Rulandsbilder

[889] Rulandsbilder. Die älteste Erwähnung der von Thüringen an über ganz Norddeutschland verbreiteten Rulandsbilder geschieht in einer Bremer Urkunde vom Jahr 1111; ein häufigeres Vorkommen derselben ist erst durch die Schriftsteller des 15. Jahrhunderts konstatiert. Sie finden sich sämtlich in Ländern, von welchen aus die germanische Herrschaft von den Zeiten Karls d. Gr, an nach dem Norden sich ausbreitete und unter den Ottonen sich befestigte, wobei sich drei Kreise unterscheiden lassen: der eine an den Küsten der Nordsee, mit Bremen und Hamburg als Zentren, der andere das Erzbistum Magdeburg, und der dritte die Mark Brandenburg, Uckermark und Neumark. Die Rulandsbilder waren in der ältesten Zeit insgesamt aus Holz geschnitzt und sind erst bei späterer Erneuerung seit dem 15. Jahrhundert durch Stein ersetzt worden. Die Ausführung ist durchaus in kolossaler Grösse, die den Eindruck des Riesigen und Gewaltigen, ja Schreckhaften hervorbringen soll. Die durchschnittliche Grösse scheint 13–14 Fuss gewesen zu sein. Alle Rulandsbilderstellen einen aufrecht stehenden bewaffneten Mann in ernster gebietender Haltung dar, die meisten einen noch jugendlichen, das Kinn völlig bartfrei, Schnurrbart nur selten, das Haupthaar voll und lockig, die Augen gross, der Blick starr. Das Haupt ist meist unbedeckt, selten von einer Königskrone oder einem Helm geziert. Den Leib schützt meist der ritterliche Harnisch des 15. Jahrhunderts, mit Arm- und Beinschienen; ältere Bilder aber zeigen als ältern Typus die kaiserliche Tunica. Die Hände sind mit Handschuhen bedeckt. Charakteristisch ist das gerade und entblösste Schwert, welches der Ruland meist in steifer Haltung in der rechten Faust trägt. Der Schild scheint erst später beigefügt worden zu sein. Der Standort des Rulands ist meist der Marktplatz vor dem Rathause; hier steht er ohne Bedachung unter freiem Himmel.

Da vor dem Ruland unter freiem Himmel auf dem Markte Gericht gehalten zu werden pflegte, scheint seine erste Bedeutung diejenige einer Gerichts-, inbesondere einer Blut- Säule gewesen zu sein. Und zwar scheint das Rulandsbild hervorgegangen zu sein aus der ältern Sitte, an Gerichtsplätzen einen Dingbaum oder einen Pfahl mit einem daran gehängten Schild oder Schwert zu errichten. In enger Verbindung damit steht die Bedeutung des Ruland als Marktsäule (vgl. den Art. Markt). Insofern sodann jeder Ort, der zur Stadt oder zum Marktflecken erhoben[889] wurde, eine Immunität vom gemeinen Landgerichte erhielt, wurde der Ruland auch ein Wahrzeichen der städtischen Immunität oder eine Mundats-Säule, ähnlich andern Mundats-Zeichen in der Form steinerner Kreuze, worauf eine Hand abgebildet war, hervorgegangen aus ältern hölzernen Kreuzen mit angehängtem kaiserlichem Handschuh. In den Reichsstädten nahm endlich der Ruland noch eine besondere Bedeutung an, insofern er das Wahrzeichen der Reichsfreiheit wurde.

Aus den genannten Bedeutungen der Rulandssäule ergibt sich, dass der Ruland ursprünglich ein Kaiserbild ist, das den Kaiser als Richter darstellt, als denjenigen, von dem allein die Gerichtsbarkeit, namentlich die über Hals und Hand, erworben werden konnte, der der oberste Richter und die Quelle aller Gerichtsbarkeit ist. Insofern es nun wahrscheinlich ist, dass die Rulandsbilder zuerst in der Zeit der Ottonen entstanden sind, lässt es sich vermuten, dass sie ursprünglich den roten König Otto oder Otto II. dargestellt haben, auf den verschiedene Thatsachen hinweisen.

Der Name Rulandssäule wird von Zöpfl als eine auf dem roten Lande, der roten Erde, d.h. auf der Blutgerichtsstätte errichtete Säule erklärt. Als man diese älteste Bedeutung nicht mehr verstanden hätte, sei der Name auf den Paladin Karls d. Gr. gedeutet worden; mitunter wurde der Säule auch das Standbild Karls d. Gr. oder eines mächtigen Landesherrn, wie Heinrich der Löwe, untergeschoben; an einigen Orten sank der Ruland bis zum städtischen Schildhalter herunter. Endlich sind auch auf die Rulandsbilder mancherlei Gebräuche und Sagen übertragen worden, welche teils an den Schwert-Gott Ziu, teils I an den Frô, ja selbst an Wuotan erinnern. Nach Zoepfl, die Rulands-Säule, Leipzig 1861, auch Bd. 3 von Zoepfls Altertümer des deutschen Reichs und Rechts.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 889-890.
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