[1069] Wartburgkrieg. Die Wartburg war unter der Herrschaft des Landgrafen Hermann von Thüringen der Sammelplatz der grossen Dichter. Da konnte wohl manchmal die Eifersucht und der Wetteifer der Sänger ein poetisches Turnier veranlassen, in welchen sie ihre Kräfte massen. In einen solchen Wettgesang, der im Jahre 1206 oder 1207 auf der Wartburg stattgefunden haben soll, werden wir durch das Gedicht »Der Wartburgkrieg« eingeführt. Die berühmtesten Sänger der damaligen Zeit sind daran beteiligt: Walther [1069] von der Vogelweide, Wolfram von Eschenbach und Reimar der Alte, ferner der tugendhafte Schreiber, Biterolf und Heinrich von Ofterdingen, von welch letzterem wir sonst so gut wie nichts wissen.
Im ersten Teile des Gedichtes, im Streitgedicht, kämpfen die Sänger über den Vorzug von Fürsten. Heinrich von Ofterdingen macht sich anheischig seinen Herrn den Herzog Leopold VII. von Österreich zu preisen, gegenüber Wolfram von Eschenbach und dem tugendhaften Schreiber, welche den Landgrafen Hermann von Thüringen über den Österreicher stellen und gegenüber Biterolf, der die Stimme erhebt zur Verherrlichung seines Herrn, des Grafen von Henneberg. Walther von der Vogelweide zeigt sich anfangs ungehalten auf Österreich und gibt dem König von Frankreich vor allen andern Fürsten den Preis; später bereut er es, sich von Österreich losgesagt zu haben und vergleicht Leopold mit der Sonne.
Heinrich von Ofterdingen gibt dies stillschweigend zu, ist durch eine unschöne List Walthers besiegt worden und soll nun durch den Henker Stempfel aus Eisenach hingerichtet werden. Zu seiner Hilfe ruft er den Zauberer Klingsor aus Ungarn, dieser erscheint und mit seinem Auftreten hebt der zweite Teil des Gedichtes an, den Simrock das Rätselspiel überschrieben hat. Klingsor giebt nämlich dem Wolfram von Eschenbach acht Rätsel auf, welche dieser mit Leichtigkeit löst. So hat der einfache Glaube des Minnesängers gesiegt über die schwarze Büchergelehrsamkeit des ungarischen Zauberers. Dieser will Rache nehmen für seine Niederlage und zugleich erfahren, mit welcher überirdischen Macht Wolfram im Bunde stehe, dass er die schwierigen Rätsel so schnell gelöst. Er beschwört zu diesem Zwecke den Teufel Nasion, der bei Nacht Wolfram heimsucht und ihn über den Lauf der Gestirne frägt. »Derjenige, der die Gestirne gemacht hat, regelt und kennt ihren Lauf, mich bekümmert das nicht«, ist die Antwort Wolframs, der zugleich durch das Zeichen des Kreuzes den Teufel zum Fliehen zwingt.
An diesen zweiten Hauptteil des Wartburgkrieges, der mit dem ersten allerdings in einem ziemlich losen, aber doch in einem Zusammenhang steht, sind nun noch verschiedene Dichtungen gereiht, die mit dem Wartburgkrieg so gut wie nichts zu schaffen haben.
Wer der Verfasser des Wartburgkrieges gewesen, ist nicht sicher anzugeben. Ohne Zweifel aber stammt er nicht von einem einzigen Dichter. Die Pariser Handschrift der Minnelieder bezeichnet als den Dichter Wolfram von Eschenbach, während die Jenaische Liederhandschrift den ersten Teil dem Heinreich von Ofterdingen, den Rätselkampf aber Wolfram von Eschenbach in den Mund legt. Auch die Entstehung der einzelnen Teile fällt in verschiedene Zeiten.
Von jeher betrachtete man den Wartburgkrieg als einen Versuch, dem geistlichen Drama ein weltliches entgegenzusetzen. Der Dichter schloss sich bei diesem Unterfangen an das Streitgedicht an und verknüpfte mit diesem einen Rätselkampf, wie ihn seine Zeit liebte. Streitgedichte mit unter Sängern verteilten Rollen fand er bei den Franzosen vor unter dem Namen jeu parti. Vor dem Wartburgkrieg waren sie in Deutschland nicht volkstümlich, das einzige ausgenommen, das den Streit zwischen Sommer und Winter behandelt und als älteste Quelle solcher poetischer Wettkämpfe betrachtet werden kann. Rätselkämpfe dagegen kommen schon in der deutschen Mythologie vor. Dem Inhalte und der Form nach erhebt sich der Wartburgkrieg nicht über den[1070] Charakter des Streitgedichtes, und der erste Versuch rein deutscher Dramatik muss somit als misslungen bezeichnet werden, wie das ganze Gedicht überhaupt im grossen und ganzen poetisch wertlos genannt werden darf. Wohlthuend ist der Hauch der Ehrfurcht und der Bewunderung, welcher das ganze Gedicht durchweht, für den grössten deutschen Dichter des Mittelalters, für Wolfram von Eschenbach. Der Wartburgkrieg, herausgeg., geordnet, übersetzt und erläutert von K. Simrock. Stuttg. 1858.