[467] Kaisersage. Die in Deutschland weit verbreitete Sage von Kaisern, die in Bergen schlafen, ist mythischen Ursprungs. Es ist Wodan, der milde, segnende Gott, der die Frucht des Ackers spendete und nun im Winter, wenn sein wohlthuendes Walten sich nicht bewähren kann, tot oder verzaubert einschläft. Im Wolkenberge, in der Wolkenburg, welche dann geschlossen ist und nicht befruchtenden Regen, sondern nur eisigen Schnee zur Erde sendet, träumt er mit seinem ganzen Totenheere dem Frühlinge entgegen. Dieser Mythus lokalisierte sich und ging in die Gestalten der Lieblingshelden des Volkes über. An vielen Orten Deutschlands erzählt man sich, im Berge sitze ein verzaubertes Kriegsheer und schlafe, an seiner[467] Spitze ein Fürst oder Kaiser. So schläft Kaiser Karl der Grosse im Desenberge bei Marburg, in der Burg Herstalla an der Weser, in der Karleburg bei Löhr am Spessart, im Trautberge und Donnersberge in der Pfalz. Im Sudemerberge bei Goslar ruht Kaiser Heinrich der Vogler verwünscht. Otto der Grosse sitzt verzaubert im Kyffhäuser bei Tilleda, der alten Pfalz des sächsischen Kaiserhauses; später hat die Volkssage Otto den Grossen mit Friedrich Barbarossa vertauscht, der aber fälschlich für Friedrich II. gesetzt war; denn von letzterem glaubte das Volk, er sei nicht tot, er werde wiederkommen, um den unfertigen Kampf mit den Pfaffen auszukämpfen. Über dieses historische Moment der Kaisersage siehe Voigt in Sybels historischer Zeitschr., Bd. 26, und Riezler in Bd. 22. J. Häussner, Unsere Kaisersage. Berl. 1884. Im Kyffhäuser, erzählt nun die Sage, sitzt der Kaiser in einer unterirdischen Höhle mit allen seinen Rittern und Knappen um einen grossen Tisch, durch den sein Bart gewachsen ist. Rund umher stehen zahllose Pferde und rasseln mit den Ketten, sodass es einen gewaltigen Lärm giebt; in den Krippen aber liegt kein Heu, sondern grosse Dornwasen. An den Wänden ist der kostbarste Wein in grossen uralten Fässern aufgespeichert, und obgleich es eine unterirdische Grotte im Berge ist, kann man daselbst doch die grösste Herrlichkeit schauen. Ebenso berühmt ist der Untersberg bei Salzburg als Sitz des schlafenden Karls des Grossen oder Friedrich Barbarossas.
Mit den Sagen vom schlafenden Kaiser- und Geisterheer hat sich eine seit dem 14. Jahrhundert behauptete orientalische Tradition verbunden, wonach ein Heerfürst Herr der Welt werde, dem es gelinge, an einen gewissen dürren Baum seinen Schild aufzuhängen. Den Tataren stand dieser Baum in Tauris, vor Alters in Susa, anderen Orientalen im Hain Mamre. In älterer Zeit hiess es, bei der Welt Ende werde Kaiser Friedrich, von dem man nicht wisse, ob er noch lebe oder gestorben sei, wieder auferstehen. Er hängt seinen Schild an einen dürren Baum, der grünt aufs neue und der Kaiser gewinnt das heilige Grab wieder aus den Händen der Türken. Am Unterberge erzählte man: Hat Kaiser Friedrichs Bart die dritte Tischecke erreicht, so tritt das Weltende ein, der Antichrist erscheint, die Engelsposaunen ertönen und auf dem Walserfelde wird eine blutige Schlachtgeschlagen. Da steht ein dürrer Birnbaum, der schon dreimal umgehauen wurde, seine Wurzel schlug immer wieder aus. Hier hängt Rotbart seinen Schild auf, alles wird hinzulaufen und ein solches Blutbad sein, dass den Kriegern das Blut in die Schuhe rinnt. Da werden die bösen von den guten Menschen erschlagen werden. Über alle deutschen Gaue hat sich diese Sage verbreitet. Nach Mannhardt, Göttermythen. S. 135 ff.