[627] Marienkultus. Ein solcher ist zwar nicht vor dem 5. Jahrhundert nachzuweisen; doch gehören die Vorbereitungen dazu, welche in dem Bestreben ihren Grund haben, die Mutter Jesu über ihre neutestamentliche Stellung zu erheben, immerhin früheren Jahrhunderten an. Das nächste Interesse zu dieser Erhehebung liegt in der reicheren Ausbildung der Lehre vom Gottesmenschen und des Aktes seiner Menschwerdung. Sodann griff die typisch allegorische Interpretation des Alten und Neuen Testaments schon im 2. Jahrhundert zu Vergleichungen der Eva und der Maria; jene glaubte der Schlange und wurde dadurch Urheberin der Sünde, des Todes; diese glaubte der Botschaft des Engels und wurde dadurch Werkzeug des Heiles, des Lebens; anfänglich nur als unverfängliches Spiel ausgesprochen, gewöhnte man sich doch mit der Zeit daran, Maria im vollen Sinne zur Begründerin einer neuen Menschheit, zur Mittlerin und Fürbitterin bei Christus zu machen. Eine weitere Entwicklung der Marienverehrung liegt in der seit dem 4. Jahrhundert besonders durch das Mönchtum verbreiteten und geförderten Wertschätzung des asketischen Lebens und der Virginität. Anfänglich nahm man zwar an, Maria sei bloss vor der Geburt Jesu Jungfrau gewesen, habe aber später den Joseph geehelicht und ihm Kinder geboren; später wurde das bestritten, und man nahm entweder bloss eine Scheinehe an oder nannte die Brüder Jesu Söhne Josephs aus einer früheren Ehe, oder bloss Vettern desselben; die Scheinehe aber hielt man darum für notwendig, damit dem Fürsten der Welt das Mysterium der jungfräulichen Geburt verborgen bliebe. Die weitere Folge dieser Lehre war, dass man Maria nicht bloss moralisch, sondern auch physisch Jungfrau bleiben liess, und annahm, dass sie mit geschlossenem Leibe, clauso utero, geboren habe, namentlich in Anlehnung an Ezechiel 44, 13, wo von dem verschlossenen östlichen Thore des Tempels die Rede ist, durch welches Jehova hindurchgegangen sei, welches nun typisch auf Maria bezogen wurde. Dazu kam schliesslich die Vorstellung, dass Maria auch ohne Schmerzen und Belästigung geboren habe.
Ihren Ausdruck erhielten diese Ansichten im 3. und 4. Jahrhundert in einer Reihe von apokryphischen Erzählungen, durch welche die dürftigen Nachrichten des neuen Testamentes über die Jugendgeschichte Jesu ergänzt werden sollten; die älteste derselben ist das Protevangelium Jakobi, von dem die Erzählungen vom Zimmermann Joseph,[627] von der Geburt der Maria und von der Kindheit Jesu bloss verschiedene Redaktionen oder Fortbildungen sind. Danach heissen Marias Eltern Joachim und Anna, die, ein kinderloses Ehepaar, im Falle der Geburt eines Kindes dasselbe dem Herrn zu weihen gelobten, dem es alle Tage des Lebens in steter Viginität dienen solle. Obschon die Kirche diese Schriften als unecht verwarf, blieben doch manche Züge daraus in der kirchlichen Tradition bestehen, ausser den Namen der Eltern die Erziehung der Maria im Tempel, die Scheinehe mit dem bei der Versprechung schon 90 Jahre alten Joseph, die Geburt der Maria in einer Höhle.
Zur Aufnahme der Marienverehrung trug sodann, obgleich unbewusst, der Umstand bei, dass die bekehrten Heiden, die unwillkürlich nach Analogieen ihrer herkömmlichen Götterverehrung mit dem christlichen Glauben suchten, in Maria Züge ihrer weiblichen Gottheiten wiederzufinden meinten oder jene in ihre Auffassung der Gottesmutter hineinlegten; bei den Germanen gingen viele Züge der Himmelskönigin Freia auf Maria über (siehe Freia).
Ein wichtiger Wendepunkt in der Entwicklung der Marienverehrung war der Nestorianische Streit. Nestorius, seit 428 Erzbischof von Konstantinopel, der für die Unterscheidung der beiden Naturen in Christo eintrat, bestritt die Zweckmässigkeit des verbreiteten Attributes der Maria ϑεοτόκος, Gottesgebärerin, und wollte sie lieber χριστοτόκος, Christusgebärerin, genannt wissen. Gegen ihn trat Cyrillus, Bischof von Alexandrien, auf und setzte es auf der Synode zu Ephesus 431 durch, dass die Ansicht des Nestorius verdammt und die Rechtgläubigkeit des Namens Gottesgebärerin anerkannt wurde. Ein ungeheurer Jubel begleitete die Entscheidung; man nannte jetzt Maria das Paradies des zweiten Adam, die wahrhaftige leichte Wolke, auf welcher der über den Cherubim Thronende fährt, die einzige Brücke Gottes zu den Menschen, den beseelten Strauch der Natur, den das Feuer nicht verbrannt hat, den Webestuhl der Menschwerdung. Und da um dieselbe Zeit die Verehrung der Märtyrer und Heiligen als Fürsprecher für die Sünder in ihrer kräftigen Blüte stand, trat nun Maria an ihre Spitze. Die Gebete an sie wurden jetzt erst allgemein. Kirchen wurden ihr geweiht, Altäre errichtet, Bilder aufgestellt; im Jahre 606 wurde das längst verschlossene Pantheon des Agrippa zu Rom zu einem Tempel der Maria ad martyres geweiht.
Bald erzählte man auch von Wundern, welche Maria gewirkt haben sollte, und stellte ihr Bild mit denen der übrigen Heiligen nicht bloss in Kirchen, sondern auch in Häusern und auf Wegen allgemein aus, zündete vor ihnen Lichter an, beräucherte sie, betete vor ihnen. Es bildete sich jetzt auch eine Tradition über ihre Gestalt und ihr Aussehen; im 11. Jahrhundert wurde sie mittlerer Gestalt geschildert, bräunlicher Farbe, gelblichen Haares, ovalen Angesichts, schmaler und länglicher Handbildung. Als das berühmteste Bild galt das, welches angeblich von Lukas stammt.
In ihren Bildern stellte man anfänglich Maria, in den Gesichtszügen ihrem Sohne ähnlich, als Matrone von 4050 Jahren dar; im 13. Jahrhundert erscheint sie jünger und ziemlich von gleichem Alter mit Jesus, gegen Ende des Mittelalters oft als Mädchen von 1620 Jahren. Ausser dem langen Untergewande trägt sie einen weiten, oft zugleich als Schleier dienenden Mantel, den Mantel der Gnade; die typischen[628] Farben ihrer Kleidung sind blau und rot. Nach Offenb. 12, 1 erscheint Maria in Statuen von einer strahlenden Sonne umgeben, auf dem Haupt eine Krone von 12 Sternen, in der einen Hand das Zepter, auf dem anderen Arm das Kind, zu ihren Füssen den Mond, der auf der Erdkugel steht, um welche sich eine Schlange windet mit dem Apfel im Maul.
Man unterscheidet Marienbilder als Gegenstand religiöser Verehrung, und historische Bilder. Die Marienbilder als Gegenstand religiöser Verehrung stellen entweder die Jungfrau ohne das Kind dar als verschleierte Matrone mit betend ausgebreiteten Armen, zur rechten Hand ihres verherrlichten Sohnes sitzend, Sponsa Dei; in einem Buche lesend als Virgo Sapientissima; von Gott Vater und Christus gekrönt als Virgo incoronata; ihren Mantel ausbreitend über die gläubige Gemeinde als Mater misericordiae, »Maria Schutz«; unter dem Kreuze stehend; ein Schwert, auch fünf oder sieben Schwerter in der Brust, mit Beziehung auf ihre sieben Schmerzen (Beschneidung Christi, Flucht nach Ägypten, Verlierung Jesu im Tempel, Kreuztragung Jesu, Kreuzigung, Kreuzabnahme, Grablegung); im Gegensatze zu den sieben Freuden (Verkündigung, Heimsuchung, Geburt Christi, Anbetung der Weisen, Auferstehung Christi, Ausgiessung des heiligen Geistes, Krönung durch Gott Vater und Christus) als Mater dolorosa; auf der Mondsichel als Virgo purissima, Gottes Magd; Regina sine labe originali concepta, Himmelskönigin. Seit dem 15. Jahrhundert kommen die sogenannten Rosenkranzbilder auf, in welchen rote und weisse Rosen (Freuden und Leiden) die Jungfrau umgeben, welcher alle Stände Rosenkränze überreichen; ähnlich sind die Bilder der »Maria im Rosenhag«. Oder die Jungfrau ist mit dem Kinde dargestellt, auf dem Throne sitzend, das Kind auf dem Schoss, in feierlich ernstem Typus als Mutter Gottes, Sancta Dei genitrix, oder das Kind auf den Armen haltend, in reizend lieblichem Typus als Mater amabilis, alma Mater. Die historischen Bilder stellen das Leben der heiligen Jungfrau nach jenen apokryphischen Legenden und nach der heiligen Schrift vor. (Siehe über die Bilder: Otte, Handbuch der kirchlichen Kunstarchäologie S. 940 ff.)
Die im 11. Jahrhundert auftretende asketische Richtung der Theologie und der Kirche nimmt im Mariendienste noch höheren Schwung; Peter Damiani, der Freund Gregors VII., nennt Maria deificata, vergottet, alle Gewalt ist ihr im Himmel und auf Erden gegeben, kein Ding unmöglich, Verzweifelnde richtet sie zur Hoffnung auf. Sie tritt vor den goldenen Altar der Versöhnung, nicht als Magd, sondern als Herrin, befehlend, nicht bittend. Sie ist das goldene Bett, auf welchem Gott ermüdet von der Menschen und Engel Treiben sich niederlegt und Ruhe findet. In wahrhafter Verzückung erzählt Damiani die Vorbereitungen zur Verkündigung; die vernünftige Kreatur fällt, der Allmächtige birgt schweigend seine Verlegenheit, endlich wird Maria geboren und entfaltet in ihrer Blüte einen solchen Zauber der Schönheit, dass sie selbst das Auge Gottes reizt; in heftiger Liebe entbrannt, singt er das ganze hohe Lied zu ihrer Ehre; unfähig, seine Leidenschaft zurückzuhalten, sammelt er die Engel und verkündet den Staunenden seinen Ratschluss, dass wie durch ihn alles geschaffen, so auch durch sie alles erneuert werden soll. Dieser Beschluss wird in Schrift gefasst dem Engel Gabriel übergeben. Ähnlich sprechen sich Bernhard von Clairveaux, Bonaventura und andere aus.[629]
Infolge dieser Vorgänge prägte sich der Marienkultus seit dieser Zeit immer mehr in den Formen des kirchlichen Lebens aus, und wenn es an mancherlei Warnungen auch jetzt nicht fehlte, trat ihre Verehrung thatsächlich ebenbürtig neben diejenige Christi. Seit dem 11. Jahrhundert widmete man ihr in den Klöstern ein Offizium und heiligte ihr den Samstag, wie Christo der Sonntag geheiligt war; auf dem Konzil zu Clermont dehnte Urban II. 1095 die Rezitation des Offizium auf den gesammten Klerus aus. Gegen das Ende dieses Jahrhunderts kennt man im Abendlande schon über 100 der Maria geweihte Klöster. Natürlich waren auch ihre Reliquien vor allen anderen gesucht und wunderthätig. Die Kirche zu Chartres besass ihr Hemd; die Klosterkirche zu Fleury von ihrer Milch; das Kloster Trenorch in Frankreich die Gewänder, die sie teils für sich, teils für ihren Sohn gewoben; dem Kloster Monte Cassino schenkte Benedikt VIII. ein Stück von ihrem Schleier. Kaiser Karl IV. besass ausser den Doubletten aller genannten Stücke einen Rest der Wachskerze, die bei ihrem Tode brannte, und einen Palmzweig, den die Apostel vor ihrer Bahre hertrugen. Die berühmteste Reliquie ist aber ihr Wohnhaus, welches 1291, als Palästina den Abendländern völlig verloren ging, von Engeln nach Tersale in Dalmatien, drei Jahre später aber nach Recanati in Picenum (Loretto) getragen worden sein sollte.
Besondere Verehrung genoss Maria in den Orden. Sie war Patronin des deutschen Ritterordens; die Dominikaner widmeten ihr seit 1270 den Rosenkranz, die Franziskaner eiferten für ihre unbefleckte Empfängnis, die Karmeliter errichteten auf der Maria Ermahnung hin die Skapulierbrüderschaft. Seit dem Ende des 14. Jahrhunderts vereinigten sich allenthalben gleichge sinnte Marienverehrer zu Liebfrauen gilden, die sich zur feierlichen Begehung der Marienfeste (siehe den Artikel Feste), zur Teilnahme am Begräbnis ihrer Angehörigen und dergleichen verpflichteten.
Mit der Zeit war der Mariendienst ein beliebter Stoff der lateinischen und der deutschen Dichtung des Mittelalters geworden. Über das Alter der frühesten Marienhymnen ist nichts Näheres ausgemacht; es gehört dazu namentlich der Hymnus Ave maris stella. Diese sind gesammelt in Mones' lateinischen Hymnen des Mittelalters, Bd. II., Marienlieder 1854.
In der deutschen Dichtung beginnt die Marienpoesie nicht vor dem Anfang des 12. Jahrhunderts; Ottfried und Heliand, die doch Veranlassung genug gehabt hätten, zeigen noch keine Spur von ausgebildeter Marienverehrung. Diese beginnt vielmehr mit lyrischen Dichtungen zum Lobe der Jungfrau, worunter besonders das sogenannte Mölker Marienlied, dessen erste Strophe lautet:
Ju in erde leite
Aaron eine gerte:
diu gebar mandalon
nuzze alsô edile.
die suozze hâst dû fure brâht,
muoter âne mannes rât,
sancta Maria.
Es ist aber alle Mariendichtung, lateinische wie deutsche, getragen und erfüllt von einer reichen Zahl allegorisch-symbolischer Bilder, die sich meist auf das Wunder der Geburt Christi beziehen und Erscheinungen aus der Bibel oder aus der Natur betreffen, in denen eine wirkliche oder scheinbare übernatürliche Wirkung zu Tage tritt. Wilhelm Grimm hat in seiner Ausgabe von Konrad von Würzburg goldener Schmiede, Berlin 1840, diese Bilder nach ihren Fundorten zusammengestellt, von[630] denen hier die bezeichnendsten angemerkt werden mögen. Maria wurde von Gott durchdrungen wie die Sonne durch Glas scheint; wie Krystall und Beryll kalt bleiben, während eine Kerze durch sie entzündet wird, so ward durch den göttlichen Schein Christus, das wahre Licht, entzündet. Sie ist wie ein Spiegel, der tausend Bilder aufnimmt, ohne verletzt zu werden; wie die Luft, die klar und hell ist, wenn die Sonne durch sie scheint, sonst aber dunkel; wie das Gestirn seinen Glanz hervorbringt, so gebar sie den Herrn ohne Schmerz. Gott war bei ihr, wie die Sonne bei den Blumen wenn sie den Tau verzehrt; sie ist der feurige Busch, der unversehrt blieb; der Berg, aus dem der Stein, d.i. Christus kam, der das Bild zerstörte, welches Nebukadnezar im Traume sah, die ewige Pforte des Himmelreichs, des Paradieses, der Saelde, denn sie empfing das Wort durch das Thor ihres Ohres, wodurch die Taube, der heilige Geist, leise in ihr Herz geflogen kam; sie ist die Pforte des Tempels gen Morgen, die verschlossen war und durch welche nur der Herr einging; wie das Einhorn, das nicht erjagt werden kann, aber freiwillig zu einer reinen Jungfrau kommt und in ihrem Schoss entschläft, so ist Christus, von dem Himmelsjäger getrieben, zu Maria gekommen. Sie gleicht der Gerte Aarons, welche, obgleich dürr, dennoch grünte, blühte und Mandeln trug, daher sie auch Mandelbaumes Blüte, blühendes Mandelreis, blühendes Himmelreis, genannt wird; sie ist die blühende Garbe von Jesse nach Jesaias 11, 10 und Römer 15, 12; eine blühende Aloe, die Rute, womit Moses das Meer teilte, das Körblein, in dem Meses auf das Wasser gesetzt wurde; wie das Seidenwürmlein im Gespinnst ward Christus bei ihr gefunden; sie gleicht der Blume im Meer, in welche sich nachts ein Vogel senkt und einschliesst; sie ist das Wiesel, von der das Hermelin geboren ward, Gold und Seide oder Seide und Flachs ward zusammengebunden; sie ist der Zünder, an welchem Gottes Flamme sich entzündete, das Feuer des Lebens, in dem der alte Phönix sich verjüngte, der versiegelte Brunnen nach Hohes Lied 4, 12.; die Erde, mit der sich der Himmel vereinte, die gebenedeite Erde, der beschlossene Garten, den Gott selbst hütete, nach Hohes Lied 4, 12; die Aue, die von Himmelstau begossen und beregnet, Blumen trägt; das Lammfell Gideons, welches allein von dem Tau befeuchtet ward, während alles andere trocken blieb; sie ist das Siegel, auf welches die Gottheit sich abdrückte, das Oblateisen des lebendigen Himmelsbrotes, Gottes Tabernakel, der geweihte goldene Schrein, der das Himmelsbrot beschlossen hat, der Balsamschrein, der goldene Eimer, das Wachs, in welches der Honig der göttlichen Süssigkeit gelegt ward, das Himmelsnest des Pelikans, das oberste Himmelreich; darin Gott wohnt, Gottes Statt, Zelle, Palast, Zelt, Kapelle, Saal, Haus, Gadem, Arche, Tempel, Thron, Sedel, Sessel, Fürstenstuhl, der Werder, in dessen herrlichem Kräuterduft Gott sich erging, die Kammer der wahren Sonne, die Krippe des Lammes, Salomons Thron und Tempel.
Als Mutter und Jungfrau zugleich heisst sie muotermeit, meitmuoter, Gebärerin des Schöpfers, Gottesbraut, Himmelsbraut, Braut von Nazareth, Erwählte Gottes Dirne, Gottes Mutter, Tochter, Gemahl, Amme; sie war bei Joseph wie das blühende Rosenblatt bei dem scharfen Dorne, daher sie Rose ohne Dornen heisst, nach Hohes Lied 2, 2, Rose im Himmelstau, Lilie in Dornen, Zederbaum ohne Wurm, Turteltaube ohne Galle; ihre Keuschheit gleicht dem weissen Schnee, dem Elfenbein, der Taube, dem arabischen Golde.[631]
Nach einer andern Richtung heisst Maria Himmelskaiserin, Kaiserin, sie ist von Davids Geschlecht, Davids Turn, nach Hohes Lied 4, 4; Salomons Kind, Tochter von Sion, Jerusalems Zinne. Sie heisst Himmelskönigin, trägt eine Krone von zwölf Sternen auf dem Haupt, hat die Sonne zum Kleid, den Mond zum Schemel nach Offenb. Joh. 12, 1; sie ist selbst die Sonne, das Licht, die Morgenröte, der Mond, nach Hohes Lied 6, 9; sie gleicht dem Adler, dessen Augen allein das Sonnenlicht ertragen, sie ist eine Fackel, die vor Erschaffung aller Dinge vor Gottes Antlitz brannte.
Gries und Staub, Gras und Laub, Regentropfen und Sterne, könnten sie sprechen, würden ihr Lob nicht zu Ende bringen; wie das Meer (mare) alle Flüsse sammelt, so vereinigt Maria alle Güte. Unerschöpflich sind die Gleichnisse, die ihre Herrlichkeit ausdrücken; sie ist der Welt Heil, ein Himmelshort, Spiegel der Wonne, Spiegelglanz der Engelschar, der Engel Augenweide, der Engel Königin und Kaiserin, Frau und Vögtin, diu hoehste in himel über elliu lant, himelvrouwe, vrouwe aller vreude, der vreuden tür, vröudental, wunnentanz, seitenklanc, himelsanc, des herzen schal; sie ist der saelden tac, ursprinc, gater und houbetschatz, der saelden kint, ein Glücksrad, des wunsches wunsch, ein Diamant, der weise, der Edelstein in der Reichskrone, der Karfunkel, der vor Gottes Thron leuchtet, Smaragd, Saphir, Perle, goldes bouge, die triefende Honigwabe nach Hohes Lied 4, 11., Himmelsmanna, Zuckerwabe, Zuckerstaude, lebendiu himelspîse, Milch. Sie ist der Saal, der Berg und Thal einschliesst, das Paradies des herrlichen Obstes, ein Garten edler Blumen und gewürzreicher Kräuter, eine blühende Heide, ein Rosengarten, eine Himmelsrose, Rose von Jericho, Lilie, Lilienaue, Rose und Lilie, zugleich wegen ihrer Liebe und Reinheit, brennende Minnenblüte. Wie die rote und weisse, ist sie auch die kalte und warme, und weil sie, die weisse, von dem Feuer des Geistes berührt und gebräunt worden ist, ist sie auch die schwarze und liebliche, nach Hohes Lied 1, 4. 5. Sie ist die Viole wegen ihrer Demut, Violgeruch im März, Violenfeld, ôstergloie, zîtelôse, grüenender klee, balsam, balsamîte, myrrhe nach Hohes Lied 5, 6., bîsam, wîrouchbühse, lavendel, Muskatblume, Muskatnuss, Nelkenblüte, Apotheke nach Hohes Lied 3. 6., Weingarten, Traube, Garbe. Weizengarbe, Acker, auf dem der Weizen reifte, Ölbaum, Granatbaum, Zeder auf Libanon, Cypresse in Sion, Palme von Cades nach Joh. 7, 7., Platane.
Maria, die Mutter aller Christenheit, ist die zweite Eva; daher grüsste sie Gabriel mit ave, dem umgekehrten Eva; sie giebt das Leben, indem sie den Sünder zum Heil führt, sie erleuchtet die finstere Nacht, als sei es Tag, sie ist daher der Meerstern, leitesterne, Morgenstern, trêmuntâne, Stern von Jakob, Stern der drei Könige, trôst der wîselôsen, ihr banier und leitvan, sie trägt die höchste Sturmfahne wider die Hölle, sie ist der vrideschilt der Christenheit, der Gnadensee, wo man mit Freuden landet, ankerhaft, Segelwind, Gnadenflut, Himmelsstrasse, Himmelspfad. Da ihr Gewand den Geruch von Aromatkräutern hat, so ziehen ihr die kranken Seelen auf der Himmelsstrasse (der Milchstrasse) nach, wie dem Panther im Mai seines süssen Atems wegen alles Wild nachläuft. Dem Schwererkrankten ist sie ein salbe und lactwarje, sie reinigt die Seele wie der Kampfer den, der ihn an die Nase hält, sie ist die Büchse, die Salbe trägt für alles Weh, die Arznei der Sünder, die wünschelgerte der saelden, die Wünschelrute der Gnade,[632] womit in der Wüste Wasser aus dem Stein geschlagen wurde, ein süsser Tau, ein lebender Brunnen, ein Bach den Durstigen, das Wasser des Paradieses, das in vier Arme sich teilt, das sind Christen, Ketzer, Juden und Heiden, über die sich ihr Trost ergiesst; wie der Adler seine Jungen aus dem Neste, so führt sie uns der Sonne entgegen; wie der Strauss seine Eier ausbrütet, indem er sie anblickt, so ist ihr Auge über uns geöffnet und bewacht uns.
Da Maria den bösen Feind verjagt und seine Macht zerstört, so gleicht sie der Judith, die dem Holofernes das Haupt abschlug; sie ist vor Christus unsere vögtinne, advocata, süenaerinne, sünden wenderinne, die müllerin, die das Korn der Gottheit gedroschen, gemahlen und zu Himmelsbrot gebacken hat. Der Schmerz bei dem Tode ihres Sohnes drang nach Luk. 2, 35 als ein Schwert durch ihre Seele.
Die deutsche Mariendichtung der höfischen Periode geht teils von geistlichen, teils von weltlichen Dichtern aus und gehört entweder der epischen oder der lyrischen Gattung an. Unter die epischen Dichtungen, die sämtlich von Geistlichen herrühren, zählen eine Anzahl breit ausgeführter Marienleben nach den oben erwähnten apokryphischen Quellen; dazu gehört ein Gedicht des Mönches Wernher von Tegernsee, das in drei liet zerfällt, deren erstes die Geschichte Annens, das zweite die Jugend Marias und ihre Vermählung mit Joseph, und das dritte die Geburt des Heilands und die Geschichte bis zur Rückkehr nach Judäa enthält; im 14. Jahrhundert schrieb Walther von Rheinau ein Marienleben in 15000 Versen, ein anderes Bruder Philipp, ein norddeutscher Kartäuser Mönch; auch das Passional begreift in seinem ersten Buche denselben Inhalt.
Von höfischen Dichtern giebt es Leiche, Lieder und Sprüche zum Lobe Mariens, doch nicht in grosser Anzahl; im ganzen war ihr Sinn mehr weltlichen Stoffen und namentlich weltlicher Minne zugewandt, wenn schon anderseits der höfische Frauendienst im Mariendienste seine religiöse Weihe erblickte, beide Erscheinungen jedenfalls ähnlichen inneren Ursachen ihr Dasein verdanken; es fällt auf, dass in Wolframs Werken keine Spur von einer Verehrung der Jungfrau sich zeigt. Ein weitausgesponnener Hymnus auf Maria, den man früher Gottfried von Strassburg zuzuschreiben pflegte, ist nachgewiesenermassen nicht von ihm, und ausser Walther von der Vogelweide, der in seinem Leich das Lob der Dreifaltigkeit und der Jungfrau würdig und innig singt, hat man bloss von etwa einem Dutzend Minnesänger lyrische Dichtungen auf Maria erhalten. Die dreimal fünfzig Mariengrüsse eines Unbekannten (herausgegeben von Pfeiffer in Haupts Zeitschrift, VIII.), je eine vierzeilige Strophe, deren ein Drittel mit wis gegrüezet, ein anderes mit vreue dich, und ein drittes mit hilf uns beginnt, und Konrad von Würzburgs goldene Schmiede gehören schon nicht mehr der obersten Blüte höfischer Poesie an; doch erhielt sich die goldene Schmiede bis ins 15. Jahrhundert in Ansehen, was sie namentlich der Gottfried von Strassburg nachgeahmten Feierlichkeit der Rede und dem Prunk von Worten verdankt. Das Gedicht, das 2000 Verse stark ist, beginnt:
Ei künd ich wol enmitten
in mînes herzen smitten
getihte ûz golde smelzen,
und liehten sin gevelzen,
von karfunkel schône drîn
dir, hôhiu himelkeiserin,
sô wold ich diner wirde ganz
ein lop durchliuchtic unde glanz
dar ûz vil harte gerne smiden.
nû bin ich an der künste liden[633]
so meisterlîchen niht bereit,
daz ich nâch dîner wirdekeit
der zungen hamer künne slahen,
oder mînen munt also getwahen,
daz er ze dînem prîse tüge.
ob immer ûf ze berge vlüge
mîn rede alsam ein adelar,
dîn lop enkünd ich nimmer gar
mit sprüchen überhoehen .....
Er muoz der künste meijen rîs
tragen in der brüste sîn,
swer dîner wirde schapelîn
sol blüemen unde vlehten,
daz er mit roeselehten
sprüchen ez flôriere
und allenthalben ziere
mit vîolînen worten,
sô daz er an den orten
vor allem valsche es linter,
und wilder rîme kriuter
darunder und darzwischen
vil schône künne mischen
in der süezen rede bluot.
Konrad von Würzburg nennt in seinem Gedichte Dominikus und Franziskus als diejenigen, welche Mariens Lob geprediget hätten; auch fernerhin sorgten die neuen Mönchsorden und die Scholastiker dafür, dass die Marianischen Geheimnisse immer neu unters Volk gebracht wurden; es giebt bis zur Reformation zahlreiche Mariengedichte, welche im ganzen demselben Bilder- und Gleichnisse-Kreis entnommen sind, der überhaupt der Marienverehrung zu Grunde lag, nur dass bei der zunehmenden Beschäftigung damit die Sache mehr und mehr ein handwerksmässiges Ansehen erhielt; Mariendichtungen dieser Art sind z.B. auf uns gekommen von Peter von Suchenwirt, Muskatblüt, Heinrich von Laufenberg, Hugo von Montfort, Oswald von Wolkenstein. In den Meistersängerschulen war dieser Stoff bis zur Reformation sehr beliebt, auch Hans Sachs sang anfänglich Marienlieder.
Neben diese dogmatisch-scholastische Auffassung der Jungfrau tritt seit dem 14. Jahrhundert eine Auffassung, welche das menschliche, das mütterliche Element in engster Verbindung mit dem leidenden Christus betont, die Romantik des Marienkultus mit menschlicher Teilnahme an ihrem Schicksal vertauscht. Diese Auffassung findet sich einesteils in den Liedern der Mystiker, die überhaupt das persönlich-menschliche Element Christi wieder hervorhoben, auch lateinische Hymnen gehören dahin, namentlich Stabat mater dolorosa von dem als Franziskaner 1308 gestorbenen Jacoponus oder Jacobus de Benedictis; derselbe soll das Lied im Gefängnisse gedichtet haben, in das ihn Bonifacius VII. deshalb werfen liess, weil der Mönch ihn seiner Sitten halber streng gerügt hatte; andererseits in den Osterspielen, in denen die Marienklage ein stehendes Motiv war, welches auch als selbständige epische oder lyrische Dichtung Anwendung fand. Siehe namentlich Steitz in Herzogs Real-Encykl., Artikel Maria, Mutter des Herrn.
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