Zehnte

[1100] Zehnte, ahd. zehando, mhd. zehende, zênde; Plural die Zehnten, hat seine Entstehung in den Vorschriften des Alten Testaments, wonach jeder Israelit den zehnten Teil seiner Feld- und Baumfrüchte und das zehnte Stück des Rind- und Kleinviehs an die Leviten zu ihrem Unterhalte abgaben, die dann wieder den Zehnten davon an die Priester ablieferten, Bestimmungen, die später dahin erweitert wurden, dass ein zweiter Zehnt von Ackerprodukten, Öl und Most und die Erstlinge des Rind- und Kleinviehs, zu einer Mahlzeit beim Zentralheiligtum verwandt werden sollten. Auf diese Satzungen berufen sich im 4. und 5. Jahrhundert die Kirchenväter, wenn sie die Gläubigen zur Entrichtung der Zehnten ermahnen; doch galt die Leistung anfangs nur als ein Werk der Liebe, und erst im 6. Jahrhundert drohte eine fränkische Synode mit dem Banne, wenn ferner die Christen den Priestern den ihnen von Gott angewiesenen Zehnten verweigern würden. Neben diesem kirchlichen Zehnten gab es aber auch einen weltlichen, aus den römischen Gesetzen herrührenden; diese kannten nämlich ein Zehntverhältnis für die Bebauer der Staatsdomäne, des ager publicus, welcher durch Eroberung in allen Provinzen als Eigentum des römischen Volkes, später der Kaiser, erworben war; wer Stücke daraus zur Bebauung übernahm, bezahlte als Anerkennung des unvollkommnen Eigentums, über das der Staat unter Umständen anderweitig verfügen konnte, die zehnte Garbe. Ein ähnliches Verhältnis eines unvollkommenen Besitzes bestand bei dem römischen Kolonat seit Konstantin d. Gr., wobei persönlich freie, jedoch an die Scholle gebundene Bebauer von Landgütern das Eigentum des Grundherrn gegen Abgabe des Zehnten bebauten. Dieses letztere Verhältnis blieb vielfach auch auf deutschem Boden namentlich für die nach römischem Recht lebende Kirche in Geltung, so zwar dass die Kirche von den auf ihren Gütern lebenden Kolonen den alten, an den Inhaber der Domäne zu entrichtenden, durchaus weltlichen Zehnten als Rente bezog. Zur Einführung des kirchlichen Zehntens, für dessen Einführung das Volk lange keine Ohren hatte, so oft und viel die Kirche dazu ermahnte, machten besonders die Fürsten in der Weise den Anfang, dass sie den auf ihren eigenen Krongütern liegenden grundherrlichen Zehnten an manchen Orten der Kirche überwiesen; ein Vorbild, das nun die übrigen Grundbesitzer zu ähnlichen Schritten bestimmte; für das[1100] Sachsenland bestimmte Karl d. Gr. die Zehntpflicht als allgemein für alle besitzenden Stände. Mit der Zeit verschwand der Unterschied beider Zehnten, und die Kirche machte für alle Zehnten nur noch den Gesichtspunkt ihres auf göttlicher Anordnung beruhenden Rechtes geltend. Für die Verwendung des bischöflichen Zehntens galt als Regel eine Verwendung nach vier Portionen, deren eine dem Bischof, die andere den Klerikern, die dritte den Armen und die vierte der Kirchenbaukasse zukam; der Zehnten der Pfarrkirchen sollte zu gleichen Teilen dem Priester, den Armen und der Kirchenfabrik (Kirchenbaukasse) zufallen, erst später wurde ein vierter Teil auch dem Bischof verrechnet. Dadurch, dass die Könige und andere weltliche und geistliche Grundbesitzer das von ihnen der Kirche verliehene zehntbare Gut vielfach an Laien zu Lehen gaben, kam viel zehntbares Gut in weltliche Hände; auch Patrone zogen oft die Zehnten zurück, die ursprünglich den auf ihrem Grunde erbauten Kirchen gehörten. Seit dem 11. Jahrhundert verbot zwar die Kirche dieses Vorgehen und sprach zuletzt den Grundsatz aus, dass schon der Besitz eines Zehnten in den Händen eines Laien eine Sünde und ein Verstoss gegen die göttlichen Gesetze sei; es ist klar, dass die Kirche nicht überall durchdrang. Richter, Kirchenrecht; Rettberg, Kirchengeschichte.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 1100-1101.
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