Ofen

[740] Ofen. Er entsteht aus dem uralten steinernen Herde, welcher der heilige Mittelpunkt des Hauses war, die alte Opferstätte, der Altar des Hauses. Manches von der ursprünglichen Heiligkeit des Herdes ist daher später auf den Ofen übergegangen; Herd und Ofen gehören der Holle; die junge Ehefrau und eine neue Magd wird beim Betreten des Hauses zuerst dreimal um den Herd geführt. In der Neujahrsnacht gucken die Jungfrauen in den Ofen und gewahren darin das Bild des zukünftigen Bräutigams; daher der Kinderspruch: »Lieber Ofen, ich bete dich an, du brauchst Holz und ich ein Mann« In Sagen und Märchen wird, z.B. bei den verschiedenen sogenannten Mordnächten (Zürich, Luzern und an anderen Orten) dem Ofen gebeichtet.

Die ursprüngliche Form der Feuerstätte war der einfache, auf Steinplatten erhöhte Herd; das Wort Herd selbst bedeutet sowohl den Boden (obgleich es mit Erde nicht verwandt ist) als die Feuerstätte. Aus der ältesten Form entstanden nun, als sich der Kochherd von der Heizeinrichtung trennte, einerseits der Kamin, anderseits der Ofen; Kamin, mhd. der kamîn, kemîn, aus griech.-lat. camînus = Feuerstätte, Zimmerherd; daher mhd. die kemenâte = heizbares Zimmer, wie mhd. stube, nhd. Stube, aus ital. stufa = Einrichtung zu warmem Baden, Badstube, Ofen, entstanden ist; die Etymologie des Wortes Ofen ist unsicher. Die beiden Formen der Heizeinrichtung teilen sich nun so in Europa, dass der Süden und Westen mit England, Holland und Ostfriesland dem Kamin, die slavischen und germanischen Länder dem Ofen huldigen. Im Baurisse des Klosters St. Gallen aus dem 9. Jahrhundert, siehe den Artikel Klosteranlagen, sind drei verschiedene Heizsysteme angedeutet, das römische Hypokaustum unter dem Direktorium, im Wohnsaal der Novizen und im Krankensaal, sodann die einfache Herdeinrichtung, locus foci, in der Mitte des Speisesaales der Fremdenwohnung, und zahlreiche Öfen von länglich runder Form in den Ecken der Stuben. Die höfischen Dichter erwähnen sowohl des Ofens als des Kamins, dessen mittelhochdeutscher Name fiurrame, Feuerrahme ist. Das Material für die Öfen des Mittelalters scheinen thongebrannte und glasierte Kacheln gewesen zu sein; während die ältesten bekannten eisernen Öfen schwerlich über das Jahr 1400 hinaufgehen, findet man schon auf den Darstellungen vom Ende des 13. Jahrhunderts den Kachelofen; die ältesten erhaltenen Kacheln werden dem 14. Jahrhundert zugewiesen und enthalten in kräftigem Relief figürliche Darstellungen, Minneszenen, Tiergestalten, Jagdbilder u. dgl.; ganze Öfen sind z.B. erhalten auf der Veste zu Salzburg mit gotisch stilisierten, fast freistehenden Blumen, vom Jahre 1490, und auf Schloss Tirol bei Meran.

Zahlreicher sind die aus der Renaissance erhaltenen Kachelöfen, die namentlich in der Schweiz im 16. und 17. Jahrhundert eine hohe[740] Blüteperiode gehabt haben. Ihrer Anlage nach bestehen sie aus einem unteren, breiter vortretenden, auf Füssen ruhenden Teile, über welchem ein schmalerer turmähnlicher Oberbau aufragt, der nicht selten durch zinnenartige Bekrönung ausdrücklich als Turm charakterisiert ist. Der breite Unterbau, der die Feuerung aufzunehmen hat, steht mit der Wand in Verbindung, da das Anheizen von Aussen her stattfindet. Die enge Ecke zwischen Wand und Ofen wird fast immer zur Anlage eines erhöhten Sitzes benutzt, zu welchem man über zwei breite Stufen gelangt. Nicht bloss die Kacheln des ganzen Ofengebäudes wurden nun mit plastischem Schmuck oder farbiger Zier bedeckt, sondern auch die Wandflächen des Zimmers in der Nähe des Ofens erhielten ihre Bekleidung mit gemalten Kacheln, und selbst ein Teil des Fussbodens wurde mit glasierten Fliesen belegt. Es lassen sich in der Geschichte der Schweizer Kachelöfen drei Stadien unterscheiden, die aber nicht durchaus nacheinander, sondern teilweise nebeneinander herrschen. In der ersten Epoche erscheint der Ofen rein als architektonisches Werk behandelt und mit plastischen Gliederungen ausgestattet; seine Gesamtform ist meist rund, doch kommen auch einfach viereckige vor. Er ist in der Regel einfarbig, da die Kacheln fast durchgängig nur die grüne Bleiglasur zeigen. In der zweiten Epoche wird der Ofen zum plastischen Kunstwerk; während Gesamtform und einfarbige Glasur meist unverändert bleiben, erhalten die Kacheln in stark vortretendem Relief allerlei figürlichen Schmuck. Die dritte Entwicklungsstufe giebt den Ofen in die Hände der Malerei; das plastische Element in Gliederungen und Verzierungen wird zurückgedrängt, während die reiche Farbenpracht zunimmt. Die grüne Bleiglasur verschwindet; die Kacheln, die jetzt grösser werden, erhalten einen milchweissen Emailgrund, auf welchem die Darstellungen farbig gemalt erscheinen. Ein schönes Blau bildet die Grundlage der Zeichnung; daneben kommt gelb, grün, violett und schwarz zur Anwendung. Die Öfen dieser Periode beginnen mit ziemlich reicher polychromer Entfaltung, werden dann im weiteren Verlaufe des 17. Jahrhunderts zunächst etwas matter im Farbenauftrag und schliessen im 18. Jahrhundert mit mildem Blau auf weissem Grunde, der sentimentalen Wehmut des Jahrhunderts angemessen. Die figürlichen Darstellungen, mit lateinischen und deutschen Sprüchen und Versen versehen, gehören der biblischen und antiken Geschichte, der vaterländischen Geschichte, der Mythologie, Symbolik und Allegorie. Der Hauptsitz dieser Ofentechnik war Winterthur, die angesehenste Hafnerfamilie daselbst diejenige der Pfau. Die Bilder entstammen meist den Kupferstichen, Radierungen und Holzschnitten der Zeitgenossen. Lübke, Über alte Öfen in der Schweiz, namentlich im Kanton Zürich. 2. Aufl. Zürich 1865.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 740-741.
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