[296] Glocke, mhd. glocke, glogge, ahd. klocca, glogga, aus mittellat. (8. Jahrh.) die clocca, cloca = Kirchenglocke, welches zu ahd. clucchôn = klopfen, anschlagen zu gehören scheint. Weigand. Die Überlieferung macht den Bischof Paulinus in Nola (lat. nola = Schelle) in Campanien (campana = Glocke) um 400 zum Erfinder der Glocken, was eine etymologische Spielerei ist. Erwähnt wird das Instrument zuerst unter der Bezeichnung signum im 6. Jahrhundert in den Schriften des Gregor von Tours, und man nimmt an, dass es zuerst durch irische und britische Missionen in Deutschland bekannt worden sei; wahrscheinlich hatte sich der Gebrauch von Klingeln, welcher sich die alten Römer als häusliche Weck-, wohl auch als öffentliche Versammlungszeichen bedienten, ohne Unterbrechung ins Mittelalter fortgepflanzt und war zuerst von einzelnen Klöstern aufgenommen und allmählich Sitte geworden. Als Zeit der allgemeinen Verbreitung der Kirchenglocken in Deutschland wird die Mitte des 9.[296] Jahrhunderts bezeichnet. Die Glocken der Iren waren aus geschmiedeten Blechen zusammengesetzt; in Deutschland unterschied man im 9. Jahrhundert vasa fasilia, gegossene, und vasa productilia, geschmiedete Glocken. Eine genietete Glocke der. letztern Art, Saufang genannt, aus der Cäcilienkirche zu Köln herstammend, und der Überlieferung zufolge dem 7. Jahrhundert angehörend, wird im städtischen Museum zu Köln aufbewahrt; sie ist von der Form der sog. Kuhschellen und besteht aus drei mit kupfernen Nägeln zusammengenieteten Eisenplatten; ihre Weite beträgt am ovalen Rande 133/4 und 83/4 Zoll, ihre Höhe 151/2 Zoll. Als Verfertiger der vorzüglichsten Glocke für den Aachener Dom wird der St. Gallische Mönch Tancho gerühmt. Später wurden die Glocken umfangreicher und fast nur noch von Bronce gegossen. Eine Glocke zu Hildesheim, um die Mitte des 11. Jahrhunderts von Bischof Azelin beschafft, soll schon 100 Zentner gewogen haben. Als die grösste Glocke in Deutschland gilt diejenige auf dem mittleren Domturme in Olmütz, Maria gloriosa, von 1497; sie wiegt 275 Ztr. Nachrichten von Glockennamen hat man seit dem 10. Jahrhundert; sie lehnen sich an Stifter, Patronen, an Eigenschaften oder Bestimmungen der Glocke. Schon früh kam die Sitte auf, den Glocken vor dem Aufhängen eine kirchliche Weihe zu geben. Zu Gregors des Grossen Zeit war dafür schon ein Ceremoniell ausgebildet, und die Glockenweihe wurde bald auf ähnliche Weise vollzogen, wie die Kindstaufe. Karl der Grosse verbot wegen der daran geknüpften abergläubischen Vorstellungen 789 die Glockentäufe, ohne damit durchzudringen. Später wurden gegen mancherlei Missbräuche, wie Patengeschenke, obrigkeitliche Beiträge, Gastmäler u. dgl. Verordnungen erlassen; auch entstand nach der Reformation unter den katholischen und protestantischen Theologen Streit über die Zulässigkeit der Glockentaufe, der bis ins 18. Jahrhundert fortdauerte und erst mit der allgemeinen Einführung der Glockenpredigt bei den Protestanten ein Ende erreichte. Bei den Katholiken dauert die Einsegnung noch fort.
Die älteste bekannte datierte Glocke ist vom Jahr 1249 und hängt in der Burchardikirche in Würzburg.
Was den Gebrauch oder die Bestimmungen der Glocken betrifft, so dienten dieselben ursprünglich offenbar zum Zeichen des beginnenden Gottesdienstes. Später kamen für besondere Bestimmungen auf: 1) Betglocken, schon, wie behauptet wird, im 7. Jahrhundert zur Bezeichnung der sieben kanonischen Stunden eingeführt; noch heute bezeichnet Betglocke das Morgen-, Mittag- und Abendläuten; am frühesten wurde von den letztgenannten drei Zeichen das Abendläuten eingeführt., indem Papst Johann XXII. zur Zeit der Abendglocke allen Christen drei Ave Maria zu beten befahl, das Morgenläuten wurde in Städten erst im 15. Jahrhundert allgemein üblich. 2) Die Totenglocke, welche zur Fürbitte der Gläubigen für einen frommen Sterbenden aufruft, wird schon im 8. Jahrhundert erwähnt. 3) Die Predigtglocke wird meist dreimal geläutet, ad invocandum, congregandum et inchoandum, zum Einberufen, Versammeln und Beginnen. 4) Die Wetterglocke ist schon sehr früh in Gebrauch gewesen, sowohl gegen wirklichen Wasserschaden, Blitz, Hagel, Wolkenbruch, als gegen andere Übel und die Pest. Als kräftig gegen die Dämonen galten in der katholischen Zeit die Bibelsprüche Joh. 1, 1 und 14: »Im Anfang war das Wort,« und »Das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns«, dann die Namen des Gekreuzigten, der Evangelisten, der[297] heil. drei Könige, der heil. St. Johann und Paulus als sogen. Wetterherrn. 5) Stunden oder Zeitglocke.
Über den ursprüglichen Zusammenhang der Türme mit den Glocken ist man nicht genau unterrichtet; doch ist selbstverständlich, dass man die Glocken, wo sie eingeführt waren, gern in vorhandene Türme hängte. Im St. Gallischen Klosterplane sind westlich von der Kirche, in einiger Entfernung von dem halbkreisförmigen Säulenvorhofe desselben, zu beiden Seiten des von aussen, in das Kloster führenden Weges zwei symmetrisch gestellte, mit Wendeltreppen gefüllte Rundtürme angegeben, deren einer die Inschrift trägt: ascensus per cochleam ad universa superius picienda, der andere alter similis.
Die Glockeninschriften sind entweder Sprüche, die sich auf die Bestimmung der Glocken beziehen, meist in Versen oder Bibelstellen, Gebetsformen, oder Notizen über Entstehungszeit, Giesser, Donatoren etc. Sprüche, die sich auf die Bestimmung der Glocken beziehen, sind z.B. Vivos voco, mortuos plango, fulgura frango (Münster zu Schaffhausen). Defunctos plango, vivos voco, fulgura frango. Sabbata pango, funera plango, noxia frango. Excito lentos, paco cruentos, dissipo ventos. Laudo deum verum, plebem voco, congrego clerum. Sit tempestatum per me genus omne fugatum, Consona campana depallat singula vana. Vox mea, vox vitae, voco vos ad sacra, venite. Gloriosa heiz ich, die hochzeitlichen fest die beleut ich, die schedlichen weiter vertreib ich und die toten bewein ich. Bibelstellen sind: Procul est dominus impiis etpreces pastorum exaudit, Proverb. 15, 29. Clama, ne cesses, exalta vocem tuam sicut tuba, Jes. 58, 1. Laudate dominum in cymbalis bene sonantibus, Ps. 150. 5. Inprincipio erat verbum etverbum erat apud Deum, Joh. 1, 1. Gloria in excelsis Deo etc., Luc. 2, 14. Ave Maria, gracia plena, dominus tecum. Luc. 1, 48. Weitaus die beliebteste Gebetsformel ist: O rex glorie christe, veni cum pace, eine Inschrift, die seit dem 13. Jahrhundert erscheint und im 15, Jahrhundert ganz allgemein wurde; man legte offenbar dieser Formel eine magische Wirksamkeit gegen Einflüsse der Dämonen zu. Deutsche Gebetsformeln aus älterer Zeit sind selten: O Maria, kum zuo troste unde zuo gnaden allen den die da han Christi nam. Einzelne zauberkräftige Formeln und Namen sind Jesus, Maria, Johannes, gloria patri; Osanna in excelsis; Benedictus, qui venit in nomine Domini, Jesus Nazarenus; Gloria spiritui sancto; Gloria patri, filio et spiritui sancto; Maria, Gottes Zell; Maria, reine muoter; Ave Maria; Maria, Jesus; Sonuit sonus apostolorum; Lucas, Marcus Matheus, St. Johannes defendite nos; ich lüt in sant Franciscus ere; ich lüt in sant Jergen ere. Historische Notizen über Verfertiger, Donator und Entstehungszeit der Glocken sind vor dem 11. Jahrhundert selten. Die Formel fecit in lateinischen Glockeninschriften kann den Giesser oder den Donator bezeichnen; die deutsche Formel für Giesser ist: N.N. goss mich oder hat mich gossen. Siehe Otte, kirchliche Kunst-Archäologie und desselben Verfassers Glockenkunde, Leipz. 1858. Vgl. Böckeler, Beiträge zur Glockenkunde, Aachen 1882.