[533] BELLEROPHON, ontis, oder Bellerophontes, æ, Gr. Βελλεροφόντης, ου, (⇒ Tab. XXV.)
1 §. Namen. Eigentlich soll er Hipponous geheißen haben. Als er aber unversehens einen ums Leben gebracht, der Bellerus geheißen, Tzetz. ad Lycophr. v. 17. welcher sein eigener Bruder, oder doch eine angesehene Person in Korinth gewesen. Didym. ad Hom. Il. Ζ. 155. soll er von solchem Bellero und φένω, ich tödte, den Namen Bellerophon bekommen haben, der also so viel, als des Bellerus Mörder heißt. Jedoch leiten andere solchen Namen auch von βουλὴ, Rath, und φορέω, bringe, her, nach welchem er so viel, als weiser Rathgeber heißen soll. Fulgent. Mythol. lib. III. c. 1. Und noch andere wollen, es heiße Βέλλερα so viel als καλἀ, und Bellerophon daher so viel, als einer, der das Böse aufhören lasse, Schol. Hesiod. ap. Muncker. ad Fulgent. I. c. welches beydes aber gewiß auch armselige Ableitungen sind.
2 §. Aeltern. Insgemein wird er für des Glaukus Sohn, und also des Sisyphus, Königs zu Korinth, Enkel angegeben. Homer. Il. Ζ. v. 155. & Apollodor. lib. I. c. 9. §. 3. Jedoch machen auch einige ihn selbst zu des Neptuns [533] Sohne. Hygin. Fab. 157. Also nennen auch einige seine Mutter Eurynome, und machen sie zu einer Tochter des Nysus, id. ib. andere aber heißen sie Eurymede, ohne dabey zu gedenken, wer sie weiter gewesen. Apollod. l. c.
3 §. Thaten und Schicksal. Weil er obbesagten Bellerus, oder, nach andern seinen Bruder, den Deliades, Apollod. lib. II. c. 3. §. 1. oder, nach den dritten, den Pirenes, Philemon. ap. Nat. Com. lib. IX. c. 4. oder, nach den vierten, den Alcimenes getödtet, Darotheus Sidonius ap. eumd. l. c. so mußte er sich mit der Flucht von Korinth retten, ungeachtet solcher Todtschlag nur unversehens geschehen war. Er flüchtete sich also zu dem Prötus, Könige zu Argis, der ihn denn nicht nur willig aufnahm, sondern auch, nach damaliger Weise, wiederum mit den Göttern aussöhnete. Weil er aber von gutem Ansehen war, so verliebte sich des Prötus Gemahlinn, die Antea, oder, wie sie auch genennet wird, die Sthenoboa, in ihn, und gab ihm einst ihr Anliegen völlig zu verstehen. Allein, Bellerophon war zu ehrlich, sich auf diese Art an seinem Wirthe und Wohlthäter zu vergehen. Er schlug also der unartigen Frau ihr Ansuchen ab, die dargegen einen solchen Groll auf ihn warf, daß sie ihn bey ihrem Gemahle, dem Prötus, verklagete, als ob er ihr ungeziemende Dinge angemuthet hätte. Ob nun wohl Prötus solches seiner Gemahlinn glaubete, so wollte er sich doch nicht selbst an dem Bellerophon, als seinem Gaste, und den er selbst mit den Göttern ausgesöhnet hätte, vergreifen, sondern schickete ihn zu seinem Schwiegervater, dem Jobates, Könige in Lycien. Er gab ihm, aber doch einen Brief mit, worinnen, enthalten war, daß er dessen Ueberbringer förderlichst aus dem Wege räumen möchte. Dieser Brief soll aus einer Schreibtafel bestanden haben, in welcher, an statt der Buchstaben Hieroglyphen gewesen, welche dem Könige das Vergehen des Ueberbringers und die Strafe, die er ihm dafür anthun sollte, anzeigeten, daher sie denn auch σηματα, Zeichen, heißen. Eustath. ad Hom. [534] Il. Ζ. v. 168. p. 632. Allein, dieser bewirthete ihn gewöhnlicher Maßen 9 Tage lang, und den zehenten nahm er erst den Brief von ihm an. Da er nun sah, was von ihm begehret wurde, so wollte er zwar das Gastrecht an dem Bellerophon nicht brechen, jedoch aber auch dem Prötus einiges Genüge thun. Er brachte es also dahin, daß Bellerophon sich bereden ließ, zu versuchen, ob er die Chimära, erlegen könnte, welche damals ganz Lycien den größten Schaden that. Indem er darauf umgieng, so hatten die Götter selbst ihr Mitleiden mit ihm, und schickten ihm daher den Pegasus, welchen Minerva selbst zuerst gezäumet hatte. Pausan. Corinth. c. 4. Nach andern aber fieng es Bellerophon selbst und zähmete es, Strab. L. VIII. p. 379. wie man es auch auf einem geschnittenen Steine sieht. Beg. Spic. Antiq. p. 68. Er setzete sich darauf, und griff damit besagtes Ungeheuer an, welches er auch glücklich umbrachte. Man findet seinen Streit mit demselben noch auf vielen geschnittenen Steinen vorgestellet, die alle eine Aehnlichkeits haben, und wo er in der Höhe auf dem Pegasus sitzt, und die Chimäre unter sich hat, in deren Abbildung sich zuweilen eine Verschiedenheit findet, da sie z.B. auf einem vorn den Löwenkopf, auf dem Rücken den Ziegenkopf, und am Ende des Schwanzes den Schlangenkopf hat. Maffei Gemme antiche T. III. tav. 101. p. 182. Bey andern aber sind alle drey Köpfe vorn beysammen. Gorlæi Dactylioth. P. II. n. 513. Begeri Thes. Palat. p. 62. Wie ihm hierauf Jobates vermochte, die Solymer und Amazonen anzugreifen, und er beydes nach Wunsche ausführete, nicht weniger auch die Lycier, welche Jobates abgeordnet hatte, ihm aufzupassen, als er von besagten Verrichtungen zurück kam, gleichfalls niedergemacht hatte, so bewunderte endlich Jobates sein Glück und seine Tapferkeit, und gab ihm seine jüngere Tochter, Philonoe, zur Gemahlinn, bestimmete ihn auch selbst zu seinem künftigen Nachfolger in dem Lycischen Königreiche. Homer. Il. Ζ. v. 155. & Apollod. lib. II. c. 3. §. 1. [535] 2. Allein, als er sich seines guten Glücks darauf überhob, und insonderheit auf dem Pegasus selbst in den Himmel fliegen wollte, so schickte Jupiter eine Bremse, welche den Pegasus stach, daß solcher kollernd wurde und den Bellerophon abwarf. Weil er nun nicht nur auf die wüste aläische Gegend in Cilicien fiel, sondern auch zugleich von seinem Falle blind wurde, so irrete er so lange in solcher Einöde herum, bis er endlich elendiglich vor Hunger starb. Tzetz. ad Lycophr. l. c. Cf. Steph. Byz. in Ταρσός. & Nat. Com. lib. IX. c. 4.
4 §. Familie und Genealogie. Seine Gemahlinn war obbesagte Philonoe, des Jobates Tochter, mit welcher er den Isander, den Hippolochus, Boccacc. lib. XIII. c. 58. und die Laodamia zeugete, deren letztern und Jupiters Sohn denn wiederum Sarpedon I, König in Lycien war. Apollod. lib. III. c. 1. §. 1.
5 §. Eigentliche Historie. Man hält ihn nicht unwahrscheinlich für einen schönen und tapfern Prinzen, der nach seiner unglücklichen Begebenheit zu Korinth und mit der Sthenoboa endlich von dem Jobates wider seine Feinde, die Solymer, zu Felde geschickt; und weil deren drey Feldhauptleute Argus, Arsalus, und Trosibius oder Rosibius geheißen, welche in dem Phönicischen so viel als ein Löwe, Ziege und Schlange heißen, so habe man daher die Chimärä zusammen gesetzet, welche er erleget haben soll, als er solche Solymer überwunden. Weil er nun dabey in seinen Verrichtungen sehr geschwind war, so soll man gedichtet haben, daß er sich des Pegasus, oder eines geflügelten Pferdes, bedienet. Bochart. Chan. lib. I. c. 6. Andere hingegen verstehen unter der Chimära ein berühmtes Raubschiff, welches zum Paniere bald einen Löwen, bald eine Ziege, bald eine Schlange oder einen Drachen geführet, welches er mit seinem Schiffe, das ein geflügeltes Pferd zum Wappen gehabt, erobert. Banier Entret. XIII. ou P. II. p. 62. Noch andere verstehen durch solche Chimära einen Berg dieses Namens, auf welchem sich viel Löwen, Ziegen [536] und Schlangen aufgehalten, welcher Berg auch beständig Feuer ausgeworfen, den aber doch Bellerophon endlich von besagten Thieren gereiniget, und, zu bewohnen, bequem gemacht. Ban. Erläut. Götterl. IV B. 373 S. So wollen auch einige, daß besagter Berg drey Höhen gehabt, welche von fern die Köpfe der drey benannten Thiere vorgestellet, und, weil sich auf denselben des Jobates Feinde aufgehalten, die endlich Bellerophon von dar vertrieben, so habe man die Erlegung der Chimäre dahin gedichtet; und, da es fast unmöglich geschienen, solche Höhen ersteigen zu können, so habe man ihm daher den geflügelten Pegasus zugegeben. Cericus ad Hesiod. Theog. v. 325. Sieh auch Chimära.
6 §. Anderweitige Deutung. Bald soll dieser Bellerophon so viel, als die feuchten Dünste seyn, welche aus der Erde in die Höhe nach dem Himmel zu steigen, die aber sodann in Regen, Schnee und dergleichen verwandelt werden, und wieder herunter fallen. Bald soll er selbst die Zeugung der Elemente seyn, da einige in die Höhe, andere aus der Höhe wieder herunter steigen. Bald soll er zuerst die Kräfte der Gestirne ausgeforschet haben, und also gleichsam in den Himmel haben steigen wollen. So deuten einige den Pegasus daher auch auf dessen Gemüth, mit welchem er sich bis an den Himmel erhoben. Nat. Com. lib. VIII. c. 4. p. m. 953. Besser aber wird er für ein Exempel eines tugendhaften Menschen angenommen, welchen Gott in Widerwärtigkeiten nicht nur beschützet, sondern auch noch dafür erhöhet. Allein, wenn solcher sich hernach selbst noch mehr erhebet, stolz und hochmüthig wird, so zeiget er an, wie Gott dergleichen auch wiederum stürze. Masen. Spec. ver. occ. c. XXIII. n. 26. Einige deuten sonst die Chimära, die er erleget, insonderheit auf eine geile Liebe, welche im Anfange stark, wie ein Löwe, anfällt, im Mittel wie eine geile Ziege ist, allein am Ende wie eine Schlange oder ein Drache beißt und im Gewissen quälet, die man aber sodann, nach dem Exempel [537] des Bellerophon, durch Mäßigkeit, Klugheit und gute Vernunft, als auf der man sich gleichsam, als auf einem Pegasus, in die Höhe schwingen muß, glücklich besiegen kann. Fulgent. Mythol. lib. III. c. 1. Die Tragödie, welche Euripides von ihm verfertiget gehabt, ist verloren gegangen. Fabric. Biblioth. Græc. lib. II. c. 18. §. 3.
Buchempfehlung
Strindbergs autobiografischer Roman beschreibt seine schwersten Jahre von 1894 bis 1896, die »Infernokrise«. Von seiner zweiten Frau, Frida Uhl, getrennt leidet der Autor in Paris unter Angstzuständen, Verfolgungswahn und hegt Selbstmordabsichten. Er unternimmt alchimistische Versuche und verfällt den mystischen Betrachtungen Emanuel Swedenborgs. Visionen und Hysterien wechseln sich ab und verwischen die Grenze zwischen Genie und Wahnsinn.
146 Seiten, 9.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.
468 Seiten, 19.80 Euro