[333] Gottesfriede, treuga Dei, pax Dei, ist ein mittelalterlich kirchliches Institut, bestimmt, dem ungeregelten Fehdewesen zu steuern. Anfangs waren es die Bischöfe von Aquitanien, welche seit dem 10. Jahrhundert ihre Güter gegen Angriffe durch Androhung des Anathems zu sichern suchten und zu dem Ende mit weltlichen Grossen in freiwillige Vereinigung traten. Erst als durch diese Versuche eine beabsichtigte und durchgreifende Herstellung und Sicherung des allgemeinen Friedens nicht erreicht wurde, beschloss man, sich zunächst mit beschränkenden Massregeln gegen Ausübung des Fehderechtes zu begnügen, wodurch die Gemüter allmählich vom Wege der Gewalt auf den des Rechtes geleitet werden sollten. Diese letztern Massregeln heissen erst Gottesfrieden, im engern Sinne treuga Dei; denn pax Dei, unter welchem man den immerwährenden, grundsätzlichen Frieden verstand, welchen die Kirchen, die Geistlichkeit, die Begräbnisplätze, die Klöster, die Kinder, die Pilger, die Frauen, die Ackerbauer nebst ihren Geräten genossen, war viel älter; erst die treuga Dei beschränkte das gesetzlich bestehende Fehderecht für bestimmte Zeiten und band es an kirchlich bestimmte Regeln. Das geschah zuerst auf einer Synode der Diöcese von Elne im Jahre 1027; hier wurde für die Grafschaft Roussillon festgesetzt, dass der Sonntag dadurch geheiligt werden müsse, dass von der None des Sonnabends bis zur Prime des Montags jeder Angriff auf einen Mönch oder anderen Geistlichen, auf einen Kirchgänger oder einen Begleiter von Frauen unterbleiben[333] solle, sowie dass auch Kirchen nebst einem Umkreise von 50 Schritten nach allen Seiten gegen jeden Angriff sicher sein sollten. Der Friedensbrecher verfiel der Exkommunikation. Bald kamen ähnliche Beschlüsse in andern Teilen Frankreichs zustande und nicht bloss wurden die befriedeten Zeiträume vervielfältigt, sondern auch rein weltlichen Angelegenheiten der gleiche Schutz zugewendet, z.B. dem Markte. Die Grossen, die Bürger und die niedere Volksklasse erklärten mit Eifer, den Vorschriften der Kirche Folge leisten zu wollen, sodass bald in ganz Frankreich dieselben Grundsätze zur Annahme kamen. Die Dauer der befriedeten Zeit hatte sich auf die Zeit von Sonnenuntergang des Donnerstags bis Sonnenaufgang des Montags verlängert und als weitere Friedenszeiten waren dazu gekommen die Zeit vom ersten Tage des Advent bis zum 13. Januar, vom Montage vor der Fastenzeit bis zum Montag nach der Osterwoche und an einzelnen bestimmten Festtagen. Die vollendete Einführung des Gottesfriedens in Frankreich wird in das Jahr 1041 gesetzt.
In Deutschland gelang es zuerst dem Erzbischof von Köln im Jahr 1083, einen Gottesfrieden für seine Diöcese zu stande zu bringen. Heinrich IV. nahm die bis dahin partielle Massregel auf einem Konzil zu Mainz 1085 in die Reichsgesetzgebung auf; beide Urkunden hiessen noch pax Dei. Für befriedete Tage wurden erklärt die Zeiten vom ersten Advent bis Epiphania und vom Sonntag Septuagesima bis Pfingsten, sowie an jeder Woche die Tage vom Donnerstag bis zum Sonntag, mit Einschluss der darauf folgenden Nacht bis Sonnenaufgang, ferner die vier Quatembertage und die Vigilien der Namenstage der Apostel nebst den darauf folgenden Tagen, endlich alle kirchlichen Fast- und Feiertage. Den Schutz des Gottesfriedens genossen die Reisenden und Heimbleibenden, selbst wenn sie Gewalthaten begangen hatten, ausgenommen die gemeinen Diebe und Räuber. Als besonders geschützt werden genannt die Kaufleute auf ihren Handelsreisen, die Ackerbauer bei ihren Arbeiten, die Frauen, die Mitglieder geistlicher Orden.
Papst Urban machte endlich auf der Kirchenversammlung zu Clermont den Gottesfrieden zur Angelegenheit der gesamten Christenheit; seine definitive Ausbildung erhielt das Institut aber im Jahr 1131 auf einer Kirchenversammlung zu Rheims, welche aus den verschiedensten Ländern Europas besucht war; die Beschlüsse von Rheims wurden später öfters durch die Päpste bestätigt und endlich in das Kirchenrecht aufgenommen. Mit der Zeit machte der Gottesfrieden mit seinem kirchlichen Charakter den Landfriedensgeboten von weltlicher Seite Platz, und je mehr das Königtum erstarkte, desto seltener fand sich noch in Gesetzen, Urkunden und geschichtlichen Berichten eine vereinzelte Erwähnung des veralteten Gottesfriedens. Brandes in Ersch und Gruber, Art. Gottesfrieden. Klucksohn, Geschichte des Gottesfriedens, Leipzig 1857. Herzberg Fränkel, Die ältesten Land- und Gottesfrieden in Deutschland, Forsch. z.d.G. XXIII, S. 117 ff.