[278] Geschichtschreibung. Die Geschichtschreibung wurzelt naturgemäss in dem historischen Inhalte der Volkssage und deren sprachlichem Ausdrucke, dem epischen Volksliede, das zugleich Geschichte und Dichtung ist. Das Christentum ist Ursache, dass dieser natürliche Übergang aus dem Epos in die Geschichte bei den Deutschen nicht stattfand oder sich wesentlich anders gestaltete, da die neue Lehre die Anfänge ihrer Geschichte nicht auf heidnisch-germanischem, sondern auf christlich-römischen Boden suchte und fand, womit zusammenhängt, dass die Anfänge deutscher Geschichtschreibung nicht in deutscher, sondern in lateinischer Sprache auftreten. Sie sind aber dennoch eine Erscheinung deutschen Lebens, haben deutsche Verfasser, zeigen deutsche Denk- und Empfindungsweise und kämpfen sich mit der Zeit zu einer auch sprachlich nationalen Erscheinung durch.
Zwar ist der innere Zusammenhang, der zwischen Sage und Geschichte sowohl als zwischen Dichtung und Geschichte besteht, noch Jahrhunderte hindurch sichtbar; die ersten deutschen Historiker berichten Sagen, als ob dieselben Geschichte wären; die Geschichte der christlichen Stiftungen beginnt mit Legenden oder Vitae, gleichsam den Heldenbüchern ihres Daseins, in denen so gut wie an den Helden der ältesten Volksgeschichte das Wunder eine in der kindlichen Auffassung der Zeit beruhende wesentliche Rolle spielt; noch lange, bis gegen das Ende des Mittelalters, herrscht der Trieb, die Geschichte als Dichtung zu behandeln, poetische Geschichte zu schreiben.
Bis die deutsche Geschichtschreibung auf dem Punkte angelangt war, dass sie aus dem Lande selbst herauswachsen und von Kindern des Landes ausgehen konnte, brauchte es einer längeren Übergangszeit, in welcher sich die christlich germanische Bildung allmählich an das Bedürfnis und die Auffassung einer in den Anfängen christlicher Bildung wurzelnden Geschichte gewöhnte und hineinlebte.
Zweierlei Werke sind es vornehmlich, welche den christlich-römischen Geschichtsstoff dem Mittelalter vermittelten und zugleich Muster und Vorbilder für die mittelalterliche Geschichtschreibung wurden: Die Werke des Eusebius und der römische Staatskalender. Von Eusebius (264 bis 340) hat man zwei Bücher Allgemeiner Geschichte, von Hieronymus fortgesetzt und bearbeitet, und eine von Rufinus fortgesetzte Kirchengeschichte. Das erstere Werk enthalt neben einer Chronographie in darstellender[278] Form den tabellarisch aufgestellten synchronistischen Kanon und steht vollständig oder im Auszug an der Spitze aller umfassenden Chroniken des Mittelalters. Der römische Staatskalender enthielt folgende Stücke: 1) den eigentlichen Kalender mit Bildern; 2) Konsularfasten bis zum Jahre 354; 3) Ostertafeln auf 100 Jahre, von 312 an; 4) ein Verzeichnis der Stadtpräfekten; 5) die Todestage der römischen Bischöfe und der Märtyrer; 6) einen Papstkatalog und 7) eine dürftige Weltchronik bis 334, verbunden mit einer Stadtchronik von Rom und der Regionenbeschreibung. Die Konsularfasten und Ostertafeln gaben Veranlassung, kurze annalistische Aufzeichnungen ähnlicher Art aufzuschreiben; das Verzeichnis der Todestage der Märtyrer und Päpste wurde das Muster für die Martyrologien, welche bald zu den blossen Namen Nachrichten über Leiden und Leben der Märtyrer hinzufügen und allmählich zu einer wichtigen Geschichtsquelle heranwachsen; auch die Nekrologien haben sich an dieses Verzeichnis der Todestage angeschlossen.
Die ersten, deutschen Stämmen angehörigen Geschichtschreiber vor Karl dem Grossen stehen noch durchaus auf dem Boden der antiken Welt, deren Untergang sie beklagen, deren hergebrachten, der Schule der letzten Rhetoren entnommenen Stil sie nachahmen; gemeinsam ist ihnen neben der Vorliebe für die antike absterbende Welt das christliche Interesse, das sich in kirchengeschichtlichen Arbeiten oder in der Beschreibung von Heiligenleben kundgiebt, gemeinsam auch die Vorliebe für die einheimische Sagenwelt, ein Zug, der freilich mit ihrem antiken Wesen in naivem Widerspruch zu stehen scheint.
Es gehören dazu bei den Ostgoten: Magnus Aurelius Cassiodorius (Cassiodorus) Senator, gest. um 570; sein Hauptwerk, zwölf Bücher gotischer Geschichten, ist bloss im Auszug des zweiten ostgotischen Geschichtschreibers Jordanis oder Jornandes erhalten; dessen aus drei älteren Schriftstellern kompilierte Kirchengeschichte oder historia tripartita wurde neben Eusebius das kirchengeschichtliche Handbuch des Mittelalters; Kassiodor ist es auch gewesen, der die wissenschaftliche Arbeit zuerst grundsätzlich in die Klöster einführte.
Unter den Westgoten wirkte vornehmlich Isidor von Sevilla, gest. 636, dessen 20 Bücher Originum sive Etymologiarum die Summe aller vorhandenen aus der antiken Welt hinübergeretteten Kenntnisse in sich aufzunehmen trachtete und im Mittelalter eine ausserordentliche Verbreitung erlangte. Darin findet sich auch eine Chronik, welche, den sechs Schöpfungstagen entsprechend, in sechs Weltalter eingeteilt ist, eine Erfindung, die im Mittelalter allgemein nachgeahmt wurde. Auch Isidor war durch sein Buch Descriptoribus ecclesiasticis auf kirchengeschichtlichem Gebiete thätig. Dem fränkischen Stamme gehört vor allen Gregor von Tours an, gest. 594, aus einer alten gallisch-römischen Familie stammend; er steht schon der antiken Bildung ferner und wirkt mehr in einseitig römisch-katholischem Sinne; sein Hauptwerk ist die Historia ecclesiastica Francorum, besser zehn Bücher fränkischer Geschichte genannt, worin ältere heilige und profane Geschichte, fränkische Sagengeschichte und memoirenartige Erzählungen von ihm erlebter Jahre in wunderlichem Gemisch beisammenstehen. Durch seine libri septem miraculorum schliesst er sich zugleich an die ausserordentlich grosse Zahl der Heiligenleben an, welche in in der Zeit der Merowinger auf fränkischem Boden entstanden sind. Auf angelsächsischem Boden gesellt sich den genannten Männern[279] endlich Beda Venerabilis zu (672 bis 735), auch er auf der Seite mehr des Altertums und des Christentums als der Nationalität seines Volkes stehend; seine Werke sind das Buch von den sechs Weltaltern, die Grundlage der meisten Universalchroniken des Mittelalters, die angebliche Kirchengeschichte, ein Martyrologium und Ostertafeln; er ist der Hauptvertreter der angelsächsischen Bildung, welche bestimmt war, die ältere aus Irland stammende Bildung abzulösen und zu vertiefen.
Mit dem Auftreten Karls des Grossen und seiner Bemühungen um eine höhere, dem Geiste und der Form des Altertums würdig zur Seite stehende Bildung setzt eine im engern Sinn deutsche Geschichtschreibung ein, die nun auch sachlich von dem Glanze der Thaten Karls und seines Hauses getragen wird. Unter den Männern, die Karl an seinen Hof berief, sind der Angelsachse Alkuin und der Langobarde Paulus Diakonus, Warnefrids Sohn, selber auf dem Felde der Geschichtschreibung thätig gewesen, Alkuin mit Biographien solcher Männer, die sich in dem Dienst der Kirche ausgezeichnet hatten, Paulus mit der Geschichte der Bischöfe von Metz und der Geschichte der Langobarden, welche zwar noch sehr an die vorkarolingischen Volksgeschichten erinnert. Die Bedeutung der nun hervortretenden zahlreichen Geschichtschreiber liegt in erster Linie in der Beherrschung der Form, der Sprache und Darstellung, die unter den Merowingern der schrecklichsten Roheit anheimgefallen waren. Diese Männer schreiben mit bewusster Nachahmung der ihnen bekannten lateinischen Vorbilder, des Sueton, Tacitus u. A. Man unterscheidet aber zwei Gruppen. Zur älteren gehören die am Hofe Karls selber lebenden Lehrer und deren unmittelbare, ebenfalls dem Hofe angehörende Schüler, namentlich Angelbert, der Homer der karolingischen Akademie, der ein Epos auf Karl verfasst hat; dann Einhard, von dem Annalen, das Leben Karls und der Bericht von der Übertragung der heiligen Märtyrer Petrus und Marcellinus erhalten sind, und Nithard, ein eifriger Anhänger Karls des Kahlen. Eine jüngere Gruppe bilden Männer, die von den Zeitgenossen Karls angeregt wurden und durch welche erst die neue Bildung in weitere Kreise getragen wurde. Der Mittelpunkt dieser unter Ludwig dem Deutschen zur Höhe gekommenen wissenschaftlichen Bildung, wozu eben auch die Geschichtsschreibung jetzt zählt, ist Fulda unter Rhabanus Maurus, dessen Schüler u. A. die Historiker Rudolf v. Fulda und Walafrid Strabo, Abt von Reichenau, sind. Unter diesen Gelehrten bilden sich nun die Formen der Historiographie aus, welche im Mittelalter die herrschenden geblieben sind. Dazu gehören in erster Linie
die Annalen. Sie entstehen aus kurzen historischen Notizen, die anfänglich auf den Rand der Ostertafeln geschrieben und allmählich durch gegenseitigen Austausch vermehrt, zusammengeordnet, nach Umfang und Inhalt erweitert wurden. Sie gehen von verschiedenen Punkten aus, besonders unterscheidet man aber die Reichs- und Königsannalen, an denen Einhard beteiligt gewesen sein soll, und zahlreiche Klosterannalen. Zuletzt konnte es geschehen, dass ein geschickter Mann den gegebenen rohen Stoff überarbeitete und ein wirkliches zusammenhängendes Geschichtswerk daraus herstellte; gegenüber den älteren oder kleineren Annalen, die sich übrigens fortwährend wiederholten und neu entstanden, nennt man die daraus hergestellten grösseren Geschichtswerke [280] grössere Annalen; sie sind im 9. und 11. Jahrhundert zur höchsten Ausbildung gelangt.
Neben den Annalen hat die Zeit selbständige Geschichtswerke biographischer Natur und eigentliche Zeitgeschichten hervorgebracht, die sich an die Gegenwart anschliessen und den mehr sachlich gehaltenen Annalen gegenüber eine freiere, für ihren Gegenstand eingenommene Behandlung aufweisen. Solche Werke, zu denen Einhards Leben Karls, des Trierer Chor-Bischofs Degan, Thegan oder Theganus Leben Ludwig des Frommen zählen, sind stark politischer Natur.
Von einer dritten Gattung der Geschichtschreibung, welche sich neben der Gegenwart zugleich der Vergangenheit zuwendet, giebt es wieder zwei verschiedene Arten. Die allgemeine Geschichte der älteren Zeit, die Universalhistorie, bildet sich in der Chronik aus. Ohne viel Kritik und Urteil werden für diese Gattung heidnische und christliche, historische und andere Werke, was dem Verfasser zu Gebote steht, benützt und zusammengetragen. Als äusseren Rahmens bedienen sie sich der sechs aetates des Isidor und Beda, geben römische und deutsche Geschichte unvermittelt nebeneinander und werden erst dann ausführlicher, wenn sie mit ihrem Stoff in die Gegenwart gerückt sind; aus karolingischer Zeit sind solche Chroniken vom Erzbischof Ado von Vienne, vom Bischof Frechulf von Lissieux, einem Schüler Rhabans, und vom Abt Regino von Prüm erhalten.
Die andere Art rückwärts schauender Geschichtsbücher beschränkt sich auf ein Land, ein Volk oder noch mehr auf eine bestimmte Lokalität. Zwar Volksgeschichten wie sie Kassiodorius, Gregor von Tours und Paulus Diakonus verfasst hatten, kommen in grösserem Umfange nicht mehr vor, nur kompendienartige Aufzeichnungen giebt es auf diesem Gebiet; dagegen sind die Geschichten der einzelnen Bistümer und Klöster jetzt häufiger und bedeutender. Sie schliessen sich an die Orte an, wo die bedeutendsten Lehrer der Zeit wirkten, und erblühen bald hier bald da zu reifer Entfaltung. Wattenbach hat seine Betrachtung der mittelalterlichen Historiographie nach diesen lokalen Mittelpunkten geordnet und für die karolingische Zeit zumal den Klöstern und Bischofssitzen Fulda, Hersfeld, Münster, Bremen, Hamburg, Corvey, Gandersheim, Trier, Prüm, St. Gallen, Reichenau besondere Darstellungen gewidmet.
Der Charakter der Historiographie, den die karolingische Zeit ausgebildet hatte, erhielt sich im ganzen bis in die Mitte des 13. Jahrh.
Zwar trat gegen das Ende des 9. Jahrh. in der Bildung Deutschlands überhaupt eine etwa fünfzigjährige Pause ein, durch innere und äussere Wirren hervorgebracht; nachdem jedoch Otto I. die Macht des Reiches neu begründet hatte, traten auch die alten geistigen Kräfte wieder auf den Schauplatz. Doch bilden die Geschichtschreiber dieser Zeit keine bestimmte Schule mehr, treten vielmehr an verschiedenen Orten unter ganz verschiedenen Verhältnissen auf. Die grössten unter ihnen sind Widukind, Thietmar und Liudprand. Widukind, Mönch von Corvey, schrieb drei Bücher sächsischer Geschichten, die mit der Urgeschichte des Sachsenvolkes beginnen. Sein Muster ist Sallust, und er verweilt in epischer Weise vorzüglich bei der Schilderung der Schlachten und, anderer Begebenheiten; er ist einer der vorzüglichsten Schriftsteller des Mittelalters. Thietmar von Merseburg, Bischof, 9761018, verwandt mit den Ottonen, gedachte in seiner Chronik vor allem die Schicksale des Bistums Merseburg darzustellen, wozu freilich mit Notwendigkeit die Geschichte des Ottonischen Hauses[281] gehörte, und da er überhaupt ein Buch schrieb, so legte er nebenbei darin auch Alles sonst nieder, was ihm denkwürdig schien, alle kleinen und grossen Erlebnisse und was er in andern Büchern fand. Liudprand von Cremona, gest. 972, ist zwar ein Italiener, doch lebte er am Hofe Otto des Grossen, schrieb einen Teil seiner Bücher in Deutschland und beschäftigte sich grösstenteils mit deutschen Begebenheiten. Sein Hauptwerk heisst Antapodosis, d i. Wiedervergeltung, weil er sich mit demselben an König Berengar von Italien zu rächen gedenkt. Es ist also eine Parteischrift, leidenschaftlich, auffallend, buntscheckig, die erzählende Prosa viel durch Verse unterbrochen. Das Buch ist Zeitgeschichte in umfassendstem Sinn, da der Verfasser mit grosser historischer Kunst Alles, was in ganz Europa geschieht, in den Kreis seiner Erzählung hineinzieht.
Überhaupt schien unter den Ottonen die Blüte der Studien derjenigen aus Karls des Grossen Zeit nichts nachgeben zu wollen; wieder trat eine einflussreiche Hofschule ins Leben, und zumal Otto des Grossen jüngster Bruder, Bruno, Erzbischof von Köln und Herzog von Lothringen, war der eifrigste Beförderer der Künste und Wissenschaften. Von neuem wurde mit Glück an der Geschichte der einzelnen Bistümer und Klöster gearbeitet, (dazu gehören z.B. die Casus sancti Galli von Ekkehard IV.), womit sich eine besondere Vorliebe für biographische Arbeiten verband, die besonders im 11. Jahrh. reichen Erfolg hatte. Es galt als Ehrensache, dass ein bedeutender Mann, besonders wenn er dem geistlichen Stande angehörte, seinen Biographen finde. Dazu gehört das Leben Brunos von seinem Schüler Ruotger, des Kaisers Heinrich II. von Bischof Adalboldus von Utrecht, das Leben Bernwards, Bischofs von Hildesheim von dessen altem Lehrer Thangmar und manche andere Arbeiten, die sich durch die bessere Auffassung und die fast durchgängige Rücksieht auf politische Verhältnisse vorteilhaft auszeichnen. Die drei bedeutendsten Werke des 11. Jahrh. aber sind folgende: Das Leben Konrad II. von seinem Kaplan Wipo, einfach und getreu, anschaulich und lebendig geschrieben; sodann Adams von Bremen (als Domherr in Bremen um 1076 gestorben) Gesta Hammenburgensis ecclesiae pontificum, das Leben und die Thaten der Erzbischöfe von Hamburg und Bremen, das trefflichste Geschichtswerk des nördlichen Deutschlands, und die Annalen Lamperts von Hersfeld, eines Mönches, der die Geschichte seiner Zeit, des beginnenden Kampfes zwischen Königtum und Fürstenmacht, zwischen Kaisertum und Hierarchie in würdiger Ruhe und einfach schönem Stile aufgezeichnet hat. Lamberts Ziel war, die Geschichte seiner Zeit zu schreiben; er fängt aber nach dem herrschenden Gebrauche mit der Schöpfung an und stellt dann einen ganz kurzen chronologischen Abriss er Weltgeschichte seinem eigentlichen Werke voraus; die Geschichte seiner eigenen Zeit, die nach und nach immer umfassender wird, ordnet er ebenfalls nach Jahren, ohne sich strenge daran zu binden und ohne dass sich diese engere Form bei der Fülle der Ereignisse und der Ausführlichkeit der Darstellung störend bemerkbar macht. Ganz in ähnlicher Art wie Lamberts Annalen sind nach der Mitte des 11. Jahrh. eine Anzahl Chroniken, die mit einer ausführlichen, nach Jahren geordneten Zeitgeschichte endigen, von bedeutenden Historikern verfasst worden. Dazu zählen Hermann von Reichenau oder Hermannus Augiensis, vulgo Contractus, d.i. der Gichtbrüchige, mit seinem Fortsetzer Berthold von Konstanz, dann Bernhold von Schaffhausen, Sigebert von Gemblours[282] und Ekkehard von Aurach, darunter Berthold und Bernhold eifrige Anhänger des Papstes. Sind nun schon diese Chroniken voll lebendigen Interesses an den Begebenheiten der Zeit, so giebt es daneben eigentlich historische Parteischriften, urkundlich belegte Arbeiten, die bloss zum Zwecke der Verteidigung oder Anklage verfasst wurden. Dazu gehört des berühmten Herbert: Geschichte des Rheimser Konzils, dem der Verfasser seine Erhebung zum Erzbischof verdankte, die Geschichte des sächsischen Krieges unter Heinrich IV. von dem Magdeburger Cleriker Bruno, eine heftige Streitschrift gegen den Kaiser; des Kardinals Benno Vita et Gesta Hildebrandi seu Gregorii VII papae, eines wütenden Gegners des Papstes, das Leben Heinrichs IV., ein kleines Kunstwerk, das man mit dem Agricola des Tacitus verglichen hat.
Geschichtschreiber der Kreuzzüge giebt es mehr französische als deutsche; unter die letztern gehört der schon genannte Ekkehard von Aurach durch seinen Libellus de expugnatione Hierosolymitana.
Vom 12. Jahrh. an treten die Annalen oder gewöhnlichen Chroniken sowohl als die einzelnen Bistums- und Klostergeschichten zurück; wo die letztern sich noch vorfinden, rühren sie meist von unbedeutenden, namenlosen, oft verschiedenen sich nachfolgenden Verfassern her; den neuentstehenden Annalen dagegen liegen nun durchgehend frühere Werke zu Grunde und zwar in gewissen Gegenden immer dieselben, in Lothringen und Nordfrankreich, Sigbert, in Süddeutschland, Schwaben und Österreich Hermann von Reichenau, und im mittleren und nördlichen Deutschland Ekkehard von Aurach. Die bedeutenden Schriftsteller ziehen mehr freie allgemeine Darstellungen vor, zum Teil unterstützt durch die namentlich in Paris aufkommenden wissenschaftlichen Studien. Der bedeutendste Historiker der Hohenstaufischen Zeit ist Otto von Freising, Stiefbruder König Konrad III., in Paris gebildet, dann in den Cistercienser-Orden eingetreten, später Bischof von Freising, der mit Barbarossa in vertraulichen Verhältnissen stand. Seine Chronik, das erste Werk, das er schrieb, unterscheidet sich von allen frühern Geschichtswerken Deutschlands durch die vollständige Beherrschung des Stoffes und die Verarbeitung desselben nach gewissen Gesichtspunkten; seine Richtung ist mehr philosophisch als historisch, besonders schliesst er sich an Augustin an. Seine Absicht ist, das Elend dieser Welt und die Herrlichkeit des Reiches Gottes zu schildern, die er in ihrer irdischen Vermischung darstellen will. Bedeutender als eigentliches Geschichtswerk sind die Gesta Friderici I., die Geschichte der Anfänge des Hohenstaufischen Geschlechtes und der ersten Jahre Friedrichs. Voraus geht ein Bericht, den der König selber seinem Oheim auf seinen Wunsch über die Anfänge seiner Regierung zugesandt hat. Mit offenem, wahrheitsliebendem Blicke stellt der Geschichtschreiber jedes Einzelne dar, ohne den Blick auf das Ganze jemals zu verlieren. Immer ist ihm dabei die Form, der Schmuck der Darstellung fast ebenso wichtig als der Inhalt, und nimmt im höchsten Grade seine Aufmerksamkeit in Anspruch. Ottos vortrefflicher Fortsetzer der Gesta Friderici I. ist Radewin oder Razewin; nicht minder würdig erscheint der Fortsetzer von Ottos Chronik, Otto von St. Blasien.
Den Geschichtschreibern der Hohenstaufen stellten sich nicht unwürdig die Geschichtschreiber der Welfen, namentlich Heinrichs des Löwen, zur Seite: der Propst Gerhard von Stederburg, Helmold von Bosau und dessen Fortsetzer Arnold von Lübeck.[283]
Von den Karolingern an bis in die Mitte des 13. Jahrhunderts war die deutsche Geschichtschreibung mehr und mehr vom Geiste und der Bedeutung des deutschen Reiches und seiner obersten Fürsten getragen; obwohl sie sich von zahlreichen Mittelpunkten geistlicher Bildung aus immer von neuem lokal bilden musste, gingen von diesen einzelnen Punkten die leuchtendsten Strahlen stets dem Mittelpunkte zu; man darf von diesem Gesichtspunkte aus die Geschichtschreibung des 9. bis 13. Jahrhunderts eine Reichshistoriographie nennen; es leuchtet ein, dass sich dieselbe eben infolge der starken Ausprägung ihres innern Charakters desto reiner von andern der Geschichtschreibung anhängenden Zügen zu halten vermochte. Mit dem Zerfall der kaiserlichen Macht in der Mitte des 13. Jahrhunderts hörte diese grosse am Reiche haftende Arbeit schnell auf, und das historische Interesse wandte sich den neu ins Leben tretenden gesellschaftlichen, religiösen und politischen Gestaltungen und Erscheinungen zu. Das verleiht von jetzt an der Historiographie einen überaus mannigfaltigen, ja buntscheckigen Charakter, der noch dadurch vermehrt wird, dass daneben auch die alten Formen immer noch beibehalten werden und selbst in der spätesten Zeit Werke entstehen, die denen des frühern Mittelalters nachgeahmt sind. Die Zahl der historischen Erscheinungen wird überaus gross und für einen Mann kaum mehr übersehbar, und an vielen Punkten durchmisst die Geschichtschreibung von neuem den Prozess, den sie für die Gesamtheit in den vergangenen Jahrhunderten durchgemacht hatte: aus analistischen, einzelnen Aufzeichnungen erwächst allmählich eine zusammenhängende Darstellung, die erst, wenn das Glück ihr günstig ist, nach längerer Zeit zu eigentümlichen, selbständigen Werken höherer Geschichtsdarstellung sich aufschwingt.
So ist nun auch für die Zeit des 12. und 13. Jahrhunderts eigentümlich, dass die Geschichte von neuem Züge der Sage in sich aufnimmt, von der sie sich in langem Kampfe losgerissen hatte, freilich zum Teil dadurch bestimmt und bewogen, dass sie in gelehrter, vornehmer Opposition gegen die im Volke lebenden sagenhaften Erzählungen kalt geblieben war. Am frühesten hatte sich die Geschichte in Form von deutschen erzählenden Gedichten an die Sage angeschlossen; diese gingen aber von einem Kreise der Bildung aus, welche dem höfischen Leben nach seiner dichterischen Seite hin zugewandt war. Die Kaiser-Chronik gehört dahin, welche in höchst phantastischer Weise und mit Legenden untermischt die Geschichte der römischen Könige und Kaiser von Julius Caesar an bis auf Konrad III. erzählt, eine Kompilation verschiedener Stücke; von mehreren Weltchroniken, z.B. von Rudolf von Ems, ist bloss ein biblischer Anfang fertig gediehen; Jans der Enenkel schrieb eine solche als Vorstück seines österreichischen Fürstenbuches. Aber in die historischen Werke selbst gewinnt seit der Mitte des 12. Jahrhunderts die sagenhafte Überlieferung immer mehr Aufnahme, bedingt und hervorgerufen durch die immer breiter werdende einseitig kirchlich-phantastische, den Wundern zugeneigte Auffassung des Klerus. Eine wuchernde Fülle traditioneller Überlieferungen setzt sich an die Geschichte an und verhüllt und verdeckt die Wahrheit. Man sieht das besonders an den Arbeiten des Gotfried von Viterbo, wahrscheinlich eines Sachsen, der aber lange in Italien lebte. Er verfasste für den jungen König Heinrich VI. ein phantastisches Lehrbuch Speculum [284] Regum, sodann eine poetische Behandlung der Thaten Friedrich I.; diese Poesie nahm er in sein, wiederum Heinrich VI. gewidmetes Werk Memoria saeculorum auf, das aus Prosa und Versen gemischt die ganze Weltgeschichte umfasst; als ihm Ottos von Freising Chronik bekannt wurde, überarbeitete er darnach seine Weltgeschichte nochmals unter dem Namen Pantheon. Hier zuerst strömt die ganze Fülle der Fabeln auch in die gelehrte Geschichtschreibung, über den Kreuzzug Karls des Grossen, über die Ottonen, über Heinrich III. Abkunft und Geburt. Das Pantheon hat den grössten Einfluss auf die spätern Autoren Deutschlands und Italiens ausgeübt.
Besonders gross war der Einfluss, den in dieser Hinsicht die Bettelorden auf die Art der Geschichtschreibung übten. Für Lokalgeschichte hatten diese anfänglich wenigstens kein Interesse, da sie fahrende Mönche ohne Grundbesitz waren. Sie schrieben Geschichte, um Handbücher für ihre Disputationen und Predigten zu haben, wobei es ihnen nicht auf den politischen Inhalt der Geschichte ankam, sondern auf Geschichten, die sich gut anwenden liessen, entweder in der Form von Kompendien zum Handgebrauch, oder von Encyklopädien, in denen sie alles nachschlagen konnten, was sie bedurften. Anfänglich war es bloss Weltgeschichte, wofür sie Teilnahme hatten; später, als sie in grösserer Abhängigkeit zu ihren Wohnorten standen, beschäftigten sie sich auch mit der Abfassung von Städte- oder Landesgeschichten. Die berühmteste Encylopädie, die aus dem Dominikanerorden hervorging, ist das Speculum quadruplex des Vincenz von Beauvais, 1244 geschrieben, das in Speculum naturale, doctrinale, morale und historiale zerfällt; ein von Vincenz selbst bearbeiteter Auszug des Speculum historiale heisst Memoriale Temporum. Noch grösseren Einfluss hatte das Werk des Dominikaners Martin von Troppau, auch Martinus Polanus genannt, der bald fast der ausschliessliche Geschichtslehrer für die katholische Welt wurde. Er war aus Troppau im Königreich Böhmen gebürtig und lebte lange in Rom als päpstlicher Kaplan und Pönitentiar. Seine Weltgeschichte wurde als ein Kompendium für Theologen und Kanonisten geschrieben. Es ist eine ganz oberflächliche, hierarchische Zwecke verfolgende Kompilation, durch welche die zahlreichen Geschichtsfabeln erst recht festen Fuss gefasst und Herrschaft gewonnen haben. Der äusserlichen Einrichtung nach standen sich auf je zwei Seiten die Päpste und Kaiser gegenüber, jede Seite hatte 50 Zeilen, jede Zeile war für ein Jahr bestimmt; vom Jahre 1276 an, wo drei Päpste zusammen hätten verzeichnet werden müssen, hört diese Einrichtung auf und beginnt eine mehr zusammenhängende Übersicht der Ereignisse. Durch Bruder Martin kam die Fabel von der Päpstin Johanna, von der Einsetzung der sieben Kurfürsten und überhaupt die ganze grundfalsche Auffassung der Geschichte in Aufnahme, denn die Chronik verbreitete sich in alle Länder und Sprachen. Die sorgfältige, gründliche und kritische Erforschung der Geschichte des frühern Mittelalters wurde durch dieses Machwerk fast vollständig erstickt.
Eine ähnliche Stellung wie die Chronik des Martin von Troppau nimmt das umfangreiche Werk Flores temporum ein, das einen Minoriten zum Verfasser hat; alte Nachrichten nennen ihn den Minoriten Martin, oder Hermann oder Hermann Gygas; es scheint eine Konkurrenzarbeit gegenüber dem Werke des Dominikaners Martin zu sein.
Charakteristisch für die Geschichtslitteratur des spätern Mittelalters ist im ferneren der zunehmende [285] Gebrauch der deutschen Sprache. Von den mehr sagenhaften deutschen Reimgedichten war schon die Rede; an sie knüpfen sich jetzt eigentliche Reimchroniken, verschieden nach dem Inhalt und der Individualität des Verfassers, mitunter Bearbeitung lateinischer Quellen, oder eigene treuere oder freiere Darstellung der Thatsachen. Sie sind am wichtigsten, wenn gleichzeitige Begebenheiten den Gegenstand der Darstellung ausmachen. Dem Norden Deutschlands gehört Gotfried Hagens Reimchronik von Köln, vom Jahre 1270, die Liefländische Chronik eines Ungenannten; dem Süden die Österreichische Chronik des Ottokar von Horneck aus Steiermark, aus dem Ende des 14. Jahrhunderts, ein Werk von sehr lebendiger Auffassung und poetischer Behandlung. von Nicolaus Jeroschin hat man eine reimende Übersetzung der lateinischen Chronik des deutschen Ordens in Preussen, welche Peter von Duisburg verfasst hatte.
Von gereimten Chroniken schreitet man schliesslich zu deutschen Prosachroniken vor, deren erste die Sächsische Weltchronik ist, die man dem Mike von Repgaw zuzuschreiben pflegt, aus der ersten Hälfte des 13. Jahrh. Diese deutschen Chroniken sind nun selten mehr von Geistlichen, sondern von Dichtern, Rechtsgelehrten, Staatsmännern, besonders Stadtschreibern, von Mitgliedern des Bürgerstandes verfasst; daneben erscheinen immer noch lateinisch verfasste Geschichtswerke, wie dasjenige des Minoriten Johannes von Wintertur; des Matthias von Neuburg, der ohne Zweifel Prokurator des geistlichen Gerichtes in Strassburg war, und des Johann von Viktring, Abt des Klosters Viktring in Kärnthen. Deutsche Chroniken sind z.B. noch die Magdeburger aus dem 13. Jahrh., die Nüwe Casus Monasterii Sancti Galli des Christian Kuchimeister, die Strassburger Chroniken des Chorherrn Friedrich Closener und des jüngeren Jacob Twinger von Königshofen, die Limburger Chronik des Stadtschreibers Johannes, Chroniken von Bremen, Lübeck, Köln, Nürnberg, Augsburg, Magdeburg, Braunschweig, Hamburg und vielen anderen grösseren und kleineren Städten. Reich mit solchen Werken sind namentlich auch die Städte und Länder der schweizerischen Eidgenossenschaft ausgestattet, wo bürgerliche Selbständigkeit besonders früh stark sich entfaltete: es giebt Chroniken von Zürich, Basel, Bern, Luzern und den Urkantonen. Alle diese Werke pflegen mit sagenhafter, zum Teil lächerlicher, geradezu fabrizierter Urgeschichte anzuheben, während ihre Darstellung späterer Verhältnisse durch gesunde Auffassung der Verhältnisse, durch die frische, naive, lebenswahre Erzählung sich auszeichnet. Erst später geschrieben, aber in ihrer Entstehung schon der vorreformatorischen Zeit angehörig ist die an sagenhaftem Stoff selten reiche Chronik des schwäbischen Geschlechtes derer von Zimmern.
Neben solchen Richtungen giebt es auch immer noch Bischofs- und Klosterchroniken, z.B. die Reichenauer Chronik des Gallus Oehem, Lebensbeschreibungen angesehener Geistlicher, Weltchroniken, die letzteren bald rein annalistisch, bald nach Kaisern und Königen geordnet, und mit weitschichtiger Gelehrsamkeit aufgepauscht; die Namen derselben sind Speculum historiae, Flores historiarum, Imago mundi, Cosmodromium, Fasciculus temporum und ähnliche.
Mit der Wirkung des Humanismus auf die Geschichtschreibung machen nach langer Zersplitterung wiederum centripetale Tendenzen den bisher herrschenden centrifugalen Richtungen Platz. Die Bewegung[286] kommt natürlich aus Italien, wo die Historiographie sowohl in der Nationalsprache nach dem Muster der grossen Alten, als in noch engerer Anlehnung an die Alten in lateinischer Sprache gepflegt wurde; die Hauptnamen jener ersten Richtung sind Macchiavelli (14691527) und Guicciardini (14821540). Hauptvertreter der lateinisch schreibenden Historiker sind Flavius Blondus, gest. 1461, Aeneas Sylvius Piccolomini (Pius II.), 14051464, Bartholomaeus Platina, Bibliothekar am Vatikan, gest. 1461, dessen liber de vita Christi ac de vitis summorum pontificum Romanorum fast in alle Sprachen, auch in die deutsche, übersetzt wurde; Julius Pomponius Laetus, gest. 1497: de Caesaribus und de Romanae urbis vetustate; Raphael Volaterranus, gest 1521: Commentariorum urbanorum libri 38. Wandten die genannten Italiener ihr Interesse mehr dem römischen Altertum zu (doch hat Aeneas Sylvius den Otto von Freising und den Jordanis benutzt), so richteten die deutschen, von den Italienern angeregten, Humanisten ihr Augenmerk auf die Quellen einheimischer Geschichte, und besonders in Wien beförderte Kaiser Max vaterländische Geschichtsbestrebungen, er Hess nach alten Urkunden und Chroniken suchen und belohnte jeden Fund; rüstige Buchhändler veranstalteten Ausgaben der mittelalterlichen Quellenschriftsteller, des Jordanis, Paulus Diaconus, Gregor von Tours, Sigbert, Luidprand, Otto von Freising, Ekkard u.a. Zwar wirkte die Vorliebe für Erdichtungen, Sagen und Märchen noch lange nach, wie z.B. Johann von Trittenheim, Trithemius, 14621516 namentlich in seinem Chronicon Hirsaugiense voll von solchem Stoffe ist. Was die Sprache der deutschen dem Humanismus zugezählten Geschichtschreiber betrifft, so ist dieselbe vorläufig noch die lateinische. Die hervorragendsten Namen sind Hartmann Schedel, 14401515, mit einer Weltchronik, Jacob Wimpfeling, 1450 bis 1528, Johann Turmair oder Aventinus mit seiner bayerischen Chronik, die er selber auch deutsch übersetzte, Albert Krantz, gest. 1527, mit der Saxonia, Spiesshammer oder Johannes Cuspinian, gest. 1529, ein Arzt aus Wien: de Caesaribus atque imperatoribus Romanis; Beatus Rhenanus, gest. 1547, mit Rerum Germanicarum libri III. Mehrere dieser Männer reichen schon in die Reformationszeit hinein und haben wesentlich zum Aufschwunge des geistigen Lebens in weiteren als blossen Gelehrtenkreisen beigetragen, zumal dadurch, dass ihre Bücher früh in deutschen Übersetzungen erschienen. Ganz deutsch, nach Auffassung und Sprache, und in hohem Masse volkstümlich, zugleich getragen von der religiösen und politischen Idee der deutschen Reformation, geübt an den besten Mustern des Altertums, die, wie Caesar, Sallust, Tacitus, Sueton, Herodot, Thukydides, Xenophon und Plutarch dem Volke jetzt selber durch Übersetzungen nahe gebracht wurden, treten jetzt eine Anzahl deutscher Geschichtschreiber auf, deren Werke zum Schönsten gehören, was die Reformation hervorgebracht hat. Wieder ist die Schweiz besonders reich in dieser Beziehung; ihre Vertreter sind Joachim von Watt, Geschichte der Abte des Klosters St. Gallen; Johannes Stumpf, Beschreibung der Eidgenossenschaft; Bullinger, Reformationsgeschichte und Aegidius Tschudi, Schweizer Chronik, der letztgenannte seiner religiösen und politischen Stellung gemäss mehr ein Vertreter der älteren Richtung und daher besonders für die sagenhafte Überlieferung bemüht. Deutschland gehören an die Kosmographie Sebastian Münsters und der vortreffliche Sebastian Frank, Verfasser eines Zeitbuches (Weltgeschichte), eines Weltbuches (Beschreibung der Welt) und der Germania. Zwar[287] reichen ähnliche Arbeiten bis über den Schluss des 16. Jahrhunderts hinaus, sie sind jedoch meist lokaler Natur, darunter Matthias Quad, teutscher Nation-Herligkeit, 1609, die Pommerische Chronik von Thomas Kantzow, die Speirische von Christoph Lehmann, die Baslerische von Christian Wurstisen, die Schaffhauserische von Johannes Rüger. Die eigentlich gelehrte Geschichtschreibung geht schon mit der Mitte des 16. Jahrhunderts in das Geleise der lateinischen Sprache zurück; ihr hervorragendstes Werk ist des Johann Sleidanus (15061566) Buch de Statte religionis et reipublicae Carolo V. imperatore. Von da an bleibt lange Zeit die wissenschaftliche Betreibung der Geschichte, welche jetzt Geschichtswissenschaft wird, in den Händen der zunftmässigen, meist lateinisch schreibenden Gelehrten, während die Chronistik im engeren Sinne deutsch bleibt, immerhin so, dass gelegentlich die eine Richtung in die andere hinübergreift.
Neben den Biographien, die immer noch bearbeitet wurden, obgleich wenig vortreffliche Werke dieser Art zu nennen wären (Matthesius, Leben Luthers; Adam Reissner, Leben des Georg und Caspar von Frundsberg), hat diese Zeit, welche so sehr das subjektive Gefühlsleben des Einzelnen steigerte, die Autobiographie als neue Gattung der Geschichtschreibung eingeführt. Dahin gehören die Aufzeichnungen des Götz von Berlichingen, des Hans von Schweinichen, des Thomas und Felix Plater und die lieblichste unter ihnen, die ganz unter dem Eindrucke des »aufblühenden Evangeliums«, im Angesichte gleichsam Luthers, Melanchthons, Zwinglis, Erasmus geschrieben ist, die Sabbata des St. Gallers Johannes Kessler, desselben Mannes, der als Jüngling dem Dr. Luther im schwarzen Bären zu Jena begegnete, als der noch als Reitersmann gekleidete Reformator von der Wartburg nach Wittenberg zurückeilte. Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. 2 Bde. 3. Aufl. Berlin 1873. Lorenz, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter seit der Mitte des 13. Jahrh. 2. Aufl. Berlin 1876. Waitz in Schmidts Zeitschrift f. Geschichtswissenschaft Bd. II. u. IV. Wackernagels Lit. Geschichte.
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1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro