Markt und Marktplatz

[637] Markt und Marktplatz ist im Mittelalter der Mittelpunkt des städtischen Lebens, er fehlt auch der kleinsten Stadt nie, liegt gewöhnlich im volksreichsten Teile, oft geradezu in der Mitte der Stadt, mit mancherlei Kunstgebilden geschmückt und häufig schon mit Steinen gepflastert. Ihn ziert in norddeutschen Städten oft das Rulandsbild, bald in ritterlichem Gewande mit Harnisch, bald im Krönungsornat, bald jugendliche, bald greise Züge tragend, ein Wahrzeichen der städtischen Gerechtigkeiten und Freiheiten. Weniger verbreitet ist das Friedkreuz mit dem Königshandschuhe, ein Stein- oder Holzkreuz als Verkünder des die Stadt behütenden sog. St. Peters- oder Gottesfriedens, woran der Handschuh aufgehangen wurde, welchen der König zum Beweise bewilligter Marktfreiung den damit[637] begnadigten Städten zuzusenden pflegte.

Die Bedeutung des Marktes ist aber eine doppelte, eine spezifischjuristische und eine wirtschaftlichmerkantile.

A. Als Ort der städtischen Rechtshandhabung ist der Markt

1. die stadtgerichtliche Dingstätte, wo in älterer Zeit namentlich in peinlichen Sachen Gericht gehegt zu werden pflegte. Es war althergebrachte Sitte, dass an einem freien und unbedeckten Orte Recht gesprochen wurde: die nötigen Tische, Bänke und Einfriedigungen wurden für den einzelnen Fall besonders aufgeschlagen. Erst allmählich zog sich das Gericht in ein eigen hergestelltes Ding- oder Gerichtshaus, das ebenfalls am Markte errichtet wurde. Ursprünglich waren dies bloss überdeckte, schuppenartige Hallen von Holz, später kleine einstöckige Fachwerk- oder Steinbauten, die an der, der Strasse zugekehrten Vorderwand durch breite Fenster dem Volke vollen Einblick gestatteten. Schliesslich wurden stattliche Amtshäuser eingerichtet.

2. Auch ordentliche Richtstätte war der Marktplatz in älterer Zeit; hier wurden Hinrichtungen, öffentliche Ausstellungen, Stäupungen u. dgl. vollzogen; hier oder in nächster Nähe des Marktplatzes stand der Pranger, der entweder ein aus einem behauenen Felsblocke bestehender einfacher Schandstein war, oder ein Schandpfahl, oberdeutsch meist schreiat, d.h. Verrufsstätte, eine Stein- Holz- oder Eisensäule von ansehnlicher Länge, an der Spitze zuweilen mit Schnitzerei, z.B. der Figur eines Henkers geziert, auf einem gestuften viereckigen festgemauerten Postamente angebracht, oder drittens ein Schandkorb, statt dessen auch die preche genannt wird, ein Lattenverschlag oder Bretterkasten, oder das Narren- oder Drillhäuschen. Für strafrichterliche Zwecke fand sich im Umfange des Marktplatzes das Henkerhaus und der Stock, der letztere ein Bewahrungsraum für Verbrecher. Auch die Richtstätte wurde im Verlaufe der Zeit, und zwar meist schon früh, vom Marktplatze getrennt und entweder unmittelbar vor ein Thor oder noch weiter hinaus verlegt.

Übrigens blieb die eigentliche Richtstätte stets der Ort, wo das Hochgericht oder der Galgen errichtet stand; derselbe musste aber auf freier, weithin sichtbarer Stelle stehen. Die bauliche Herstellung des Hochgerichtes lag in den Städten bald nur gewissen Zünften, wie den Zimmerleuten, Schmieden, und Schlossern ob, bald den gesamten Handwerken.

B. Auf dem Markte findet in zweiter Linie die Entfaltung des mit dem Gewerbe eng verbundenen Kleinhandels statt. Als Handels-Ort hatte der Markt ursprünglich seine feste räumliche Abgrenzung. Die Verkaufsstätten, mit dem der Markt versehen war, waren entweder Stände, d.h. offene Stehplätze samt dazu gehörigen auf dem Marktboden angewiesenen Auffahrt- und Auslagestellen, oder Bänke, entweder hohe dreibeinige Holzschemel und Tische, oder kurzfüssige leicht ausgehöhlte Rohklötze zur Schaulegung von Fleischwaren, Fischen, Bäckereien, Leder- und Schuhwerk; an Schragen oder Holzgestellen wurden fertige Kleider und geschlachtete Tiere aufgehängt. Eine dritte Art der Verkaufsstätten sind Hütten, mit Linnen oder Blahen oder mit Holzbedachung versehene verschliessbare Bretterverschläge. Die genannten Verkaufs-Einrichtungen hatten ihre fixierten Standorte und bildeten entweder langgestreckte Kolonnen oder engere Bänke- und Hütten-Komplexe, gleichsam gemeinschaftliche Sonder – Markt – Orte der Einzelgewerbe darstellend. Das Eigentum an den Verkaufsstätten stand der[638] Stadtgemeinde zu und es musste dafür ein »Standgeld« bezahlt werden, das zuweilen in einem Quantum Pfeffer oder in anderen Gewerbsprodukten bestand. Eine vierte Gattung der Verkaufsstätten hiess buden, auch bauden, krame, gademen, koufgaden, stadel; es waren durch Einmauerung fest mit dem Erdboden verbundene Gehäuse, bald völlig freistehend, bald rücklings an ein anderes Gebäude angelehnt, regelmässig ein einziges Gemach bildend, mit einer seitwärts angebrachten Thüre und einem die ganze Breite der Vorderwand füllenden Auslage- oder Verkaufsfenster versehen, durch welches der auf Stapfeln davor stehende Käufer die begehrten Waren empfing. Ähnlicher Art waren Verkaufskammern im Unterteil eines Wohn- oder Geschäftshauses, oder Vereinigungen mehrerer Buden zu einem einzigen eindachigen Gebäude, oder Halbbuden. Buden gab es auch ausser dem Marktplatze, namentlich an den vorspringenden Aussenteilen eines Gotteshauses angebaut. Auch die Buden waren in der Regel Eigentum der Stadtgemeinde, doch konnten sie durch Verlosung, Vermietung, Verstiftung auf Lebenszeit und durch Erbverpachtung übertragen werden.

Für den höheren Detailhandel dienten die Lauben; es sind ausserhalb des Marktplatzes in breiten Strassen angelegte, ebenerdige, nach drei Seiten offene, überdeckte Bogen- und Säulengänge, die längs den Häusern bald als vorgeschobene Anbaue, bald als Träger der oberen Stockwerke hinliefen. Sie wurden zur Feilbietung von »brot und fleisch, wat und kram und allerlei koufmanschaft«, in jüngerer Zeit vorzüglich für feinere Handelswaaren verwendet. Es gab auch Lauben, unter denen Gericht gehalten wurde.

Die Markthaltung setzte im Mittelalter stets eine königliche, beziehungsweise in jüngerer Zeit eine darauf zurückführende landes- oder stadtherrliche Verleihung, sei es in der allgemeinen Stadthandfeste, sei es in einem besonderen Markt-Privileg voraus. Das letztere pflegte sich über die Markt-Zeit und den Markt-Frieden zu verbreiten.

Die Zeit betreffend, schieden sich die städtischen Märkte in Jahr- und Wochen-Märkte.

Der Jahrmarkt hängt in seinen Anfängen aufs engste mit dem christlichen Kultus, nämlich dem Kirchweih-Feste zusammen, daher es stets bestimmte örtlich hervortretende Feiertage sind, nach welchen sich ein Jahrmarkt benennt. Die Zahl der Jahrmärkte an einem Orte wächst bis zu sieben. Die Dauer geht von einem Tage bis auf zwei volle Wochen.

Der Wochenmarkt begriff ursprünglich wohl nur einen einzigen Tag, welchem bei vorhandenem Bedürfnisse später ein zweiter hinzugefügt wurde. Besondere Unterarten des städtischen Wochenmarktes sind der sog. Sonntags-Markt und der sog. Tagemarkt, d.h. der für gewisse Gegenstände des Haus- und Unterhaltungs-Bedarfs innerhalb gewisser Schranken täglich gestattete Marktverkauf.

Was den Marktfrieden betrifft, so setzte die Abhaltung von Märkten in den Städten vor allem für diejenigen, welche davon Nutzen ziehen wollten, die Befugnis freien Zutritts und einen die Besucher schützenden besonderen Frieden voraus, ohne welchen gemäss den Vorstellungen des Mittelalters ein Markt gar nicht gedacht werden konnte. Der Marktfrieden war ursprünglich mit dem Kirchweih-Frieden identisch und bewirkte namentlich die schwerere Bestrafung aller an den Marktgängern verübten Friedbrüche, nämlich mindestens durchschnittlich zweifache Strafe; in das privatrechtliche Gebiet griff der[639] Marktfrieden dann hinüber, wenn die Bestimmung aufgestellt wurde, die Marktbesucher gegen gerichtliche Verfolgung wegen aller ausserhalb des betreffenden Ortsmarktes entstandenen Schuldforderungen sicher zu stellen. Ursprünglich erstreckte sich der Marktfriede wohl nur über den, oft bis auf die Stunde genau begrenzten Zeitraum der Markthaltung selbst, zu welchem Behufe Anfang und Ende der Marktzeit mittelst öffentlicher Zeichen kundgegeben wurde, durch Aussteckung und Wiederabnahme eines Strohwisches oder Hutes, durch Auf- und Einziehen einer Marktfahne, durch Ein- und Ausläuten mit der Kirchenglocke. Später wurde der Marktfrieden auf den, den Markttagen voraus und nachfolgenden Tag ausgedehnt.

Mit der Zeit kamen neben dem alten Hauptmarkte örtlich und zeitlich getrennte Spezial- oder Sonder-Märkte auf. Dahin gehören der Viehmarkt für Grossvieh (Schafe, Schweine und Ziegen gehörten auf den Haupt Marktplatz), der Pferde- oder Ross-Markt, Korn- oder Frucht-Markt, Hopfen-Markt, Holz-Markt, Kohlen-Markt, Fisch-Markt, Salz-Markt. Nach Gengler, deutsche Stadtrechts-Altertümer. Erlangen 1882. Kap. 8, 9 und 10. Vgl. die Art. Handel und Messe.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 637-640.
Lizenz:
Faksimiles:
637 | 638 | 639 | 640
Kategorien:

Buchempfehlung

Klopstock, Friedrich Gottlieb

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Von einem Felsgipfel im Teutoburger Wald im Jahre 9 n.Chr. beobachten Barden die entscheidende Schlacht, in der Arminius der Cheruskerfürst das römische Heer vernichtet. Klopstock schrieb dieses - für ihn bezeichnende - vaterländische Weihespiel in den Jahren 1766 und 1767 in Kopenhagen, wo ihm der dänische König eine Pension gewährt hatte.

76 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon