ausgezeichneter Adel gereichte schon den Jünglingen zum Vorteil, junge Adlige liebten den Krieg, sie suchten ihn auf in der Ferne, wenn daheim Friede herrschte. Adlige, besonders Jungfrauen, wurden gern zu Geiseln genommen, die Vermählung mit dem Adligen wurde besonders gesucht, und er nahm wohl eben deshalb mehr als eine Frau. Übrigens war die Stellung und Zahl des Adels bei den verschiedenen Stämmen sehr verschieden. Die salischen Franken hatten keinen Adel ausser der königlichen Familie, bei den Baiern waren nur fünf adlige Geschlechter, die Sachsen und Goten hatten einen sehr zahlreichen Adel.

2) Übergang ins Mittelalter, Anfänge [6] des Dienstadels. Mit der Neubildung der fränkischen Monarchie verliert der alte Geburtsadel seine Bedeutung; wo er sich, wie bei den Baiern und Sachsen, in einigen Geschlechtern erhält und von den fränkischen Königen anerkannt wird, vermischt er sich mit dem sich jetzt neu bildenden Stande, der kein Geburtsstand ist, sondern ein Dienstadel, ein Stand der Bevorzugten und Vornehmen. Er bildet eine von den Freien aufwärts bis zum Throne des Königs aufsteigende Aristokratie, durch Amt, persönlichen Dienst oder Empfang königlicher Güter ausgezeichnet. Diese Neubildungen beginnen auf fremdem, erobertem Boden, in Gallien, und sind von dort aus auf alten deutschen Boden verpflanzt worden. Die Treue und Anhänglichkeit an den König ist eine besondere Pflicht dieser Bevorzugten. Im einzelnen lassen sich unterscheiden: Übertragung von kirchlichem Grundbesitz als Schenkung, als Wohlthat, beneficium, auf Bitten, zum Niessbrauch, Schenkungen des Königs als Wohlthat, in der Voraussetzung, dass der Beschenkte dem Könige treu und ergeben sei, Ergebung in den besondern Schutz des Königs, Aufnahme ins Gefolge des Königs, Übernahme eines Amtes, z.B. des Majordomus, des Herzogs und des Grafen. Der Name Adel erscheint in dieser Periode sehr selten; man findet entweder Namen besonderer Dienstklassen, wie vassi, antrustiones, von trustis verbundene Schar, leudes, fideles, homines, oder Namen allgemeinerer Natur, wie viri magnifici, venerabiles, illustres viri, majores, majores natu, honorati, priores, primores, primarii, primi, primates, potentes, magni, principes, proceres, optimates.

3) Die Zeit der Karolinger. Noch immer ist in dieser Periode die Aristokratie kein abgeschlossener Stand, wechselt in ihren Mitgliedern, ist im einzelnen von Abstammung und Ansehn des Geschlechts abhängig, ohne dass damit ein bestimmter rechtlicher Vorzug verbunden wäre. Besonderen Einfluss indessen auf die allmähliche Neubildung des mittelalterlichen Adels gewinnen die Institute des Benefizialwesens, der Vasallität und der Immunität.

a) Benefizialwesen. Beneficium, eigentlich Wohlthat, ist der Empfang von Land zu Niessbrauch. Es wird verliehen entweder von einer geistlichen Stiftung, ursprünglich einem gewöhnlichen Landbauern, später und immer häufiger einem angesehenen Manne, der es entweder mit den Knechten, welche bisher darauf wohnten, empfing oder selbst solche hinsetzte und nun seinerseits die Leistungen entgegennahm, zu denen diese gehalten waren. Der regelmässige Zins ist seit Karl d. Gr. ein doppelter Zehnte, neben welchem noch andere Leistungen vorkommen, Unterhaltung kirchlicher Gebäude, Dienste, Geschenke, Kriegspflicht; die Person des Empfängers kann hohem oder niederem, geistlichem oder weltlichem Stande angehören. Oder von weltlichen Grundbesitzern; in diesem Falle fehlten gesetzliche Vorschriften, und alles war gegenseitiger Vereinbarung oder der sich bildenden Gewohnheit überlassen. Oder vom König, in welchem Falle auf dem königlichen beneficium kein Zins zu lasten pflegte. Häufig kommt Verwandlung des B. in Eigentum vor, manchmal ausdrücklich nur auf Lebenszeit, oder gegen die Bedingung ausdauernder Treue und Ergebenheit. Kein B. durfte verkauft, verschenkt oder sonst veräussert, dagegen konnte es an andere in gleicher Weise übertragen werden. Auch andere Gegenstände konnten als B. geliehen werden, namentlich Kirchen und Klöster, an Geistliche wie an Weltliche, bei welch letztern es allein auf den Genuss der Einkünfte ankam, sodann Forstrechte, Fischereien, Zölle, während Verleihung von[7] Gerichtsbarkeit als B. in dieser Periode meist nicht vorkommt. Auch Ämter, namentlich Grafschaften wurden als Beneficia behandelt. Das B. hat für den Verleiher wie für den Beliehenen einen persönlichen Charakter und gilt deshalb nur für die Lebenszeit beider; doch war Neuverleihung Regel, besonders dann, wo der Beliehene sich mit dem von ihm geschenkten Eigentum belehnen Hess (precarie).

b) Vasallität. Die Kommendation oder der Eintritt in die Vasallität, d.i. in den Schutz, mundium, eines andern, erfolgte durch einen symbolischen Akt in der Weise, dass einer seine Hände zusammengefaltet in die des Schutzherrn legte, welcher Handlung das Treuversprechen folgte. Der Kommendierte heisst vassus oder vasallus, wahrscheinlich aus dem Keltischen, auch gasindus, homo. Mit seltenen Ausnahmen sind es regelmässig Freie, die in die Vasallität treten; die Verhältnisse sind nach dem Stande des Herrn sehr verschieden. Vasallen können wieder Vasallen haben; es giebt königliche, herzogliche, gräfliche, bischöfliche, äbtische. Wer ein Beneficium empfangen hat, muss sich in die Vasallität begeben, abgesehen von niedern bäuerlichen Verhältnissen und Precarien. Ein und derselbe Mann kann mehrern Herren als Vasall verpflichtet sein. Der Tod löst die Vasallität unter allen Umständen, sowohl beim Herrn als bei dem Vasall; Nachfolger und Söhne müssen sie von neuem geben und eingehen. Der Herr hat dem Vasallen Schutz zu leisten, vertritt ihn vor Gericht, hat eine gewisse Gerichtsbarkeit über ihn; die Vasallität ist ein servitium, ein Dienst. Die eigentliche Verpflichtung war Treue, der Dienst ein verschiedener, entweder um die Person des Herrn, oder nur für gewisse Geschäfte, wobei der Vasall auf seinem Hofe wohnen konnte. Als Mittel, die mächtigen territorialen Gewalten in eine sichere Abhängigkeit vom fränkischen Königtum zu setzen, schlug man auch den Weg ein, die Inhaber derselben, die Herzöge, zur vasallitischen Huldigung anzuhalten, ebenso die höhern Beamten, Äbte, Bischöfe.

c) Immunität. Sie ist ursprünglich eine Freiheit von Abgaben und Leistungen, wurde aber mit der Zeit zu einem Inbegriff von Hoheitsrechten für die Besitzer, geistliche Stifter oder hohe Weltliche. Sie steht zuerst nach altem Herkommen den königlichen Gütern zu, deshalb auch denjenigen Klöstern, die vollständig in den Besitz des Königs übergingen, und einzelnen Personen. Die Freiheit von den Leistungen an den Staat führte zu einem Ausschluss der öffentlichen Beamten, zu einer Übertragung ihrer Rechte an die Inhaber der Immunität. Sie bezieht sich auf Land und Leute, auf die Besitzungen und auf die ansässigen Menschen, also auch auf die Benefizien; später wird sie auch auf Zölle und innen verwandte Abgaben ausgedehnt. Dagegen ist der Heerdienst und Wachdienst ausgenommen. Dadurch dass die mit der I. behafteten königlichen Güter und kirchlichen Stiftungen auch eigene Gerichtsbarkeit erhalten, bekommen sie den Charakter besonderer, von dem übrigen Körper des Reichs abgetrennter Gebiete oder Herrschaften.

4) Vom Aussterben der Karolinger bis zur Ausbildung der Lehensverfassung. Einen abgeschlossenen Stand des Adels hatte die Karolingerzeit noch nicht gekannt; auch die im engeren Sinn Mittelalter genannte Periode kennt einen solchen Stand im rechtlichen Sinne nicht. Dagegen bildet es den Ritterstand aus und in und mit ihm denjenigen Stand, der durch seine gesellschaftlichen Verhältnisse, seine Bildung und Kunst der Träger eines geschlossenen Kulturlebens wird. Dieses wird besonders durch die Ausbildung[8] der Ministerialen bedingt. Ursprünglich ist Ministerial, Dienstmann, mhd. dienestman, plur. dienestman und dienestliute, ein einfacher Diener im eigentlichen Sinne des Wortes, ohne Rücksicht auf die Art des Dienstes, im Hause um den Herrn oder auf dem Einzelhofe, ob niedrig oder höher und deshalb ehrenvoll. Besonderes Ansehen genoss der Hofdienst, bei grössern Landbesitzern der Rossdienst, die Teilnahme am Kriegsdienst, die jeden, der ihn leistete, über die alten Genossen zu höherer Ehre und zu besserem Rechte erhob. Solche Leute heissen servi, Knechte, servitores, famuli, ministri, ministeriales, die Kriegsdienst Leistenden milites. Mit der Zeit kam die Bildung dieser Leute zu einer bestimmten Anerkennung, zu einem Abschluss. Es gab ein Recht, einen Stand der Ministerialen. Das frühere persönliche Verhältnis wurde ein dauerndes, erbliches: neben dem Prinzip der Dienstbarkeit wirkte das Prinzip persönlicher Freiheit. Zwar sind die M. zu Dienst verpflichtet, haben einen Herrn, heissen seine Diener, aber der Dienst selbst heisst ein freier; die Bedeutung der Unterordnung und Abhängigkeit tritt zurück, wenn der Herr nicht als Person, König, Bischof, Graf, gedacht wird, sondern als eine Macht, eine Kirche, Bistum, Abtei, das Reich, eine Grafschaft. In vielen Fällen sind die M. an bestimmte Güter verknüpft, stehen deshalb im Gegensatz zu den Freien, den Vasallen, die im engeren Sinne nobiles heissen. In Bezug auf ihren Anteil am Kriegsdienst dagegen werden sie jenen gleichgestellt und heissen dann auch nobiles. Von den Landbauern, auch wenn diese frei waren, unterschied sie die ritterliche Rüstung und Tracht. Hinwiederum hat der Herr über sie ein Verfügungsrecht, verschenkt und vertauscht sie, d.h. er überträgt die Rechte, die er über sie hat. Es hat sich für sie eine besondere Gerichtsbarkeit ausgebildet. Eine besondere Art des Dienstes ist der Hofdienst, beim König und bei den Grossen, die Hauptdienste sind Kämmerer, Truchsess, Schenk und Marschall, daneben Jägermeister, Küchenmeister und Bannerträger. Die Entschädigung für den Dienst ist anfänglich Unterhalt; besonders wichtig aber wird, dass allmählich an seine Stelle Land als Beneficium tritt. Mit bestehenden Ämtern und Diensten wurden bestimmte Benefizien verbunden. Von den Besitzungen, zu denen die Ministerialen gehören, oder von den Gütern, die sie haben, empfangen sie später den Namen, der mit der Zeit Familienname wird. Da zu Anfang die Beziehung auf den Herrenhof überwog, waren solche Namen auch verschiedenen Familien gemeinschaftlich. Auch Eigengut kann der Ministerial haben, ebenso Knechte und abhängige Leute, die ihn als Knappen in den Krieg begleiten. Durch Kriegsdienst überhaupt sind sie zu Ansehen, Reichtum und Macht gekommen, sie bildeten einen Teil des Ritterstandes, der in dieser Zeit emporkam. Die durch gleiches Recht und gleichen Dienst verbundenen M. bilden eine Genossenschaft, sie bilden die Besatzung von Burgen, oft mit dazu verwendeten Benefizien versehen; eine Anzahl M. pflegten Bischöfe und Äbte am Sitze des Stiftes zur Abwehr und zu sonstigen Hilfsleistungen bereit zu halten.

In den Ritterstand treten nun auch ein freie Leute, namentlich freie Grundbesitzer, die sich zahlreich erhalten haben; besonders sie heissen nobiles; man spricht von freiem Adel und vom Adel der Freiheit. Sie stehen im allgemeinen im Gegensatz zu dem gemeinen Volk der Bauern. Es giebt aber hier sehr verschiedene Stufen. Voran steht die freie Geburt von freien Eltern, von einem freien, alten, vornehmen Geschlecht; Familiennamen solcher[9] Geschlechter sind im 11. Jahrh. aufgekommen, zunächst in den höhern Lebenskreisen, wo sie sich auf Güter und Schlösser bezogen, die der Familie angehörten; doch wechselten sie noch in den folgenden Generationen oder bei Brüdern.

Wichtig für den Stand der Freien war die Art des Kriegsdienstes und die damit verbundene und zusammenhängende Lebensart. Leistung des schwergerüsteten Rossdienstes erschien als ausgezeichnet und war besonderer Ehre teilhaftig, so sehr, dass allmählich die Verschiedenheit des Geburtsrechtes in den Hintergrund gedrängt wurde. Der Begriff des Ritters macht sich ohne Rücksicht auf andere Verhältnisse geltend, zuerst in Lothringen. Charakteristisch für alle, die zu diesem Stande gerechnet wurden, ist die Schwertleite (siehe diese), die Umgürtung mit dem Schwert. Anfänglich Recht der Freien überhaupt, ist die Bekleidung mit den Waffen oder die Wehrhaftmachung jetzt in dieser Form für diejenigen üblich geworden, welche den Rossdienst leisteten und zwar für Alle vom König bis zum Ministerialen herab.

Soweit kam die Bedeutung des Ritterstandes, dass Adel zuletzt Ritterstand war, auch der Ministerial war als Ritter adlig; der freie Grundbesitzer, der den Rossdienst nicht übte, war ebendeshalb nicht adlig.

Den höchsten Grad der Auszeichnung gab Freiheit mit ritterlichem Leben verbunden. Der freie Ritter heisst freier Herr, auch wohl bloss Herr, baro, frî. Durch Amt und Würde steht über dem Freien der princeps, der Fürst, seit Heinrich IV. die vorherrschende Bezeichnung, ohne dass damit vorläufig eine bestimmt umgrenzte Stellung ausgedrückt wäre. Zu den geistlichen Fürsten gehören Erzbischöfe, Bischöfe, Äbte er unmittelbar unter dem König stehenden Klöster; weltliche Fürsten sind Herzöge, Grafen, Pfalz- und Markgrafen. Sie bilden zusammen eine Art Amtsadel gegenüber dem Ritteradel.

5) Übergang in die neue Zeit. Die doppelte Klassifikation der Personen nach dem Prinzip der Freiheit und demjenigen des Kriegsdienstes erhielt sich bis in das 15. Jahrhundert. Daneben erhob sich unvermerkt eine neue Unterscheidung nach den thatsächlichen Verhältnissen und Beschäftigungen, aus welcher die Unterscheidung in den hohen Reichsadel und den niederen Adel hervorging. Jener bestand aus Fürsten, Grafen, freien Herren oder Baronen, von welch letztern die meisten seit dem 15. Jahrhundert den Grafentitel annahmen. Eine wichtige Veränderung entstand aber dadurch, dass die Kaiser anfingen, die gräfliche und freiherrliche Würde künstlich an bloss ritterbürtige Familien zu verleihen. Der niedere Adel bestand aus solchen, die freie Grundeigentümer, Vasallen oder Ministerialen gewesen waren und ritterliche Lebensart führten. Durch die Veränderung des Kriegswesens fiel die ritterliche Lebensart weg, und der Adel blieb nun bloss als ein ausgezeichneter Geburtsstand bestehen. Auch der niedere Adel wurde zahlreich durch kaiserliche Gnadenbriefe, besonders an reiche Kaufleute, sog. Pfeffersäcke, Besitzer von Schlössern, verliehen. Auch die juristische Doktorwürde erteilte dem Träger den niederen Adel. Eine besondere Klasse des niederen Adels bildete die Reichsritterschaft. Aus den Freien, die sich in den Städten erhalten hatten, ging das städtische Patriziat hervor, die Geschlechter; sie hatten zum Teil eigenen Grundbesitz, wurden Ritter und nahmen Lehen.

6) Eine eigentümliche Erscheinung zeigt sich seit dem 14. Jahrh. im hohen Adel, insofern hier im Gegensatz zu der diesem Stande besonders gefährlichen Auflösung und Zersplitterung[10] der Familien die Ausbildung einer engern Familiengenossenschaft angestrebt und mit der Zeit durchgeführt wird. Die Verfassung dieser Adelsfamilien entwickelte sich als eine Mischung der Haus- und Geschlechtsverfassung. Im weitesten Sinn wurden auch Frauen und Kognaten zur Familie gerechnet, aber nur als Schutz- oder Passivgenossen. Eigentliche Trägerin des genossenschaftlichen Verbandes und Rechtes war die Gesamtheit der aus den Agnaten – den Verwandten gleichen Stammes und Namens – gebildeten Vollgenossen. Die wesentlichsten Befugnisse aber, welche aus der genossenschaftlichen Einheit flossen, standen bei einem unwiderruflich und nach festen Rechtssätzen bestimmten Oberhaupt, dessen Bestellung vom Gesamtwillen der Genossen vollkommen unabhängig war. Dieses Haupt des Hauses war der regierende Herr. Seine Stellung verdankte er seiner Geburt, er war also Organ der Familieneinheit aus eigenem Recht. Als die Quelle der Verfassung in ihrer Verbindlichkeit für den Einzelnen galt endlich die Jahrhunderte überdauernde Einheit der Familie, die unter dem Namen Haus in den Familienverträgen und Verordnungen seit dem 14. Jahrh. bezeichnet wird. Das Hausrecht bildete sich teils aus den Hausverordnungen des Familienoberhauptes, anderseits aus den Haus- oder Stammverträgen, Einigungen, Erbverträgen u.s.w., die von der Gesamtheit des Geschlechts oder einer Linie desselben errichtet wurden, und bezog sich auf die Succession in das Hausvermögen, das Erbrecht überhaupt, auf Witwenversorgung, auf Bestimmungen über Namen, Stand, Rang, Titel, Religion, Mittel zur Erhaltung der Einigkeit und verwandtschaftlichen Liebe, sowie des äussern Glanzes der Familie und Ähnliches.

Nur in sehr vereinzelten Fällen gelang dem niedern Adel eine Abschliessung seiner Familien zu Genossenschaften nach dem Vorbilde der hochadligen Häuser; doch fanden sich hier andere Formen genossenschaftlicher Verbindungen, die Ritterbünde und Adelsgesellschaften, dann die sogenannten Ganerbschaften, aus mhd. ganerbe, d.i. Ge + an + Erbe = Mitanerbe, bei denen eine Gesamtheit von Teilnehmern zur gemeinsamen Innehabung und Verteidigung einer Burg oder einer ähnlichen Besitzung verbunden war. Die unter den Gemeinern (Teilhabern) geschlossenen Verträge pflegten unter dem Namen der Burgfrieden nicht nur die Vermögensverhältnisse, sondern auch die persönlichen Beziehungen der häufig zu derselben Familie gehörigen und meist auf der gemeinsamen Burg in enger Lebensgemeinschaft wohnenden Gemeiner zu ordnen, regelten die Lasten der Bewachung, des Baues, der Verwaltung und Verteidigung der Burg, sowie anderseits die Einziehung und Verteilung der Nutzungen.

Besser erreichte schliesslich der niedere Adel das angestrebte Ziel der Familienerhaltung durch das Institut der Fideikommisse. Dieselben konnten erst unter dem Einflusse des römischen Rechtes entstehen, das die Begründung derartiger Verhältnisse am Familiengut unter dem Gedanken und den Formen einer Verfügung von Todes wegen mit ausnahmsweise weittragender Wirkung gestattete.

Abschnitt 6 nach Gierke, Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft; § 39.

Das Hauptwerk über den Adel des Mittelalters ist Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte, in 8 Bänden, wo sowohl die reiche Litteratur über diesen Gegenstand als die zahlreichen Kontroversen behandelt sind. Sonst seien noch Grimm, Deutsche Rechtsaltertümer, S. 265 ff., die Werke von Dahn, Arnold, Kaufmann, Gierke und die deutschen Rechtsgeschichten von Walter und Zöpfl erwähnt.[11]

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 6-12.
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