[2072] PRIĂMVS, i, Gr. Πρίαμος, ου, (⇒ Tab. XXXI.)
1 §. Namen. Er hieß anfänglich mit seinem eigentlichen Namen Podarces. Allein, als hernachmals Herkules ihn bey Eroberung der Stadt Troja auch mit gefangen bekam, seiner Schwester, Hesione, aber frey stellete, einen von den Gefangenen zu lösen, so nahm sie ihre Hauptdecke, und gab sie für diesen ihren Bruder, den zwar Herkules erst noch zum Knechte machte, sodann aber frey ließ. Weil ihn nun Hesione auf diese Weise gleichsam erkaufete, so bekam er hernach von πρίαμαι, ich kaufe, den Namen Priamus. Apollod. l. II. c. 6. §. 4. Cf. Tzetz. ad Lycophr. v. 34. & 337. item Eustath. ap. Potter. ad eumd. l. c. Allein, andere wollen, daß er von seinen benachbarten Feinden gefangen gewesen, von dem Herkules aber losgekaufet worden, und daher diesen Namen erhalten habe. Serv. ad Virg. Aen. I. v. 623.
2 §. Aeltern. Sein Vater war Laomedon, König in Troja, seine Mutter aber, nach einigen, Strymno, des Skamanders Tochter, nach andern Placia, eine Tochter des Atreus, oder auch Leucippus. Apollod. l. III. c. 11. §. 3. Dagegen nennen andere dessen Mutter bald Zeuxippe, bald Trymo, bald Thoosa, und machen sie zu des Teukrus Tochter. Alcman. ap. Porphyr. Hellanicus & Stamis ap. Gale. ad Apollod. l. c. Schol. Hom. Il. Γ. 250. Seine Brüder waren Tithonus, Lampo, Klytius, Hicetaon, seine Schwestern aber gedachte Hesione, Cilla und Astyoche. Apollod. l. c.
[2072] 3 §. Stand. Er folgete seinem Vater in dem Königreiche, welches ihm Herkules ließ, entweder, weil er allein unter seinen Brüdern dem Laomedon treulich angerathen, dem Herkules die für die Befreyung der Hesione und des ganzen Landes versprochenen Pferde zu geben; und, da Laomedon dessen Abgesandte, den Telamon und Iphiklus, gefangen legen ließ, und gar hinrichten lassen wollte, solchen ein Paar Schwerter zubrachte, womit sie ihre Wache niedermachten, und sich in Freyheit setzeten; Diod. Sic. l. IV. c. 50. p. 175. oder auch, weil er ihm, auf der Hesione Vorbitte, einmal die Freyheit gegeben, Tzetz. ad Lycophr. v. 337. und da nicht sein Erbtheil, das Königreich, nehmen wollte, ungeachtet er damals, nach einigen, nur noch ein Kind war. Hygin. Fab. 89. Er war also der sechste unter den trojanischen Königen, und regierete vom J.d.W. 3490 bis 3530, und also in allem auf vierzig Jahre. Petav. Rat. Temp. P. II. l. 2. c. 10.
4 §. Gemahlinnen und Kinder. Seine erste Gemahlinn war Arisbe, des Merops Tochter, mit welcher er den Aesakus zeugete. Er überließ aber hernach solche dem Hyrtakus, und nahm dafür die Hekuba, des Cisseus, oder Dymas Tochter, mit welcher er zuerst den Hektor zeugete. Als sie aber zum andern Male niederkam, so ließ er das Kind, eines unglücklich ausgedeuteten Traumes wegen, hinweg setzen. Sieh Paris, 2 §. Nach solchem gebar ihm Hekuba die Kreusa, Laodice, Polyxena und Kassandra; ferner den Deiphobus, Helenus, Pammon, Polites, Antiphus, Hipponous, Polydorus, Troilus, den aber einige auch zu des Apollo Sohne machen. Apollod. l. III. c. 11. §. 5. Außer dem hatte er noch wohl auf funfzig Kebsweiber. Virg. Aen. II. 503. Mit diesen zeugete er noch den Melanippus, Gorgythion, Philämon, Hippothous, Glaukus, Agathon, Chersidamas, Evagoras, Hippodamas, Mestor, Alas, Doryklus, Lykaon, Dryops, Bias, Chromius, Astygonus, Telestas, Evander, Cebrion, [2073] Melius, Archemakus, Laodokus, Echephron, Idomeneus, Hyperion, Askanius, Demokoon, Arrhetus, Deioptes, Klonius, Echemon, Hypirichtus, Aegeoneus, Lysithous und Polymedon, und von Töchtern annoch die Medusa, Medesikaste, Lysimache und Aristodeme. Apollod. l. c. Andere nennen sie auch unter einander zusammen Hektor, Deiphobus, Cebrion, Polydorus, Helenus, Alexander, Hipposidus, Antinous, Agathon, Diastor, die Lyside und Polymena, den Askanius, Chirodamas, Evagoras, Drypon, Astynomus, Polymetus, die Laodice, Ethionome, Phegea, Henicea, Demnosia, Kassandra und Philomela, den Polites, Troilus, Palämon, Brissonius, Gorgythion, Protodamas, Atreus, Dolon, Chröresus, Chrysolaus, Demostheus, Dorikops, Hippasus, Hyperiskus, die Lysianassa, Iliona und Nereis, den Evander, Proneus, Aromachus, Hilagus, Axion, Bias, Hippotrochus, Deiopites, die Medusa, Herone und Kreusa, deren denn an der Zahl vier und funfzig seyn sollen. Hygyn. Fab. 90. Es sind aber unterschiedene dieser Namen unstreitig versälschet. Muncker. ad Hygin. l. c. Auch fehlet einer an der angegebenen Zahl, und wollen andere, daß er allein funfzig Söhne, und unter denselben neunzehn von der einigen Hekuba, nebst zwölf verheuratheten Tochtern, außer den unverheuratheten, gehabt habe. Homer. Il. Ω. v. 495. & Ζ. v. 244. Von diesen Söhnen waren, nach Hektors Erlegung, nur noch diese neune übrig: Helenus, Paris, Agathon, Pammon, Antiphonus, Polites, Deiphobus, Hippothous und Agavus. Id. ib. Ω. v. 249. Dieser letztere fehlet in beyden obigen Verzeichnissen.
5 §. Thaten. Nach einigen hatte er ein Heer in Phrygien unter sich, als Herkules Troja einnahm und verbrannte. Dares Phrygius c. 3. Andere wollen, er sey damals selbst mit gefangen worden. Apollod. l. II. c. 6. §. 4. Wenigstens bauete er Troja, nach gedachter Zerstörung, wieder auf, erweiterte und befestigte es aufs beste, und setzete sich [2074] in so gute Verfassung, daß er nicht so leicht, wie sein Vater, konnte überfallen werden. Hom. Il. Β. 816. sqq Dar. Phrygius c. 4. Er schickte darauf den Antenor als Gesandten nach Griechenland, und verlangete insonderheit die mit hinweggenommene Hesione wieder. Allein, weil er überall abschlägliche Antwort bekam, so entschloß er sich, die Griechen mit Kriege zu überziehen, welches ihm Hektor klüglich widerrieth. Inzwischen war Paris oder Alexander wieder gefunden worden, und verlangete nur eine Flotte, sich an den Griechen zu rächen. Helenus sagete zwar den Trojanern alles Unglück daher zuvor: dennoch aber drang Paris endlich durch, da ihn Deiphobus, Troilus und andere beyfielen. Id. c. 5. 6. 7. Die Flotte wurde also ausgerüstet, und Helena mit solcher entführet. Da nun die Trojaner dieselbe nicht wieder geben wollten, so gerieth es zu dem harten und schweren Kriege zwischen beyden Nationen. Die Griechen brachten eine Flotte von eilf hundert und sechs und achtzig Schiffen zusammen. Homer. Il. Β. 439 sqq. Cf. Muncker. ad Hyg Fab. 97. Einige sagen nur eilf hundert fünf und funfzig. Schol. Eurip. ad. Orest. v. 352. Andere zählen ihrer zwölf hundert und zwey. Dares Phrygius c. 14. Doch setzen auch einige deren Anzahl nur auf tausend. Virg. Aen. II. 198. Ovid. Metam. XII. 7. Diese Schiffe waren nicht alle gleich groß und stark beman net; denn die böotischen führeten hundert und zwanzig, und des Philoktetes seine funfzig Mann. Hom. Il. Β. 110. & 719. Und dieß soll der Begriff von den größten und kleinsten derselben seyn. Thucyd. Hist. l. I. c. 10. Auf dieser Flotte also giengen sie mit ungefähr hundert tausend Mann nach Asien über. Denn wenn man ein tausend und zwey hundert Schiffe annimmt, und jedem derselben, eins in das andere gerechnet, fünf und achtzig Mann giebt, so kommen ein hundert und zwey tausend Mann heraus. Allgem. Welth. IV Th. 605 S. Dagegen zogen die Trojaner alle Macht zusammen, da sie denn mit ihrer Bundesgenossen Mannschaft auf funfzig [2075] tausend Mann zusammen brachten. Fabra ad Dar. Phryg. c. 44. Sie erwehreten sich damit ihrer Feinde, nach einigen, zehn Jahr, acht Monat und zwölf Tage lang; und, weil immerzu frisches Volk auf beyden Seiten nachgebracht wurde, so büßeten auf ihrer Seite zwey hundert und acht und siebenzig tausend, auf der Griechen aber acht hundert und sechs tausend Mann in solchem Kriege ihr Leben ein. Dares l. c. Nun wußte zwar Priamus gar wohl, ein Heer anzuführen, wie er wenigstens ehemals gegen die Amazonen gethan hatte; Hom. Il. Γ. v. 184. nichts desto weniger focht er in diesem Kriege nicht selbst mehr mit; sondern überließ die Hauptbesorgung seinem ältesten Sohne, dem Hektor, weil er selbst damals schon alt und grau war. Id. ib. Ω. v. 508. sqq. Er sah wohl ein, daß es mit seinen Dingen nicht recht fort wollte, sondern seine besten Hülfsvölker mit ihren Anführern, dem Memnon, der Penthesilea, dem Sarpedon und so ferner erleget wurden; ja, daß seine so vielen Sohne einer nach dem andern darauf giengen, und selbst Hektor, auf welchem die Erhaltung der Stadt Troja, nach dem Schicksale, bestund, endlich ebenfalls umkam. Dict. Cret. l. IV. c. 6, 3, 7 & 15. Dennoch bestund er auf seinem Sinne; und, da er durch Wiederauslieferung der Helena, sich und sein Reich von dem gänzlichen Untergange retten können, so gab er gleichwohl der Hekuba und seinen Sohnen so viel Gehör, daß er alles in den Wind schlug, u. das lieber auf die Götter schob, was doch seine Schuld war. Homer. Il. Γ. v. 164. & Dict. l. III. c. 21.
6 §. Tod. Solcher wird auf verschiedene Art erzählet. Serv. ad Virg. Aen. II. 506. Als endlich Troja durch Verrätherey des Antenors, Polydamas, Ukalegons, Amphidamas, Dolo, Dares Phryg. c. 39. und, wie noch einige wollen, auch des Aeneas, Dict. Cret. l. IV. c. ult. übergieng, oder durch List mit dem hölzernen Pferde erobert wurde: Hom. Od. Δ. 272. Virg. Aen. II. 15. Q. Calab. XII. 23. so legete er zwar seine Waffen wieder an, und wollte [2076] sich vertheidigen. Allein, es vermochte ihn Hekuba, daß er sich mit ihr zu dem Altare des herceischen Jupiters flüchtete. Pausan. Cor. c. 24. p. 129. & Messen. c. 17. p. 248. Da aber Pyrrhus dessen auch dahin flüchtenden und schon verwundeten Sohn, Polites, verfolgete, und vor seinen Augen niedermachte, so übermeisterte ihn der Zorn, daß er nicht nur heftig auf den Pyrrhus schalt, sondern demselben auch mit seinem Wurfspieße eines versetzete. Es hatte solches aber seiner Schwäche halber keinen Nachdruck, und machte nur, daß ihn Pyrrhus bey den Haaren wieder an den Altar schleppete, und ihm das Schwert bis an den Heft in die Seite stieß. Virgil. Aen. II. v. 518. So findet man es noch auf der ilischen Tafel vorgestellet. Num. 26. Nach andern soll er ihm an des Mercurius Altare den Kopf abgehauen haben Q. Calab. XIII. 221. sqq. Man will aber hier für Ἑρμείου doch lieber Ἑρκείου lesen Daus quej. ad l. c. Indessen wollen doch einige, er sey vor dem Thore seines Pallastes auf den Pyrrhus gestoßen, und daselbst niedergemacht worden, nachdem man ihn von bemeldetem Altare zuvor weggerissen. Lescheus ap. Pausan. Phoc. c. 27. p. 661. Hierauf habe man ihm den Kopf abgehauen, ihn doch aber endlich zu des Hektors Asche gebracht. Auson. Epitaph. Heroum 23. 24. Man erzählet auch, Pyrrhus habe ihn in seinem Pallaste gefangen genommen, und auf das sigäische Vorgebirge, zu des Achilles Grabe geschleppet, wo er ihn dessen Manen aufgeopfert, seinen Kopf auf eine Stange gestecket, und so herum getragen Serv. ad Virg. Aen. II. 506.
7 §. Gestalt und Wesen. Er soll groß und von einem majestätischen Leibe gewesen seyn, ein schönes Gesicht und eine liebliche Stimme gehabt haben, Dar. Phryg. c. 12. Er war gegen seine Söhne zu gelinde, und gegen die Hekuba zu gutwillig; und ob er wohl gegen erstere dann und wann etwas scharf war, und sie geziemend ausschalt, so hatte es doch keinen Nachdruck. Homer. Il. Ω. v. 247.
[2077] 8 §. Eigentliche Historie. Diese scheint meistens ihre Richtigkeit zu haben, man wolle denn mit einigen in Zweifel ziehen, daß Troja jemals von den Griechen belagert und zerstöret worden. Dio Chrysostom. Orat. XI. de Ilio non capto, p. 151. Wenigstens wollen einige nicht glauben, daß er um einer entführten Frau willen es auf das Aeußerste mit sich und den Seinigen werde haben kommen lassen, wo er nicht allerdings unsinnig gewesen. Banier Entret. XVII. ou P. II. p. 201.
Buchempfehlung
Von einem Felsgipfel im Teutoburger Wald im Jahre 9 n.Chr. beobachten Barden die entscheidende Schlacht, in der Arminius der Cheruskerfürst das römische Heer vernichtet. Klopstock schrieb dieses - für ihn bezeichnende - vaterländische Weihespiel in den Jahren 1766 und 1767 in Kopenhagen, wo ihm der dänische König eine Pension gewährt hatte.
76 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.
468 Seiten, 19.80 Euro